Zum Start des neuen „wir helfen“-Aktionsjahres spricht Elke Büdenbender, die Frau des Bundespräsidenten, über Zukunftskompetenzen von Kindern.
Interview mit der „First Lady“„Unsere Jugend braucht Future Skills“
Etliche Umfragen, so auch die aktuelle Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“, bestätigen: Unsere Jugend blickt besorgt in die Zukunft, ist verunsichert und hat das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit verloren. Das zeigt, wie dringend notwendig es ist, die junge Generation mit Zukunftskompetenzen auszustatten, welche „Future Skills“ benötigen sie genau?
Elke Büdenbender: Zu dem Rüstzeug, das wir jungen Menschen in unserer zunehmend digitalisierten und globalisierten Welt mitgeben müssen, zählt in erster Linie Bildung. Sie ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. Allerdings hat sich auch unsere Arbeitswelt enorm gewandelt und stellt ganz neue Anforderungen. Mehr als reines Schulwissen sind deshalb heute Fertigkeiten gefragt, wie etwa Handlungs-, Methoden- und Urteilskompetenz.
Nicht zu vergessen: digitale Kompetenzen!
Zu verstehen, wie Algorithmen und soziale Netzwerke funktionieren, und zu wissen, wie man an Informationen kommt und sie richtig bewertet, ist enorm wichtig. Zu den sogenannten Future Skills gehören daneben aber auch Kompetenzen jenseits des Digitalen, denn das menschliche Miteinander im Alltag ist und bleibt wichtig: Teamfähigkeit, Fähigkeit zu respektvoller Kommunikation, Kritik- und Kompromissfähigkeit sowie Kreativität für Problemlösungen.
Viele Herausforderungen, die junge Menschen heute belasten, werden nicht verschwinden. Wie können wir sie dafür wappnen?
Die Welt wird nicht einfacher, sondern eher noch komplexer werden. Es braucht also eine bessere Fähigkeit, mit Unsicherheiten und Stressoren umzugehen, etwa mithilfe von Resilienz.
Bereitet unser Schul- und Bildungssystem junge Menschen derzeit ausreichend auf die Zukunft vor?
Der klassische Fächerkanon reicht – so wichtig er nach wie vor ist – allein nicht mehr aus, um den Anforderungen dieser Welt gerecht zu werden. Das Lernen und das Aneignen von Wissen sollten exemplarisch sein. Das heißt, Kinder und Jugendliche sollen lernen zu lernen, um sich so kompetent auch in anderen Feldern neues Wissen aneignen und handeln zu können. Wir wissen um die viel zu hohe Zahl von Schülerinnen und Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen oder die Zahl derer, die nur unzureichend über die erwähnten wichtigen Schlüsselkompetenzen und ‚Future Skills‘ verfügen. Und wir wissen um die Belastung und die Folgen, etwa psychische Erkrankungen, unter denen viel zu viele junge Menschen leiden. Tatsache ist aber auch, dass die Mehrheit der jungen Menschen erfolgreich einen Schulabschluss erreicht, in Ausbildung und Studium wechselt und einen Platz in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft findet. Die Frage lässt sich also nicht pauschal beantworten.
Dennoch scheitert unser Bildungssystem noch viel zu oft daran, jungen Menschen wichtige Kompetenzen zu vermitteln.
Das ist richtig und macht den Handlungsdruck deutlich, vor dem wir stehen. Wir müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen, die Schülerinnen und Schüler mitbringen, stärker berücksichtigen und die Schulen und die Lehrkräfte viel stärker unterstützen. Und dürfen dabei nicht vergessen: Lernen fängt in der Kita an! Es geht um die Zukunftsperspektiven der jungen Menschen und um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, die schon aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftebedarfs ein enormes Interesse daran haben sollte, stärker in die Bildung zu investieren.
Im nationalen Bildungsbericht steht schwarz auf weiß, dass Bildung in Deutschland noch immer ungerecht ist und der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft abhängt.
Es kann noch viel mehr von den Schulen und den Lehrerkollegien gelernt werden, denen es schon heute erfolgreich gelingt, jungen Menschen auch aus schwierigen sozialen Lagen den Weg zu ebnen. Aber wir brauchen zudem eine besondere Förderung von und Geld für Schulen mit besonderen Problemlagen. Gerade hier sollten Schulgebäude Orte sein, an denen sich Kinder und Jugendliche wohlfühlen. Und an denen Lehrkräfte besonders unterstützt werden. Hier müssen soziale Netzwerke um die Schulen herum auch in die Familien wirken. Zum Glück gibt es einige Organisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen, die hier unterstützen und eine Lücke füllen.
Gibt es Leuchtturmprojekte?
Ich bin Schirmherrin von ‚Teach First Deutschland‘. Hochschulabsolventinnen und -absolventen aller Fachrichtungen unterstützen hier – im wie außerhalb des Unterrichts – junge Menschen an Schulen in benachteiligten Stadtteilen und vor allem beim Übergang von Schule in den Beruf, beziehungsweise in den letzten beiden Schuljahren. Diese sogenannten Fellows haben oft einen leichteren Zugang zu den Schülerinnen und Schülern als die Lehrkräfte, weil sie eben keinen Benotungsdruck haben. Ein sehr erfolgreiches Konzept, denn hier werden junge Menschen gezielt unterstützt, die diese Unterstützung zu Hause nicht bekommen. Jeder Mensch möchte gesehen und mit seinen Sorgen ernst genommen werden. Auch ‚Lern Fair‘ ist eine wunderbare Initiative, die ich als Schirmherrin unterstütze. Hier erhalten Schüler in Lernpaaren digitale Hilfe bei den Schularbeiten und in der Vorbereitung auf Prüfungen. Über die gemeinsame Schularbeit findet quasi nebenbei praktische Lebenshilfe statt. Gerade vor kurzem habe ich das Max-Weber-Berufskolleg in Düsseldorf besucht. Hier wird KI wie Chat GPT nicht abgelehnt, sondern äußerst sinnvoll in den Unterricht integriert. Dem muss auch das Bewertungssystem angepasst werden. Den Schülern wird das zielgerichtete Prompten beigebracht und die Prompts hinterher bewertet. Mündliche Prüfungen ergänzen die Note, denn da kann niemand schummeln.
Warum ist das Engagement der Kinder und Jugendlichen so wichtig?
Junge Menschen erleben sich damit als selbstwirksam, weil sie im Engagement wichtige, eben genannte Kompetenzen, im Miteinander erwerben. Weil Engagement das Gefühl, gebraucht zu werden, in der Gemeinschaft tätig zu sein und Lebenssinn vermittelt. Und es ist wichtig, weil Kinder und Jugendliche damit Verantwortung für sich und andere übernehmen, sich und ihre Interessen einbringen können – ob in der Schule, im Verein oder Jugendparlament. Das tut diesen gesellschaftlichen Räumen gut und es stärkt unsere Demokratie.
Nicht allein das Bildungssystem ist verantwortlich dafür, dass junge Menschen den Mut und die Kompetenzen erhalten, ihr Leben von morgen zu gestalten. Was kann jede und jeder von uns tun?
Wir sollten junge Menschen ernst nehmen, ihnen zuhören, offen und auf Augenhöhe mit ihnen sprechen. Offen sprechen bedeutet nicht, sich die Position junger Menschen zu eigen zu machen. Gerade die Reibung mit Erwachsenen ist für Jugendliche wichtig. Es heißt, wirklich zuzuhören, ergebnisoffen in den Austausch zu gehen und die eigene Meinung, wo sie der der Kinder und Jugendlichen vielleicht entgegensteht, gut zu begründen. Wir sollten uns unserer Vorbildfunktion bewusst sein: Wie nutzen wir unser Smartphone? Gehen wir höflich und respektvoll miteinander um? Wie reagieren wir auf Unsicherheiten und Sorgen? Sind wir bereit, uns für Kinder und Jugendliche zu engagieren?
Gerechte Bildung ist Ihr Herzensprojekt. Warum setzen Sie sich genau hierfür ein?
Weil wir in unserer Gesellschaft auf kein einziges und vielseitiges Talent verzichten können. Jeder Mensch bringt Interessen und Fähigkeiten mit – dabei sind sie nicht besser oder schlechter, sondern einfach nur anders. Und nur alle zusammen ergeben das Ganze.
Elke Büdenbender, geboren 1962, ist Richterin am Verwaltungsgericht Berlin und seit 1995 mit dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verheiratet. Sie nimmt damit die Rolle der „First Lady“ in Deutschland ein. Elke Büdenbender engagiert sich u.a. als Schirmherrin vieler Organisationen (z.B. Unicef, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung) für mehr Bildungs-, Teilhabe-Gerechtigkeit in Deutschland und dass unsere Jugend „zukunftsstark“ wird.