InterviewSchmökern für mehr Weltklasse
Köln – Herr Gritz, Ihr Verein „Run and Ride for Reading“ hat mehr als 80 Leseclubs an Schulen in der Region eingerichtet – also Leseräume samt Mobiliar, Büchern, elektronischen Medien und begleitenden Seminaren. Ist das nicht Aufgabe des Staates?
Zur Person
Oliver Gritz ist Gründer und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Run and Ride for Reading“, der bislang mehr als 80 Leseclubs an Schulen in der Region eingerichtet hat und betreibt.
Man könnte meinen, dass in Zeiten, in denen es dringend nötig ist, dass Schülerinnen und Schüler gerne selbstständig lernen, eine attraktive, moderne Schulbibliothek ein absolutes Muss wäre. Leider kenne ich keine Grundschule mit einer funktionierenden Schulbibliothek. Lehrermangel, schlechte Ausstattungen und traurige Schulinfrastrukturen in Form von teils miserablen Gebäudezuständen tragen dazu bei, dass unsere Kinder nicht angemessen unterrichtet werden können. Das ist meiner Meinung nach eine Katastrophe – gerade vor dem Hintergrund massiver gesellschaftlicher Veränderungen.
Auf welche gesellschaftlichen Veränderungen spielen Sie konkret an – und inwiefern tangieren sie die Bildung?
Unsere Gesellschaft wird von zwei Strömungen unter Druck gesetzt. Da ist zum einen die Tendenz, dass immer mehr Arbeiten, die früher in Deutschland erledigt wurden, ins günstigere Ausland verlagert werden. Zusätzlich werden infolge der rasant fortschreitenden Digitalisierung immer mehr Arbeitsstätten automatisiert. Wir dürfen uns als Gesellschaft nicht von den Veränderungen überwältigen lassen und in einen Tiefschlaf verfallen. Wir müssen neue Ideen, neue Strategien entwickeln, kreativ und zielgerichtet in die Zukunft investieren – und unser Bildungsniveau auf breiter Front erweitern.
Infoabend Leseclubs im studio dumont
Hauptidee des Leseclub-Konzepts ist die spielerische Beschäftigung mit Lesestoffen und -medien, ohne Leistungsdruck, mit Freude und dem Ziel, an Schulen möglichst frühzeitig die Lese- und Lernkompetenz der Schüler zu fördern. Leseclubs steigern somit auch die Chancengleichheit und die soziale Integration.
Infoabend: Gemeinsam mit NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer informiert der Verein „Run an Ride for Reading“, der rund 80 Leseclubs an Schulen im Köln-Bonner Raum eingerichtet hat und auch betreibt, über die Idee und das Konzept der Leseclubs. Außerdem geht es an diesem Abend um die mangelnde Ausstattung an unseren Schulen und welche positiven Veränderungen Leseclubs bieten.
Leseclub-Demonstration am Mittwoch, 20.November, 20 Uhr, studio dumont, Breite Str. 72, 50667 Köln, freier Eintritt
Welchen Beitrag können Leseclubs Ihrer Meinung nach dazu leisten?
Eine elementare Voraussetzung, den genannten Veränderungen nachhaltig zu begegnen sind gebildete und verantwortlich handelnde Bürger. Lesen ist DER Schlüssel zu Bildung – und Verantwortung. Dafür braucht es allerdings den Willen, lebenslang mit Leidenschaft zu lernen und zu üben. Diese Motivation bei Kindern und Jugendlichen zu fördern, war vor elf Jahren unser Antrieb, den Verein »Run and Ride for Reading« ins Leben zu rufen – mit dem ambitionierten Ziel, möglichste alle Schulen in der Region mit einem Leseclub auszustatten.
Wenn der Hauptantrieb Ihres Vereins ist und war, Kinder dazu zu bringen, gerne lernen zu wollen – bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass das Schulen nicht leisten können?
Ich bin der persönlichen Überzeugung, dass unser Schulsystem nicht darauf ausgerichtet ist, Lust am Lernen zu erzeugen – sondern die Lehrpläne einzuhalten. Die allermeisten Lehrmaterialien turnen offengestanden doch eher ab, als dass sie Schülerinnen und Schüler dazu anregen, auch in ihrer Freizeit freiwillig und gerne zu lesen.
Wie wichtig sind Lesefähigkeiten in digitalen Zeiten? Gibt es in Ihren Leseclubs auch digitalen Lesestoff?
Es gibt Internetanschlüsse, Laptops und Seminare, in denen Schüler lernen, wie man Youtube-Videos erstellt. Digitale Kompetenzen zu vermitteln, ist uns sehr wichtig – wir sind ja keine Lesepuristen. Im Gegenteil: Ein Computer, Zugang zu Internet und sozialen Medien sind unerlässlich, um in der digitalen Welt mitzuhalten, in der Informationen immer schneller und in größeren Massen zur Verfügung stehen. Um dieser Informationsflut Herr werden zu können, ist man gut damit beraten, gut lesen zu können.
Auf den Punkt gebracht: Lesen hilft ...
..zu verstehen, wie die Welt funktioniert und sich besser in ihr positionieren zu können.
Sie haben gerade das Buch „Weltklasse – Die Welt braucht Dein bestes Du“ veröffentlicht. Was ist Ihr bestes Sie?
Meine Begeisterungsfähigkeit und meinen Einfallsreichtum würde ich in den Ring werfen – und auch mein organisatorisches Geschick. Alle diese Fähigkeiten und Eigenschaften haben mir dabei geholfen, viele meiner Ziele in die Tat umzusetzen – das ist meiner Meinung nach auch die wichtigste Funktion des Lernens und des Lesens.
Allem organisatorischen Geschick zum Trotz haben Sie das Ziel, alle Schulen in der Region mit Leseclubs auszustatten noch nicht erreicht. Warum?
Dafür fehlt es vor allem an Sponsoren, so viele Benefiz-Läufe und Radfahrten können wir gar nicht organisieren, um die zusätzlichen Kosten für die rund 100 fehlenden Leseclubs zu stemmen. Die Einrichtung und der Erhalt eines Clubs kosten für drei Jahre rund 9000 Euro – ab dem vierten Jahr jährlich 1000 Euro.
Deutschland im Tiefschlaf – Weltklasse geht anders, schreiben Sie in Ihrem Buch. Inwiefern können Leseclubs helfen, unser Land wachzurütteln?
Indem sie einen Beitrag dazu leisten, dass sich jeder Einzelne freiwillig bildet, Fantasie und Kreativität entwickelt, und damit die besten Voraussetzungen dafür hat, einen wertvollen Beitrag an die Welt zu leisten.
Statements von Lehrern und Lesepaten
Für unsere Arbeit ist der Leseclub an unserer Schule besonders hilfreich, ...
Christiane Miersch-Widmann, Lehrerin an der Milos-Sovak-Förderschule, Hürth
Rainer Becker, Lesepate der Brüder-Grimm-Gemeinschaftsgrundschule Hürth-Gleuel
Melanie Rausch, Lehrerin an der Milos-Sovak- Förderschule, Hürth
Eva Ahl, Lehrerin an der Kopernikus-Schule, Köln-Porz
Kurt Schürmann, Lesepate an der Brüder- Grimm-Grundschule Hürth-Gleuel
Angelika Westkamp, Lehrerin an der Kopernikus-Schule, Köln-Porz