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Kinderarzt über Gewalt„Es fällt auf, wenn Verletzungen nicht zur Erklärung passen“

Lesezeit 4 Minuten

Bei Kleinkindern mit schlimmen Verletzungen werden die Kinderärzte hellhörig und fragen nach.

Bonn – Kinderarzt Dejan Vlajnic ist auf Gewaltopfer spezialisiert. Im Interview erklärt er, wann Eltern lügen und wie er mit Hilfe seiner Kolleginnen und Kollegen dahinter kommt.Herr Vlajnic, wie erkennen Sie als Arzt, ob ein Kind Opfer von körperlicher Gewalt ist?

Erste Hinweise auf eine Misshandlung sind blaue Flecken und Brüche, die an untypischen Stellen sind. Hämatome auf den Schienbeinen eines Vierjährigen sind sehr typisch. Aber an anderen Körperstellen fragen wir genau nach. Es ist auffällig, wenn die Verletzungen dann nicht zur Erklärung der Eltern passen.

Gibt es ganz eindeutige Verletzungen?

Eine extreme Verbrühung ist fast ein Beweis für eine Gewalttat. Selbst wenn ein Kind in heißes Wasser greift, hat es einen Reflex, die Hand schnell wieder rauszuziehen und nicht mehrere Sekunden drin zu lassen. Dieses einfache Beispiel kommt aber selten vor. Vielmehr haben wir bei vielen Verletzungen, die wir in der Kinderambulanz sehen, im Hinterkopf, dass die Ursache eine Misshandlung sein könnte.

Welche Verletzungen sind das zum Beispiel und woher können Sie kommen?

Wir sehen Verbrennungen, die vom Herd, einem Bügeleisen oder einer Zigarette kommen können. Manche Kinder haben Bisswunden oder Verletzungen an und im Mund, wenn sie Zuhause geschlagen werden. Besonders hellhörig werden wir bei Säuglingen und Kleinkindern. Das sind die, die den meisten Stress machen und sich am wenigsten wehren können. Es gibt natürlich Kinder, die wirklich von der Wickelkommode fallen. Das ist der häufigste Unfall in dem Alter. Da wollen wir trotzdem wissen, ob die Höhe der Wickelkommode zur Schwere der Verletzung passt. Hat das Kind einen komplizierten Beinbruch, und ist angeblich nur aus 20 Zentimetern Höhe gefallen, stimmt etwas nicht.

Kinderarzt Dejan Vlajnic

Was machen Sie dann? Sie können ja nicht überprüfen, wie hoch das Kinderbett Zuhause ist.

Genau, deshalb besprechen wir Ärztinnen und Ärzte in der Kinderschutzgruppe solche Verdachtsfälle mit anderen Fachdisziplinen wie der Rechtsmedizin und der Chirurgie, dem Pflegepersonal und den Psychologen. Wenn die Kinder ein paar Tage im Krankenhaus liegen, sprechen wir die Eltern unabhängig voneinander auf den Unfall an. Wir fragen nach Erklärungen, zum Beispiel: „Ihr Sohn ist auf den Kopf gefallen, aber der Fuß ist gebrochen. Haben Sie eine Idee, wie das sein kann?“ Wenn es wirklich so passiert ist, wie sie sagen, bleibt die Geschichte die gleiche. Eltern, die sich eine Geschichte ausgedacht haben, passen diese an das an, was wir medizinisch finden.

Wie sehen gängige Erklärungsmuster der Eltern aus?

Der unbeobachtete Sturz ist eine Erklärung: Die Eltern kamen angeblich ins Zimmer und das Kind ist irgendwo runtergefallen. Oder ein anderes Kind hat das Kind gebissen oder getreten, manchmal ist auch der Hund Schuld. Auffällig ist es auch, wenn zwischen dem angeblichen Unfall und dem Besuch mehrere Stunden liegen. Gab es eine Misshandlung, kriegen die Eltern irgendwann Angst. Dann überlegen sie sich eine Geschichte und fahren ins Krankenhaus.

Wie gehen Sie weiter vor, wenn sich die Hinweise auf Gewalt verdichten?

Wir konfrontieren die Eltern erst, wenn wir uns in der Kinderschutzgruppe einig sind. Danach setzen wir uns mit den Eltern und dem Jugendamt zusammen. Oft erfahren wir dann erst, was wirklich passiert ist und wie die häusliche Situation der Familie ist. Dann überlegen wir mit den Eltern: Wie können wir das Kind zukünftig schützen?

Wie kann eine Lösung aussehen?

Oft brauchen die Eltern mehr Unterstützung. Überforderung ist eine der häufigsten Ursachen für eine Kindesmisshandlung. Wenn das Kind trotz der Vorfälle eine gute Bindung zu den Eltern hat, kann es keine Lösung sein, die Familie zu trennen.

Fällt es Ihnen nicht schwer, die Eltern trotz ihrer Taten miteinzubeziehen?

Als junger Arzt war das extrem schwer für mich. Aber bei uns alle ist der positive Antrieb, dass wir das Beste für das Kind wollen – und nicht mit Wut auf die Eltern blicken.

Dr. Dejan Vlajnic ist Oberarzt der Kinderklinik im Marienhospital in Bonn und leitet dort die Kinderschutzgruppe.

So können Sie helfen

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.

Die Spendenkonten lauten:

wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“

Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370502990000 162155Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 37050198 0022252225

Wer in der Vorweihnachtszeit an der Aktion „Spenden statt Geschenke“ teilnehmen möchte, kann per E-Mail „wir helfen“-Flyer samt Überweisungsträger anfordern, um sie weihnachtlichen Grußkarten an Firmenkunden, Freunde oder Familienangehörige beizulegen.wirhelfen@dumont.de