Laut einer neuen Studie der Landesmedienanstalt NRW geraten immer mehr Kinder immer früher an harte Pornografie im Internet. So können Eltern sie schützen.
Kinder und Pornografie im Netz„Ich habe Dinge gesehen, die ich lieber nicht gesehen hätte“
Nie zuvor in der Geschichte war es für junge Menschen ein derart leichtes Kinderspiel, an harte Pornografie zu gelangen wie im digitalen Zeitalter. Seitdem das Internet deren Alltag beherrscht, sind Pornos für immer mehr Mädchen und Jungen nur ein paar Klicks von ihrer Lebenswelt entfernt. Sie werden bewusst oder leichtfertig im Gruppen-Chat geteilt oder ungefragt von Fremden zugespielt. Kinder gelangen über eine Werbeanzeige auf weitergeleitete, einschlägige Seiten oder suchen im Netz gezielt nach sexualitätsbezogenen Erfahrungen und Orientierung.
Dass immer mehr junge Menschen immer früher mit pornografischen Inhalten im Internet konfrontiert werden, hat jetzt erneut eine repräsentative Befragung im Auftrag der Medienanstalt NRW ergeben. Zwar waren die teilnehmenden 3.000 Kinder und Jugendlichen „schon“ im Alter zwischen elf und 17 Jahren – doch Medienexpertinnen, -experten und Lehrkräfte wissen längst, dass vermehrt auch Grundschulkinder mit Pornografie online „in Berührung“ kommen.
Jeder dritte Elf- bis 17-Jährige hat schon einmal einen Porno im Netz geschaut
42 Prozent der in der aktuellen Untersuchung befragten Minderjährigen, also mehr als jeder dritte elf- bis 17-jährige junge Mensch in Deutschland, hat sich schon mindestens einmal einen Porno im Netz angeschaut. Das bedeutet einen deutlichen Anstieg, denn im Jahr 2023 waren es noch 35 Prozent. Die Hälfte der jungen Betroffenen hat dabei laut eigener Aussage „Dinge gesehen, die ich lieber nicht gesehen hätte“.
Mehr noch: Minderjährige stellen auch immer öfter selbst pornografisches Material her und verschicken es. Das Phänomen nennt sich „Sexting“, setzt sich zusammen aus den Wörtern „Sex“ und „Texting“, und bezeichnet den Austausch erotischer Nachrichten, Fotos und Videos. „Sexting“ war in der Studie ebenso Thema wie die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen mit Pornografie.
Kriminalstatistik: Immer mehr junge Menschen produzieren und verbreiten pornografische Inhalte
So gaben 25 Prozent der Befragten an, bereits eine Textnachricht mit sexuellem Inhalt, Nacktbilder, -videos oder Emojis mit eindeutigen sexuellen Absichten erhalten zu haben – mehr als drei Viertel davon unaufgefordert. 21 Prozent sagten, selbst schon „gesextet“ zu haben. Auch die polizeiliche Kriminalstatistik von 2022 zeigt, dass die „Verbreitung pornografischer Schriften“ stetig steigt – und dass rund 41 Prozent der Tatverdächtigen unter 18 Jahre alt sind.
Einen kausalen Zusammenhang zwischen frühem Pornokonsum und dem Kontakt mit selbsterstelltem pornografischem Material, also Sexting, konnten die Studienmacherinnen und -macher zwar nicht nachweisen. Doch der Verdacht liegt nahe: Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 42 Prozent, die angaben, einen Porno gesehen zu haben und zu sexten, sagten auch, sich durch Pornos für ihr Sextingverhalten inspirieren zu lassen. Die Studienverantwortlichen bezeichnen das Ergebnis insgesamt als „besorgniserregend“. Vor allem, weil der Erstkontakt immer früher geschieht: 26 Prozent der Unter-13-Jährigen haben bereits Pornos geschaut.
Pornografische Darstellungen gefährden Kinder in ihrer Entwicklung
Das große Problem: Kinder und Jugendliche können das Gesehene häufig nicht richtig einordnen. So bewertet nur gut ein Viertel der Beteiligten Pornos als unrealistisch. Medienexpertinnen sowie Kinder- und Jugendpsychiater warnen: Werden junge Menschen zu früh – vor allem mit gewalttätigen, idealisierten, unrealistisch dargestellten – sexualisierten Inhalten konfrontiert, kann sie das massiv verunsichern, überfordern, nachhaltig beeinträchtigen und sie damit in ihrer Entwicklung gefährden.
Darüber hinaus hat der frühe Konsum von Pornografie häufig gravierende Auswirkungen auf ihr Verständnis von Sexualität, Liebe und Partnerschaft. Oft führe der frühe Konsum von Pornografie dazu, dass Kinder und Jugendliche ein verzerrtes Bild davon erhalten, was Beziehungen ausmacht. Sie setzen dadurch Sexualität mit Wertschätzung gleich und glauben, sie seien nur dann attraktiv und begehrenswert, wenn sie sich wie die dort gezeigten Personen verhalten. Statt Vertrauen, Respekt und gegenseitigem Einverständnis vermitteln pornografische Darstellungen meist ein einseitiges, gewaltvolles und nicht gleichberechtigtes Bild von Sexualität und Partnerschaft.
„Für Eltern oder Lehrkräfte, die in Zeiten von dunklen Videotheken oder meinetwegen DVDs auf dem Schulhof aufgewachsen sind, ist es schwer vorstellbar, wie einfach Kinder und Jugendliche heute an Pornografie kommen – geschweige denn, können sie sich vorstellen, ihre Kinder würden solches Material selbstständig verschicken. Aber die Studie zeigt es eindeutig: Das passiert“, betont Tobias Schmid. Der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW appelliert an die Verantwortung aller, Minderjährige zu schützen – mittels Aufklärung, Anlaufstellen im Alltag und einem zuverlässigen Jugendmedienschutz im Digitalen.
Politik ist gefragt: Social-Media-Inhalte für Kinder sicherer machen
„Mit Angeboten wie den Medienscouts NRW und unserem Vorgehen gegen den fehlenden Jugendschutz bei den größten Pornoplattformen der Welt nehmen wir uns dem Thema an“, betont Schmid. Dringenden Handlungsbedarf sieht er bei Plattformen wie WhatsApp oder Snapchat, die zu einem sicheren Ort werden müssten – was bedeutet, dass Bilder und Videos mit unpassenden Inhalten nicht einfach an Minderjährige ausgespielt werden dürfen. „Vor allem müssen auf politischer Ebene dringend Taten folgen. Die Europäische Kommission hat uns mit dem neuen ‚Digital Service Act ‘versprochen, diese Problembereiche in den Griff zu bekommen. Es wäre schön, wenn sie es jetzt auch halten würde.“
So können Kinder vor Pornografie im Netz geschützt werden
- Kinder beim Surfen begleiten: Um das nötige Vertrauen aufzubauen, dass Kinder sich an sie wenden, wenn sie mit entsprechendem pornografischen Material konfrontiert werden, sollten Eltern ihr Kind von Beginn an beim Surfen begleiten und rechtzeitig darüber sprechen, dass es im Netz auch auf Dinge stoßen kann, die ihm komisch oder abstoßend vorkommen, mit dem Ziel, dass sich ihr Kind bei Konfrontation mit entsprechendem Material an sie wendet.
- Let's talk about sex: Es ist bekannt, dass die Wirkung von Pornofilmen sei umso stärker ist, wenn Kinder oder Jugendliche keine Ahnung davon haben, was dort geschieht. Deshalb sollten Eltern von Anfang an auch beim Thema Sexualität offen sein, um eine Vertrauensbasis herzustellen. Auch sollten Eltern mit älteren Kindern darüber sprechen, dass Pornos inszeniert sind, nicht die Realität abbilden, und meist ein höchst fragwürdiges Bild von Sexualität transportieren (Unterwürfigkeit von Frauen, Reduzierung der Frau zum Sexualobjekt, Dominanz des Mannes).
- Jugendliche über Rechtliches aufklären: Medienexpertinnen und -experten von der EU-Initiative „klicksafe“ raten dazu, Jugendliche frühzeitig darüber aufzuklären, dass die Verbreitung von Kinder-, Jugend- und Tierpornografie eine Straftat ist. Wer solche Inhalte findet oder zugeschickt bekommt, ist verpflichtet, dies unverzüglich der Kriminalpolizei zu melden. Wichtig: Dabei sollten keine Screenshots gespeichert werden, da der Besitz von Kinderpornografie strafbar ist! Besser ist, Beweise inform von Notizen zu Datum, Uhrzeit, Nickname und Impressum zu sichern und sich damit an die Polizei oder eine Meldestelle, wie „jugendschutz.net“ zu wenden.
- Konsequenzen aufzeigen: Auch wenn Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig sind, schützt dies nicht vor einer Hausdurchsuchung durch Polizeibeamte, die dann alle Mediengeräte (Handy, Tablet, Laptop, Spielkonsolen etc.) beschlagnahmen und auswerten. Jugendliche ab 14 Jahren müssen mit einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht rechnen - und auch Erziehungsberechtigte können mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, zum Beispiel wenn der Handyvertrag auf ihren Namen läuft. An einigen Schulen wird die Verbreitung von pornografischen Inhalten mit einem Schulverweis bestraft.
- Kinder mit technischen Sicherheitseinstellungen schützen: Eltern sollten geschützte Surfräume und Jugendschutzprogramme an allen internetfähigen Geräten einstellen, um das Risiko zu minimieren, dass ihr Kind auf nicht kindgerechte Inhalte stößt. Auch sollten Kinder nur altersgerechte Kindersuchmaschinen wie „fragFinn“ oder „Helles Köpfchen“ verwenden oder bei anderen Suchmaschinen wie Google den „SafeSearch Filter“ aktivieren.
- Das Smartphone sichern: Für „WhatsApp“ bedeutet das zum Beispiel, den automatischen Download von Medien zu deaktivieren: Einstellungen > Daten- und Speichernutzung > Automatischer Download von Medien. Die Privatsphäre sollte so eingestellt sein, dass fremde Kontakte die Handynummer des Kindes nicht zu einer WhatsApp-Gruppe hinzufügen können: Einstellungen > Konto > Privatsphäre > Gruppen. Gruppeneinladungen von Unbekannten sollten grundsätzlich nicht angenommen werden sollten. Bereits der Beitritt zu einer Gruppe kann den Straftatbestand des Besitzes von Kinderpornografie durch automatisches Herunterladen von Bild- und Videodateien erfüllen.
- Mehr Tipps, wie sich Kinder, Jugendliche oder deren Eltern verhalten können, denen Pornovideos zugeschickt wurden, gibt es auf handysektor.de/pornografie.
- Quelle: „Klicksafe“