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wir helfenWenn Papa wieder betrunken ist

Lesezeit 4 Minuten

Norbert Teutenberg, Leiter der Kalker SKM-Beratungsstelle mit der Handpuppe Philipp

Köln – Wenn nichts mehr hilft, hilft manchmal Philipp. Die 80 Zentimeter große Handpuppe darf Dinge aussprechen, die Kinder nicht in Worte fassen können, weil sie zu schrecklich und zu intim sind. Wenn der Papa wieder betrunken auf dem Sofa liegt oder die Mama morgens nicht aufsteht, weil sie Drogen konsumiert hat. Ereignisse, für die Kinder sich so sehr schämen, dass sie nicht darüber sprechen möchten. Dann nehmen manche die Handpuppe als kleine Hilfe, um große Gefühle auszudrücken. Angst und Überforderung, Verzweiflung und Einsamkeit.

Die Puppe Philipp ist freilich nur ein kleiner Teil des Projektes „Mikado“, dass der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) vor 15 Jahren aufgebaut hat. In Porz und an der Kalker Dieselstraße treffen sich Kinder und Jugendliche im Alter von sieben bis 17 Jahren einmal in der Woche, können spielen und sich bei Bedarf auch aussprechen.

18 000 betroffene Kölner Kinder

„Mikado“ ist aus der Kalker Kontakt- und Beratungsstelle entstanden. Schnell hatten die Sozialpädagogen bei der Beratung von suchtkranken Menschen bemerkt, dass auch ihre Familien unter der Situation leiden und gerade die Kinder dringend ein eigenes Angebot brauchen.

Das Deutsche Institut für Sucht- und Präventionsforschung geht von 2,65 Millionen suchtkranken Menschen in Deutschland aus. Der SKM schätzt, dass allein in Köln 18 000 Kinder in Familien leben, in denen Alkohol, Drogen, Medikamente oder Glücksspiel fast täglich eine Rolle spielen.

„Jedes sechste Kind ist betroffen“, sagt der Leiter der Kalker Kontakt- und Beratungsstelle, Norbert Teutenberg. Die Folgen für die Kinder und Jugendlichen seien oft fatal. Experten wie Michael Klein von der Katholischen Hochschule NRW schätzen, dass ein Drittel der Kinder selbst Probleme mit einer Sucht entwickeln.

Überfordert vom Zuhause

Das dreiköpfige Team des SKM in Kalk erlebt wöchentlich Kinder, die überfordert sind von ihrem Zuhause, das eigentlich ein Heimathafen sein sollte. „Wenn Eltern betrunken auf dem Sofa liegen, übernehmen ihre Kinder Aufgaben, die auf Dauer einfach zu belastend sind für sie“, sagt Teutenberg. Dann betreuen die Mädchen und Jungen kleinere Geschwister oder erledigen den Haushalt.

Oft machten sich die Kinder für die Probleme der Eltern verantwortlich – und hätten keinen Ansprechpartner, dem sie von ihren Problemen erzählen können. Viele verheimlichten aus Scham, dass ihre Eltern Drogen oder zu viel Alkohol zu sich nehmen, laden keine Freunde mehr nach Hause ein und drohten schließlich zu vereinsamen. Mitunter kommt es auch zu häuslicher Gewalt.

Projektleiterin Miriam Müller

Das zehnjährige Mädchen mit der alleinerziehenden alkoholkranken Mutter erzählt in einem Rap-Song, der im SKM entstanden ist, von ihren Geschichte: „Ich hab den Haushalt geschmissen, bin nicht einmal zur Schule gegangen. Du warst ständig nur total betrunken, anstatt für mich da zu sein“, heißt es da. Später erzählt sie davon, wie sie von zu Hause geflohen ist. Zu den Nachbarn, ins Heim, zu ihrem Vater.

Kinder, Kind sein lassen

Nun ist alles besser, auch durch die Beratung im SKM. „Ich kann endlich zu Freunden gehen, muss nicht nur zu Hause sitzen und dich betrunken sehen.“ Bei Mikado lernen die Kinder, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Oft wird in den Gruppen gespielt, schließlich sollen die Kinder Vertrauen zu den Sozialpädagogen aufbauen. „Wir wollen die Kinder Kinder sein lassen“, sagt Mikado-Leiterin Miriam Müller.

Manche Kinder bleiben Monate beim SKM-Projekt, andere Jahre. „Manche haben wir die ganze Kindheit über betreut“, so Müller. Die Zeit tut Not: Denn erst nach einigen Wochen erzählten viele Kinder von ihren Sorgen. „Manchmal hört man auf dem Hof zwei Jungs miteinander Fußball spielen, bevor der eine zum anderen sagt: »Mein Papa hat wieder getrunken«.“ Ein Satz nur, aber oft reicht das, damit sich die Kinder ausgesprochen haben und verstanden fühlen.

Mikado und Stand-up

Der Sozialdienst katholischer Männer bietet das Projekt „Mikado“ für Kinder von sieben bis elf Jahren und das Projekt „Stand-up“ für Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren an. Zudem gibt es „Mobile“ für junge Erwachsene.

Standort Kalk, Dieselstraße 17, „Mikado“, dienstags von 15.30 bis 16.45 Uhr, „ Stand-up“, dienstags 17 bis 18.30 Uhr, „Mobile“, dienstags 19 bis 21 Uhr

Standort Porz , Goethestraße 7, „Mikado“, donnerstags 16.30 bis 18 Uhr.

Kidkit, ein Projekt der Drogenhilfe in Kooperation mit dem Verein Koala bietet Kindern und Jugendlichen, die den persönlichen Erstkontakt scheuen, die Möglichkeit, per Internet Kontakt aufzunehmen:

www.kidkit.de

www.mikado.koeln/

Kontakt zu Mikado über

WhatsApp: (0178) 5555845

Nach Möglichkeit versucht das Team auch die Eltern in die Beratung einzubeziehen. So gibt es Elternabende und Ferienfreizeiten mit Erlebnispädagogen. Hier erleben sich Kinder und Eltern oft erstmals abseits vom problembehafteten Zuhause. Eltern sehen ihre Kinder zum ersten Mal klettern und die Kinder merken, dass Mama oder Papa sie aufgefangen, wenn sie beim Klettern abrutschen.

Mit Spenden mehr Hilfe möglich

Derzeit werden etwa 30 Kinder bei Mikado betreut. „Wir könnten noch mehr machen“, sagt Teutenberg. Ab Ende des Jahres soll es eine dritte Filiale in Mülheim geben. Zusammen mit dem städtischen Jugendamt und der Christlichen Sozialhilfe (CSH) sollen ein weiteres Angebot entstehen. Erst einmal für ein Jahr, dann wollen Stadtverwaltung, SKM und CSH Bilanz ziehen.