Der gemeinnützige Frechener Verein „Music4everybody“ bietet benachteiligten Jugendlichen kostenlose Kunst- und Kulturprojekte an. Im Rahmen des von „wir helfen“ geförderten Medienprojekts „Only Human“ entstand eine Dokumentarfilmreihe, die bereits auf nationalen und internationalen Filmfestivals prämiert wurde.
Integration„Unser Filmprojekt lässt Wunden heilen“
Amal läuft in einem langen weißen Kleid durch eine Kunstlandschaft aus Sand. 8000 Kilometer ist sie zu Fuß unterwegs, sechs Monate lang. Um an einen Ort zu gelangen, an dem sie sich geborgen fühlen kann. Und endlich sicher. Die 3,5 Meter große Puppe, die in der Eingangsszene den Fluchtweg von Syrien durch Europa beschreitet, steht im Dokumentarfilm „Only Human 2“, der am 12. Dezember in Frechen Vorpremiere feiert, symbolisch für die mehr als rund 42 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die derzeit weltweit auf der Flucht sind. Vor Krieg, Hunger, Naturkatastrophen. Oder Gewalt. Geschätzt eine Million von ihnen suchen Schutz in Deutschland. Eine neue Heimat. Würde. Und Heilung.
Amal ist aber auch ein Symbol für diejenigen jungen Menschen, die in unserer Region angekommen sind. Aber Erfahrungen machen mussten, für die sie viel zu jung waren. Weshalb sie sich für ihren Fluchthintergrund schämen, ihn verleugnen, um Teil unserer Gesellschaft zu sein. Die Rassismus erleben, jeden Tag und überall, ob hier oder in ihrem Heimatland.
Iranische Schwestern werden in Köln bedroht
Wie die beiden Schwestern Sahar* (alle Namen geändert) und Eflin*, die, jugendlich und auf sich allein gestellt, aus dem Iran fliehen mussten. Und in ihrem neuen Heimatort nahe Köln von ihren Landsleuten verfolgt, von Deutschen bedroht werden. „Wir standen am Bahnhof, ein Mann kam, starrte meine Schwester an und drohte ihr. Ich hatte Angst, er bringt sie um. Ich habe mich hilflos gefühlt, um Hilfe geschrien, 40 Menschen standen um uns herum, aber niemand hat reagiert,“ erzählt Sahar in einer Szene des Films.
Oder Omar*, der auf seiner Flucht miterleben musste, wie sich ein Mädchen für eine Kopie eines wichtigen Dokuments vergewaltigen ließ. „Ich wollte sterben, weil ich kein Geld hatte, ihr zu helfen.“
Oder Silas*, der in seiner deutschen Schule gemobbt und ausgegrenzt wurde. Weil er zu viele Kilos und zu viel Scham hatte, zu wenig Mut zur Gegenwehr und zu wenig Mut zum Sprechen.
Im Filmprojekt finden Jugendliche Worte für Unaussprechliches
Klare Worte für das teils Unaussprechliche finden Silas und zehn weitere Jugendliche jedoch im Laufe eines integrativen – unter anderem von „wir helfen“ geförderten – Medienprojekts des Frechener Vereins „Music4everybody“, im Rahmen dessen die Dokumentarfilmreihe entstand. Bei „Only Human“ engagieren sich Jugendliche aus aller Welt und aus unserer Region gemeinsam für Toleranz und Vielfalt. Indem sie von ihren Erfahrungen berichten und davon, wie sie über das Medienprojekt zusammengefunden haben. Unterstützt werden sie dabei von dem professionellen „Music4everybody“-Dozenten-Team, von der Regisseurin Katerina Giannakopoulou und der Kölner Filmproduktionsfirma „Cinemars“.
Der erste Teil der Filmreihe, den bereits Tausende Menschen weltweit geschaut haben, war zu Gast bei Filmfestivals im In- und Ausland und wurde unter anderem beim Social World Film Festival in Italien in den Kategorien „Beste Filmkunst“ und „Bestes Drehbuch“ prämiert. Er dokumentiert in intimen Statements die Erfahrungen der Projektteilnehmenden auf ihrer Flucht und ihr Ankommen in Deutschland.
Junge Menschen, die Gewalt erfahren haben
Der neue zweite Teil wirft – in Form von künstlerisch gestalteten Interviews, Tanz- und Gesangssequenzen – beklemmende Schlaglichter auf die erschütternden Erfahrungen, „die unsere jungen Teilnehmenden auch nach ihrer Ankunft mit Rassismus, Mobbing und Depressionen machen mussten. Viele bringen eine Geschichte mit, die sehr viel mit Gewalt zu tun hat, sie sind suizidgefährdet und müssen individuell aufgefangen werden“, sagt Wolfgang Wolter-Bergmann, der das Projekt sozialpädagogisch betreut.
Projektleiterin und Vereinsgründerin Stephi Siebert betont die hoffnungsvolle Botschaft des Films: „Er zeigt in berührenden Bildern, wie Freundschaft und Verständnis helfen können, Wunden zu heilen. Er dokumentiert die Macht der Kunst, Grenzen zu überwinden und eine Gemeinschaft zu schaffen, in der alle Teilnehmenden, ob mit Fluchterfahrung oder ohne, Freiheit erfahren können.“ Kunst öffnet, verbindet, lässt Neues entstehen. Das ist die Vereinsphilosophie von „Music4everybody“ – und es ist auch die Kernbotschaft des Dokumentarfilms, der eindrucksvoll zeigt, dass Kunst das Zeug dazu hat, Fremdheit und Angst, die den Rassismus schüren, zu überwinden.
Über sich hinauswachsen und Gemeinschaft erleben
„Mit unseren integrativen und inklusiven Musiktheater- und Medienprojekten geben wir jungen Menschen in Frechen, Zülpich, Köln, Wuppertal und Düsseldorf die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen. Hier begegnen sich junge Menschen, die sich sonst nie begegnet wären, vorurteilsfrei: Herkunft, Bildungsstand und sozialer Status spielen keine Rolle“, sagt Siebert.
Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer treten in diesem Dokumentarfilm, wie in den meisten Projekten des Frechener Vereins, nicht nur als Schauspielende auf, sie singen, tanzen, komponieren, gestalten das Bühnenbild. Und können dabei vor allem eins sein: Einfach Mensch. Only human, eben.
Insgesamt 1500 Teilnehmende, meist junge Geflüchtete und deutsche Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 27 Jahren, fördert der Verein mit seinen 50 freien und fünf festangestellten Mitarbeitenden jährlich in schulischen und außerschulischen Kulturprojekten. Gegründet wurde er im Jahr 2008 um jungen Menschen, die sich keine Konzertkarte, geschweige denn eine künstlerische Ausbildung leisten können, einen kostenfreien Zugang zur Kunst zu ermöglichen. Gemeinsam gestalten sie seitdem Ausstellungen, inszenieren Musicals, entwickeln Hörspiele und drehen Filme.
Jedes Projekt findet seinen Abschluss auf einer großen Bühne. Wie auch die Präsentation von „Only Human 2“, die am Montag, 12. Dezember, im Stadtsaal Frechen – neben einem beeindruckenden Dokumentarfilm auch mit einer Live-Performance überraschen wird.