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Integratives KletternHöhenflug statt tiefer Fall

Lesezeit 4 Minuten

Klettern gibt Kraft und Mut, das eigene Leben gestalten zu können.

Köln – Julia* ist erst 14 Jahre alt und wollte sich vor eineinhalb Jahren das Leben nehmen, verbrachte anschließend viele Wochen stationär in einer Kölner Klinik. Max* (9) lebt nicht selten isoliert von der Außenwelt in seiner ganz eigenen. Sophies*(6) und Marcs* (8) Eltern sind psychisch krank, die Geschwister häufig auf sich alleine gestellt.

Dienstags zwischen 16 und 18 Uhr ist das anders. Dann erleben die insgesamt acht Kinder und Jugendlichen das, was einigen von ihnen im Alltag häufig schmerzlich fehlt: Gemeinschaft. Geborgenheit. Glücksgefühle. Sie alle stammen aus sogenannten Multiproblemfamilien, in denen die Eltern oder die Kinder beispielsweise chronisch krank, seelisch oder körperlich beeinträchtigt sind. Familien, in denen Gewalt, Drogen, Armut, Isolation, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder Trennungen zum Alltag gehören.

Tina Heinen zeigt kinderleichtes Sichern.

Wenn Tina Heinen und ihre Kolleginnen vom Kölner Verein „wir für pänz e.V.“ in der Kletterfabrik Köln ihr inklusives Projekt anbieten, dann geht es für die Jungen und Mädchen, von denen das/der ein oder andere schon Tiefpunkte durchleben mussten, hoch hinauf. Dann wird Vertrauen geschenkt und gegeben. Denn beim Klettern geht es um Höhenflüge, statt um den tiefen Fall. Um Erholung und Entlastung.

An den eigenen Grenzen wachsen

„Wir versuchen, die Kinder zu tragen, um eventuelle Benachteiligungen, mangelnde Förderung oder fehlendes Vertrauen in ihren Familien auszugleichen“, sagt Sozialpädagogin Tina Heinen, die das Kletterprojekt vor drei Jahren aus der Taufe hob, weil sie am eigenen Leib erfahren durfte, „wie stark man wachsen kann in Konfrontation mit den eigenen Ängsten und Grenzen.“

Da ist zum Beispiel Tom*(12), der vor drei Jahren total verängstigt zum Kletterprojekt kam. Ein Jahr lang stieg er nicht höher als drei Meter, heute sieht man ihn, wenn man seinen Kopf ganz weit nach hinten neigt, am höchsten Punkt der Halle in 14 Meter Höhe. Oder Miriam*(7), die beim Kletterprojekt vergaß, dass sie für gewöhnlich nicht spricht – und von heute auf morgen klare Anweisungen gab. Das Mädchen verstummte nach der Trennung seiner Eltern, litt unter selektivem Mutismus, womit Psychologen eine emotional bedingte psychische Störung bezeichnen.

Wer Max und Sophie dabei beobachtet, wie sie sich gegenseitig sichern und anfeuern – „Komm schon Max, hab keine Angst, ich halte Dich gaaaaaaanz fest“ – der kann kaum glauben, dass die beiden kaum soziale Kontakte oder Gruppenerfahrung haben. Weil Max aufgrund seiner Autismus-Spektrum-Störung von vielen Gleichaltrigen nicht akzeptiert wird, und Sophie durch die psychische Erkrankung ihrer Eltern generell sehr isoliert lebt.

Sportlicher Erfolg macht stark.

Das Leben auch alleine meistern

„Klettern eignet sich ganz hervorragend dazu, kooperatives Verhalten zu schulen. Beim gegenseitigen Sichern erfahren die Kinder, dass sie sich auf ihre Partner verlassen können und lernen, Verantwortung für andere zu übernehmen. Schließlich hängt da nicht mehr und nicht weniger als ein Menschenleben am Seil“, sagt Tina Heinen. Dadurch werde ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen aufgebaut. Darüber hinaus erfahren die Jungen und Mädchen, dass der sportliche Erfolg meist erst durch Teamwork möglich wird. Und durch Vertrauen in das eigene Tun. „Daraus schöpfen unsere Kinder und Jugendlichen Kraft – und Mut, das eigene Leben zu gestalten“, weiß Heinen.

So können Sie helfen

Mit „wir helfen: weil alle Kinder eine Chance brauchen“ bitten wir um Spenden für Projekte, Initiativen und Vereine, die benachteiligte Kinder und Jugendliche in unserer Region unterstützen. Bislang sind 1241360,73 Euro eingegangen.

Die Spendenkonten lauten:

Kreissparkasse Köln, IBAN:

DE03 3705 0299 0000 1621 55

Sparkasse Köln-Bonn, IBAN:

DE21 37050198 0022252225

Kontakt: „wir helfen e.V.“, Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, 0221/224-2789 (Förderung), -2840 (Spenden), -2130 (Redaktion), www.wirhelfen-koeln.de

Der Verein „wir für pänz“ kümmert sich seit 30 Jahren mit einem breitgefächerten Beratungs- und Hilfsangebot um Familien mit Kindern, die durch chronische Krankheit, Behinderung, Entwicklungsverzögerung oder durch Armut benachteiligt sind – mit dem Ziel, sie zu befähigen, schwierige Lebenssituationen selbstständig zu bewältigen. Kurz: Es geht um Prävention, Hilfe zur Selbsthilfe und Inklusion. Weshalb beim Kletterprojekt alle Kinder willkommen sind – egal welcher Herkunft, ob mit oder ohne Handicap. Und auch die Eltern sind eingeladen, anzufeuern, zu loben oder zu sichern.

Spendenfinanziertes Projekt für benachteiligte Familien

„Da 90 Prozent der von uns betreuten Familien in finanziell prekären Lebenssituationen leben, können wir den Kurs nicht durch Teilnahmegebühren finanzieren, sondern sind im Gegenteil auf Spenden angewiesen, auch von »wir helfen«, um den Kindern die Kosten für den Kurs erstatten zu können“, sagt „wir für pänz“-Geschäftsführerin Petra Gast und rechnet vor: „Hinzukommt das Gehalt der drei Fachkräfte plus der Halleneintritt, macht 6000 Euro pro Jahr.“

Gemeinschaft wird groß geschrieben.

Hilfe anzunehmen setzt voraus, die Hoffnung zu haben, dass Hilfe positive Veränderung mit sich bringen kann. Im Fall der „Kletter-Kinder“ ist das keine Frage – um nur drei Erfolgsgeschichten zu nennen: Tom hat in der Kletterfabrik gelernt, mit seinen Ängsten umzugehen – und sie zu überwinden. Miriam spricht wieder – auch außerhalb der Klettergruppe. Und Julia ist psychisch stabil – hat ihren Geburtstag mit den neuen Kletter-Freunden in der Halle gefeiert.

*Namen geändert