Queere Serie aus KölnDas Projekt „Kuntergrau“ ist für den Engagementpreis nominiert
Köln – Die Kommentare bei Youtube sind sich einig. Und wann ist das in Internet-Kommentarspalten jemals der Fall gewesen? „Beste Web-Serie“, „wow, was für eine dramatische Wendung“, „bitte weitere Staffeln“ steht unter der vierten Folge der zweiten Staffel, in der Jan verzweifelt bei seinem Ex-Freund vor der Tür steht und Marcel seinem Partner gesteht, dass er HIV-positiv ist.
Die Lobeshymnen sind nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch und Spanisch zu lesen. „Über die Hälfte unserer Zuschauer sind aus den USA und südamerikanischen Ländern. Das überrascht uns auch sehr“, sagt Regisseur Kai Kreuser. Über 800 000 Aufrufe hat alleine besagte Folge bis heute. Der Youtube-Kanal der ausschließlich online erschienenen Serie Kuntergrau kommt insgesamt auf über 8 Millionen Klicks.
Fünf schwule Freunde in Köln
Die Webserie wurde vor fünf Jahren von einer Gruppe homosexueller Kölner Jugendlicher aus dem Jugendzentrum Anyway gestartet. Dort treffen sich hauptsächlich schwule, lesbische und bisexuelle Menschen. Drei Staffeln gibt es mittlerweile. Die Handlung dreht sich, knapp zusammengefasst, um den Alltag der fünf schwulen Freunde Noah, Jan, Lukas, Leopold und Marcel. Um ihr Liebesleben mit allen expliziten Details, um Beziehungen, HIV und Fetische. Gedreht wurde fast ausschließlich in Köln, mit ehrenamtlichem Engagement und gespendetem Budget.
Was macht Kuntergrau so besonders? Warum ist die Serie international bekannt? Schon der Zeitpunkt, an dem die Handlung einsetzt, ist ungewöhnlich. Normalerweise starten die filmischen Erzählungen über einen homosexuellen Jungen mit dem diffusen Gefühl, dass irgendetwas an ihm anders ist. Dann verliebt er sich das erste Mal in einen Mann, ringt mit sich und gesteht irgendwann Eltern und Freunden: Ich bin schwul. Das haben die Kuntergrau-Protagonisten bereits hinter sich. Genau wie die echten Schauspieler, sagt Kreuser.
Homophobe Gewalt wird thematisiert
Die Serienmacher fragen: Was kommt nach dem Coming-out? In der Serie werden Männer-Beziehungen, Freundschaften und Sexpraktiken thematisiert. „Wir wollen etwas zeigen, was wir selbst in den Medien vermissen“, sagt Kreuser, der von Anfang an als Drehbuchautor dabei war. „Die Lebensrealität schwuler junger Männer.“ Auch progressive Netflix-Serien werden von Erwachsenen gemacht. Deshalb sind in Kuntergrau alle Handlungsstränge und Szenen von dem inspiriert, was die jugendlichen Darsteller selbst erlebt haben. Hier sieht Kreuser auch den weltweiten Erfolg begründet: In vielen Länder gebe es keine Öffentlichkeit für den Alltag junger Homosexueller.
In der dritten Staffel geht es unter anderem um homophobe Gewalt. Fabian Freistühler, der den Hauptcharakter Jan spielt, erzählt im Interview via Video-Chat, dass einige seiner Bekannten bereits auf der Straße angegriffen wurden. Auf queeren Nachrichtenportalen sei nahezu jede Woche von einem derartigen Vorfall zu lesen, bestätigt auch Projektleiter Falk Steinborn. Laut Bundesinnenministerium steigen die Zahlen homophober Gewalt seit Jahren. Allerdings werden die Taten nicht in allen Bundesländern gesondert erfasst, was Vergleiche erschwert. Steinborn sagt: „Homophobe Gewalt geht alle etwas an, weil sie ein Angriff auf unsere Lebensweise ist.“
Viele tausend Stunden Freizeit
Die Serie will aber auch hier nicht nur den Angriff und die Opfer-Perspektive beleuchten, sondern auch die Auswirkungen auf das Umfeld begreifen. Wie reagieren Freunde und Verwandte? Verkraftet ein Freundeskreis so ein Trauma?
Bemerkenswert an der Serie ist die hohe Qualität: scharfe Bilder, professionelle Kameraführung, gute Dialoge. Niemand würde denken, dass die Aufnahmen aus einem ehrenamtlichen Projekt stammen. „Wir haben die Grenzen der normalen Jugendarbeit schon lange überschritten“, sagt Kreuser und Steinborn stimmt ihm lachend zu. Alle Beteiligten hätten tausende Stunden Semesterferien und Urlaub geopfert, weil sie sich dem Projekt verbunden fühlen.
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Das ist allerdings auch der Grund, weshalb es nach der dritten Staffel nicht weitergeht. Die Hauptdarsteller leben wie Freistühler teilweise nicht mehr in Köln, viele haben ein Studium begonnen oder arbeiten mittlerweile. Außerdem wolle man im übertragenen Sinne Platz machen. Für die nächste Generation Anyway-Besucher, die ihre Geschichte erzählen wollen.
Für den Engagementpreis nominiert
Die queere Web-Serie ist jetzt für den Engagementpreis nominiert worden. Wenn das Projekt gewinnt, wäre es das erste Mal, dass eine queere Gruppe den Preis bekommt. Warum Kuntergrau den Preis verdient hat? "Weil da so viel Arbeit und Herzblut drinsteckt, was auf der Welt so viel bewirkt", sagt Mousti, der in der Serie den Marcel spielt, in einem Video auf Instagram.
Bis 0 Uhr am 20. Oktober kann für Kuntergrau noch auf der Website des Engagementpreis abgestimmt werden.