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Integrationsprojekt„Der Krieg hat uns auch die Hobbys genommen“

Lesezeit 4 Minuten
Kinder und Jugendliche tragen ein weißes T-Shirt mit dem lila-farbigen Logo des „Kompass“-Projekts, im Rahmen dessen der Kölner Verein Phoenix Kreativ-Kurse angeboten hat.

Ukrainische Kinder und Jugendliche haben die „Kompass“-Kunst- und Technikkurse des Kölner Vereins Phoenix sehr genossen.

Der Kölner Verein „Phoenix e.V.“ hat geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche und bedürftige junge Menschen aus der Region mit Kreativ-Kursen gestärkt. Jetzt fehlt dafür das Geld.

Rinat, 14, möchte Tennis-Profi werden, hat dafür in seiner ukrainischen Heimat sieben Jahre lang, viermal in der Woche, hart trainiert. Bis Putins Angriffskrieg seiner Tennis-Karriere einen Strich durch die Rechnung machte. Dariia, 13, war bis dato Leistungsschwimmerin, Ihor, 14, arbeitete mit Verve daran, seinem Traumberuf Programmierer näherzukommen. Viele andere Kinder und Jugendliche turnten, malten, sangen in ihrer Freizeit oder waren anderweitig kreativ und sportlich aktiv – „Sie waren es gewohnt, nach der Schule Kurse auf technisch hohem Niveau zu besuchen“, sagt Anna Rudy, von dem Kölner Verein „Phoenix“ – und Rinat fügt an: „Aber der Krieg nahm uns neben vielem anderen auch unsere Hobbys.“

Stabilität im krisenhaften Alltag

Gemeinsam mit fünf weiteren ukrainischen Jugendlichen, deren Müttern und Dozentinnen sitzt Rinat heute, ein Jahr nach Kriegsausbruch, in einem Workshop-Raum von „Phoenix“ – mit Blick auf das Herkules-Hochhaus. Und erzählt sehr bewegt davon, wie ihm die „Kompass“-Workshops von „Phoenix“ die Ankunft und Wartezeit in Köln erleichtert und ein wenig Normalität und Stabilität in den krisenhaften Alltag gebracht haben.

Zwei Teenagerinnen mit geflochtenen Haaren stehen vor einem großen Tisch und basteln einen Vogel aus Pappe

Dariia, 13 und ihre elfjährige Schwester Yvehniia im Kreativ-Workshop

„Kompass“ ist ein Projekt, das das Kultur- und Integrationszentrum „Phoenix“ kurzerhand aus der Taufe hob, „als wir nach dem Ankommen der Geflüchteten aus der Ukraine und ersten existenziellen Hilfestellungen festgestellt haben, dass es bei den Kindern und Jugendlichen einen enormen Bedarf an sinnvollen Freizeit-Angeboten gibt“, sagt Ralf Berger von „Phoenix“.

Diese Kinder haben eine Geschichte der Verunsicherung, Entwurzelung und Orientierungslosigkeit erlebt. Der Drang, aus dieser belastenden Lebenssituation für ein paar Stunden auszubrechen, ist immens
Anna Rudy, Verein Phoenix

„Diese Kinder und Jugendliche haben eine Geschichte der Verunsicherung, Entwurzelung und Orientierungslosigkeit erlebt. Der Drang, aus dieser belastenden Lebenssituation für ein paar Stunden auszubrechen, ist immens. Dieses Bedürfnis kann die Schule allerdings nicht befriedigen“, sagt Anna Rudy. Im vergangenen Jahr hat „Phoenix“ deshalb Kindern und Jugendlichen mithilfe einer Förderung der „Aktion Mensch“ schulbegleitend Kurse in den Bereichen Theaterpädagogik, Kunst, Animationsfilm, Programmieren, Deutsch/Englisch und Gesang angeboten. Zuvor hatten die Mitarbeitenden den Bedarf an genau diesen Kursen bei den Kindern und Jugendlichen abgefragt.

Geflüchtete Mütter als Dozentinnen

Zusätzlich gab es Exkursionen und Ausflüge in Städte und Museen, um bei den jungen Menschen den Bezug zur Region zu stärken – und Orientierungshilfe zu bieten. Geleitet haben die Workshops zweisprachige „Phoenix“-Mitarbeitende und geflüchtete Ukrainerinnen. Wie Diana Khodiachykh, die in ihrer Heimat als Kunstdozentin professionelle Trickfilme hergestellt hat – und ihr Können in einem „Kompass“-Kurs unter anderem an Dariia und ihre elfjährige Schwester Yerheniia weitergab.

Stolz präsentiert die Elfjährige den selbst kreierten Animationsfilm „Rotkäppchen und der Ziegenbock“ – „natürlich mit Happy End“, sagt das Mädchen, das sich selbst eines wünscht: die Neuauflage der Kurse. Doch dafür fehlt im zweiten Kriegsjahr das nötige Geld – und auch das Personal. Im Dezember lief die Förderung der „Aktion Mensch“ aus. Wie die meisten Hilfsorganisationen verwendet sie ihre Mittel derzeit für humanitäre Hilfe im Kriegsgebiet. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit unseren regulären Integrations- und Jugendhilfeprojekten beschäftigt und können diese Kurse nicht zusätzlich noch ein Jahr lang leisten“, sagt Ralf Berger.

Ein Workshop als Ersatzfamilie

„Der Workshop war wie ein Schatz für meine Töchter, eine Art Ersatzfamilie, endlich konnten sie ihre künstlerischen Neigungen wieder ausleben, sich entfalten, haben nebenbei viel schneller Deutsch gelernt und Freundinnen gefunden“, sagt ihre Mutter Kateryna Matveeva– und fügt bedrückt an: „Diese Stütze hätte ich ihnen alleine nicht bieten können, ich bin sehr belastet, lebe in ständiger Angst um meinen Mann, der in der Ukraine zurückgeblieben ist.“

Der Kurs schenkte mir ein bisschen Leichtigkeit in einer schweren Zeit
Dariia,„Kompass“-Teilnehemerin

Tochter Dariia bestätigt, dass der Kurs ihr die Chance gegeben hat, sich auszudrücken, in einer Zeit, in der sie Deutsch schlecht beherrschte, „er schenkte mir ein wenig Leichtigkeit in einer schweren Zeit.“ „Schönes Lernen“ bezeichnet das Sophie. Die 17-Jährige hat einen Gesangskurs bei ihrer Schwester besucht. Daria Telytchenko, 27, ist studierte Sängerin und Kinderpsychologin und weiß, wie förderlich Kreativität und Hobbys für die mentale Gesundheit sind. „Viele unserer Kinder sind traumatisiert, aber Studien belegen, dass sich 80 Prozent der leichten oder mittleren Traumatisierungen durch Sicherheit und eine positive Lebensgestaltung von selbst auswachsen.“

„Als Jugendhilfeträger möchten wir auch künftig das Empowerment junger Menschen, ob mit oder ohne Fluchterfahrung, durch Kreativkurse stärken“, sagt Berger. Und damit auch einen Beitrag leisten für den sozialen Zusammenhalt. Aus Umfragen geht hervor, dass mehr als 50 Prozent der Geflüchteten in Deutschland bleiben wollen.