Gründungsmitglied, Geschäftsführer und Ex-„Stunker“: 42 Jahre war Heiner Kötter beim Kölner Spielecircus aktiv. Jetzt geht er in Rente.
Kölner SpielecircusHeiner Kötter sagt zum Abschied laut „Hereinspaziert“

Heiner Kötter, Mitbegründer und später einer von zwei Geschäftsführern des Kölner Spielecircus, geht in den Ruhestand.
Copyright: Arton Krasniqi
Herr Kötter, Sie waren 42 Jahre aktiv im Kölner Spielecircus, als Gründungsmitglied und später auch als einer von zwei Geschäftsführern. Wenn Sie Ihr Engagement mit einer Zirkusnummer vergleichen würden, wäre es?
Heiner Kötter Die Rolle des Herr Bollermann aus dem Weihnachtstheater „Angelo Luzifero, ein Weihnachtsengel stürzt ab“. Da war ich der Koloss von Ehrenfeld, der 500-fache Weltmeister im Eisenkugel-Weitspucken träumt davon, einmal Dichter zu sein. Aber alles, was er dichtet, reimt sich nicht. Und trotzdem bringt er am Ende mit einem Gedicht den Stern zum Leuchten. Was zeigt: Trotz allem, was man nicht kann, wendet sich das Leben immer wieder auch zum Schönen.
Avis heißt ein Aushang für das Zirkus-Personal am schwarzen Brett im Fachjargon. Mit einem Aushang begann auch Ihre Karriere als künftiger Zirkusdirektor des Kölner Spielecircus im Januar 1983.
Streng genommen war es kein Aushang, sondern ein von einer Kommilitonin herum gereichter Zettel in einem Seminar an der FH Köln, wo ich seinerzeit Sonderpädagogik studierte, auf dem schlicht stand: Wer macht mit beim Kölner Spielecircus? Damit war auch der Name unseres, im gleichen Sommer gegründeten, gemeinnützigen Vereins geboren. Alle späteren Versuche, einen zirkustypischen Namen zu finden, schlugen fehl, weil der Kölner Spielecircus sich schnell in die Herzen der Kölner eingebrannt hatte.

Heiner Kötter als Herr Bollermann (links) beim Weihnachtstheater des Kölner Spielecircus e.V..
Copyright: Archiv Kölner Spielecircus e.V.
Nicht nur Sie, auch Kabarettist Jürgen Becker und spätere Mitglieder des Stunk-Sitzungsensembles hatten Interesse an dem Zirkus-Projekt.
Von ursprünglich 30 Interessierten starteten wir das Zirkus-Mitmach-Projekt für Kinder im Sommer 1983 mit einer Truppe von 12 Männern und 12 Frauen. Bis zum Ende des Sommers hatten wir sechs Auftritte bei Ferienspielen, die das Kölner Jugendamt veranstaltet hatte, und weitere 20 Engagements, zu denen wir mit einem Trecker und Zirkuswagen ins Kölner Umland fuhren.
Warum viel Ihre Wahl ausgerechnet auf die Zirkuspädagogik, eine damals hierzulande unbekannte Disziplin?
Sie entwickelte sich in Deutschland erst Ende der Achtziger Jahre aus einem sozialpolitischen Interesse heraus, Kinder von der Straße zu holen. Inzwischen ist Zirkuspädagogik eine anerkannte und zertifizierte kulturpädagogische Arbeit. Aber zurück zu den Anfängen: Über besagte Kommilitonin erfuhr ich auch von europäischen Projekten, die mich begeisterten, wie ‚Los Muchachos‘ aus Spanien. Es zielte schon 1971 darauf ab, dass obdachlose Jungen beim Zirkusmachen lernen, mit Ausdauer und Spaß etwas zu trainieren, das sie anschließend bei einer Vorstellung vorführen, um darüber Anerkennung zu erhalten. Oder der Amsterdamer Zirkus‚ Ellebog‘, der Kindern aus sozialen Brennpunkten mithilfe seines sozialpädagogischen Zirkusprojekts wieder zurück in die Gesellschaft verhalf. ‚Was die können, können wir auch‘, dachten wir uns.

Zu Beginn fuhr das Spielecircus-Team noch mit einem Traktor und hölzernen Zirkuswagen zu sozialen Brennpunkten im Kölner Umland.
Copyright: Heribert Rösgen
Sie hatten auch, wie Sie einmal gesagt haben, den Anspruch, alte starre, pädagogische Systeme zu verändern. Inwiefern?
Wir wollten Kindern auf Augenhöhe begegnen, im Sinne einer emanzipatorischen Pädagogik, was bedeutet, dass Kindern das Recht eingeräumt wird, ihre Meinung auszudrücken und sich zu beteiligen, heute sagt man Partizipation. Ich halte es für essenziell wichtig, dass jedes Kind erlebt, dass es etwas gestalten kann, etwas Besonderes ist und dass durch Gemeinschaft Stärke entsteht. Wir haben in all den Jahren erfahren, dass sich genau das in der Manege fast wie von allein verwirklicht.
Die Magie der Manege – was bewirken Akrobatik und Artistik in Ihren inklusiven Projekten bei Kindern mit Förderbedarf?
Zirkus, wie wir ihn machen, ist niederschwellig, Kinder sind unmittelbar im Geschehen und spüren schnell: Hier gibt es etwas, was ich auch kann. Wir Zirkuspädagogen bemühen uns darum, dass jedes Kind seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend etwas findet, was es fasziniert. Die Aussicht, das Geübte in der Manege präsentieren zu können, ohne Angst haben zu müssen, etwas nicht zu können, führt dazu, dass Kinder Bestätigung für ihr Können erhalten. Der Applaus beflügelt sie und ihren Gemeinschaftssinn, denn in der Manege ist nicht der Einzelne der Star, sondern die ganze Artisten-Familie. Zirkusmachen dient heute auch als therapeutisches Medium. So hat ein Junge, der für gewöhnlich nicht sprach, Ansagen als Zauberer gemacht, ein Mädchen mit Sozialphobie tanzte mit anderen in der Manege.

Beim inklusiven Spielecircus-Projekt in der Vogelsanger Trainingshalle
Copyright: Arton Krasniqi
Sie haben in all den Jahren im Wortsinn viel bewegt in Köln. Was war Ihre stärkste Nummer, worauf sind Sie besonders stolz?
Dass wir Ideen entwickeln konnten, Kindern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern! Was mich stets motiviert hat, ist die Freude darüber, immer wieder zu glücklichen Momenten zwischen Menschen beitragen zu können, Gemeinschaft selbst bei aller Unterschiedlichkeit zu stärken. Und entsprechend der sich verändernden gesellschaftlichen Voraussetzungen immer wieder neue Konzepte zu entwickeln – als niederschwelliges Angebot für Kitas, Schulen und den Freizeitbereich.
Hoch-Trapez versus Manege – Was waren die Höhen, was die Tiefen Ihrer Laufbahn?
Der tiefste Einschnitt war die Corona-Krise, nicht zu wissen, wie wir diese Phase überstehen, wie wir Kinder trotz Kontaktbeschränkungen erreichen können. Wir haben ja neben unseren Angeboten in unserer Trainingshalle in Vogelsang auch viele mobile, aufsuchende Projekte in sozialen Brennpunkten. Aber auch Ende der Achtziger gab es eine kritische Phase, als sich unsere Kernmannschaft von 24 Mitgliedern auf zwei reduzierte. Während die anderen als ‚Stunker‘ ihre Sitzung professionalisierten, sich aufs Kabarett oder Comedy konzentrierten, beschlossen Josef Hense und ich, trotz Unsicherheit, ob das wirklich ein Beruf werden kann, weiterzumachen. Und wir entwickelten aus dem Spielcircus mehr und mehr ein kulturpädagogisches Projekt.

So fing alles an: Kabarettist Jürgen Becker (Mitte) und anderen Spielecircus-Artisten vom Gründungsteam.
Copyright: Archiv Kölner Spielecircus
Das inzwischen zu einer Kölner Institution geworden ist mit 16 Angestellten und 40 freien Mitarbeitenden – ein großes Team, muss man da auch mal den Dompteur spielen? Anders gefragt: Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen? Als Zirkusdirektor braucht man Artistinnen und Artisten, die Spaß an der Arbeit haben, wenn sie in der Manege nicht lächeln, leeren sich schnell die Besucherreihen. Ich sah meine Aufgabe stets darin, das Team zu unterstützen und dabei zu helfen, dass wir gemeinsam eine gute Arbeit machen können.
Neben Zirkusdirektor haben Sie in Ihrem Programm schon viele Rollen gespielt, unter anderem den Feuerkönig. Haben Sie auch mal im übertragenen Sinne mit dem Feuer gespielt? Ja, wenn Sie damit meinen, dass ich immer dazu bereit war, etwas Neues anzuprobieren, auch auf die Gefahr hin, damit eine Bauchlandung zu riskieren. Aus dem, was wir alles nicht können, zum Beispiel sind wir nie großartige Artisten geworden, haben wir das Beste gemacht und uns auf unsere Stärken besonnen, was augenscheinlich unsere pädagogischen Qualitäten sind.
Am 23. März ist ihr Finale in der Manege, wem gilt Ihr Compliment, also Ihre vorerst letzte, tiefe Verbeugung?
Meiner Familie, weil sie mich oft entbehrt hat und viele Dinge mitmachen musste, die ich alleine nicht geschafft hätte. Ich danke unserem großartigen Team und den vielen Menschen, die uns unterstützt haben: Das Jugendamt der Stadt Köln, die Villa Kunterbunt, viele andere Fördereinrichtungen und wohltätige Organisationen, wie wir helfen. Unser gemeinsames Engagement begann im Jahr 1993, als Hedwig Neven DuMont uns im Rahmen ihres Einsatzes für psychisch kranke Kinder für gemeinsame Projekte gewann. Später, als ab dem Jahr 2015 viele Geflüchteten aus Syrien zu uns in die Stadt kamen, haben wir gemeinsam Integrationsprojekte gestartet.

Beim integrativen Projekt des Kölner Spielecircus mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen in der Notunterkunft an der Vorgebirgsstraße.
Copyright: Arton Krasniqi
Mit 66 Jahren, da fängt was an?
Ein etwas längerer Urlaub als üblich mit meiner Frau und weiterhin die eine oder andere Veranstaltung begleiten.
Allerletzte Fragen: Lappenclown oder Pierrot?
Lappenclown. Der Pierrot ist zu gekünstelt, gestelzt, der Lappenclown ist ein Lebemensch!
Roncalli oder Zirkus Krone?
Roncalli, weil ich diese Ästhetik bewundere und weil wir 1995 im Roncalli-Zelt auf dem Neumarkt auftreten durften.
Stunksitzung oder Lachende Kölnarena?
Nicht nur, weil ich anfangs als Norddeutscher Teil des Teams war: Nur die Stunksitzung, es gibt nichts Besseres.
Rund oder eckig?
Rund, wenn ich in der Manege stehe, werde ich von allen Seiten gesehen, da gibt's nichts zu verstecken.
Salto oder Purzelbaum?
Beides, einen Salto aus Freude über den Spielcircus, als Übung der Purzelbaum, alles andere geht nicht.
Ein Fest der Inklusion zum Abschied am 23. März in Vogelsang

Fest der Inklusion im Kölner Spielecircus am 23. März 2025 ab 11 Uhr
Copyright: Kölner Sielecircus e.V.
Der Kölner Spielecircus lädt Menschen mit und ohne Behinderung zu seinem „Fest der Inklusion“ ein – am 23. März 2025 von 11 bis 15.30 Uhr, Am Wassermann 5, in 50829 Köln-Vogelsang.
Es gibt ein buntes Zirkusprogramm zum Zuschauen, Ausprobieren und Mitmachen. Es wird gespielt, gebastelt, gemalt, auch für Speisen und Getränke ist gesorgt.
Von 11 bis 13 Uhr und von 13.30 bis 15.30 Uhr gibt es zwei kostenlose Zirkus-Workshops – rund um Artistik und Akrobatik. Um rechtzeitige Anmeldung über diesen QR-Code wird gebeten.

Anmeldung zum Fest der Inklusion
Copyright: Kölner Spielecircus e.V.