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Hochstrittige Eltern„Mama und Papa hassen sich“

Lesezeit 3 Minuten
Ein blondes Mädchen schaut traurig in die Kamera, im Hintergrund streiten sich die Eltern.

Wenn Rosenkriege der Eltern die Kinder belasten, ist das oftmals ein Fall für die Beratungsstelle.

Trennungen der Eltern bedeuten oft auch starke Konflikte für die Kinder: Hilfe gibt es in einer Leverkusener Beratungsstelle.

Auch wenn es für den Begriff „Hochstrittigkeit“ keine allgemeingültige Definition gibt, ist er zu einer gängigen Bezeichnung im Zusammenhang mit konfliktbelasteten Trennungen geworden.

Um das Kriterium hochstrittig zu erfüllen, müssen einige Rahmenbedingungen erfüllt werden: Die Kinder stehen bei mindestens einem Elternteil nicht mehr im Fokus, es gibt langanhaltende, auch gerichtliche Auseinandersetzungen, das Streitniveau nimmt selbst nach längerer Zeit nicht ab, Beratungs- und andere Hilfsangebote sind – zunächst – erfolglos geblieben.

143 hochstrittige Paare in Leverkusen

„Im vergangenen Jahr hatten wir 143 hochstrittige Eltern in der Beratung. Sie sind emotional so stark angegriffen, dass man als Berater erst mal darum kämpfen muss, die Grundregeln der Kommunikation einzuhalten“, sagt Friedhelm Müller, Diplompsychologe und Leiter der katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Leverkusen.

Friedhelm Müller ist Leiter der katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Leverkusen.

Friedhelm Müller ist Leiter der katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Leverkusen.

Die Eltern würden sich anschreien, beschimpfen, gegenseitig fertig machen – und zum Teil auch gewalttätig sein. „Meist wird das Kind dann zum Spielball zwischen Mutter und Vater – und leidet oft extrem und nachhaltig darunter, dass seine Eltern sich hassen“, sagt Müller. Einige Eltern suchen von selbst eine Beratungsstelle auf, die meisten werden von den Jugendämtern und den Familiengerichten überwiesen.

Das erzeugt einen starken Druck auf die Kinder, bis hin zu extremen Formen im Sinne des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms
Friedhelm Müller, katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Leverkusen

Müller und sein Team versuchen, zuerst die hochstrittigen Eltern gemeinsam an einen Tisch zu bekommen, um zu vermitteln und die Eskalation einzudämmen. „Oft ist es hilfreich, dass wir die Eltern in einer Einzelberatung voneinander trennen, um sie aus dem Kampf gegen den anderen rauszuholen. Später können dann die Kinder mitberaten werden, sofern die Eltern das nicht boykottieren. Das kostet viel Zeit und Personal“, sagt Müller, der mit acht Fachkräften, die zum großen Teil in Teilzeit arbeiten, neben den hochstrittigen Paaren die gesamten Aufgaben einer Erziehungsberatungsstelle bewältigen.

Kinder stehen in einem Loyalitätskonflikt

Die Kinder hochstrittiger Eltern stehen häufig in einem Loyalitätskonflikt zwischen Vater und Mutter. Versuchen sie den Wünschen des einen Elternteils zu folgen, empfindet das der andere als Ablehnung. „Das erzeugt einen starken Druck auf die Kinder, bis hin zu extremen Formen im Sinne des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms“, sagt Müller.


So können Kinder auf schwere Konflikte der Eltern reagieren

  1. Laut neuesten Ergebnissen der Bindungsforschung, können sich schwere Konflikte zwischen den Eltern, folgendermaßen auf die Kinder auswirken:
  2. Sie reagieren emotional und körperlich, empfinden Angst, Trauer und Bedrohung
  3. Sie werten sich selbst ab, geben sich die Schuld für die Konflikte, fühlen sich hilflos
  4. Sie glauben, dass Aggression eine „normale“ Konfliktlösung ist
  5. Sie versuchen, sich dem Streit durch Rückzug zu entziehen oder ihn durch aktives Eingreifen zu beenden
  6. Sie reagieren physiologisch, also körperlich, ähnlich wie auf andauernden Stress

Zwei von vielen Symptomen dieser psychischen Störung sind selbstverletzendes Verhalten, erfundene Krankengeschichten und die Unfähigkeit, das eigene Verhalten als krankhaften Zwang zu erkennen. Viele Kinder erleben in der Phase der Trennung Gewalt zwischen ihren Eltern, die sich dann auch gegen sie selbst richtet und damit zur Kindeswohlgefährdung führt.

„Beides sind beträchtliche Risikofaktoren für die psychosoziale Entwicklung des Kindes. Bei einem 18-Jährigen, der unsere Beratung in Anspruch nahm, habe ich erlebt, dass er sich noch heute schuldig fühlt, dass er damals nicht stark oder klug genug gewesen ist, einzugreifen und den Streit der Eltern zu schlichten“, sagt Müller.

Armut der Eltern erschwert konstruktive Lösungen

Armut und psychische Erkrankungen bei den Eltern erschweren konstruktive Lösungen nach einer Trennung. Typisch ist der Streit ums Geld und die Betreuungsregelung: Wer kriegt wann die Kinder, wer geht mit zum Arzt oder kommuniziert mit der Schule. „Bei den 143 hochstrittigen Paaren konnten wir in rund 30 Fällen nicht helfen. Bei weiteren 30 ist der Erfolg aus unserer Einschätzung nicht langfristig gesichert. Doch es gibt auch einst hochstrittige Elternpaare, die inzwischen konstruktiv und nachhaltig miteinander reden“, sagt Müller.

Um dem hohen Bedarf an professioneller Hilfe gerecht zu werden, würde eine neue Stelle für die Arbeit mit hochstrittigen Eltern nötig sein. „Wir möchten die psychische und physische Gesundheit der betroffenen Kinder stärken, damit sie in Zukunft eine faire Chance haben, an der Gesellschaft teilzuhaben.“

Hier gibt's Hilfe vor Ort und im Netz

  1. Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, Katholische Erziehungsberatung Leverkusen e.V., Carl-Leverkus-Str. 16, 51373 Leverkusen, (0214) 4 55 53
  2. „Familiensache Köln“, Verein zur Unterstützung von Familien in Trennung & Scheidung, Waltherstraße 49-51, Leskanpark, Haus 2, 51069 Köln, (0221) 97 77 62 93
  3. Informationen im Netz: www.hochstrittig.org