Kölner SpielecircusHula Hoop und Engel in Balance
Köln – Das vorweihnachtliche Ehrenfeld ist hektisch. An der Venloer Straße schieben sich die Menschen mit prall gefüllten Einkaufstüten in die Bahnen, der Mittwochnachmittag ist grau und für Dezember zu warm. Ungewohnt bunt geht es auf dem grau-gepflasterten Platz vor dem roten, kargen Bau des Bezirksrathauses zu. Hier steht für einen Tag das Zirkuszelt des Kölner Spielecircus. Ein Zirkus, bei dem jedes Kind für ein paar Minuten Artist sein kann. Gerade springen die angehenden Künstler über eine brennende Fackel, quietschen vor Begeisterung und rennen einmal um die Zuschauer herum, um sich noch einmal in der Fackel-Schlange anzustellen.
Blinkende Reifen und Gebäck
Ein Woche zuvor in der Arche. Es riecht nach Rotkohl und Klößen – und frisch gebackenen Plätzchen. In diesem Ehrenfelder Jugendtreff laufen drei Tage lang die Vorbereitungen für das Weihnachtsspektakel. Es wird gebacken, gemalt, geturnt und jongliert. Der rote Zirkusboden mit den gelben Sternen ist im hinteren Teil des Hauses ausgerollt, mitten drauf steht Heiner Kötter, hinter ihm hängt das bunte, selbstgemalte Schild „Weihnachtlich in Ihrefeld“.
„Wer kann richtig gut Hula Hoop tanzen?“, fragt der grauhaarige, sportliche Geschäftsführer des Spielecircus – der die kulturpädagogische Einrichtung im Jahr 1983 mitgegründet hat – mit einem breiten Lächeln in die Runde und wählt unter allen emsig in die Luft gestreckten Armen die 12-jährige Armena aus. Der weiße Reifen kreist gleichmäßig um ihre schmalen Hüften, ein anderes Kind bekommt die Fernbedienung in die Hand gedrückt, mit der die bunten Lichter am Reifen gesteuert werden. Statt langsam herunter zu schwingen, bleibt der blinkende Reifen mehrere Minuten lang auf der gleichen Höhe. Armena ist Profi.
Zirkus in der Flüchtlingsunterkunft
Das junge Mädchen aus Albanien ist seit vier Jahren mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern in Köln, kommt seit drei Jahren zu Angeboten des Spielecircus in den Flüchtlingsunterkünften der Stadt. Warum sie den Reifen „bis zum Umfallen“ um sich kreisen lassen kann, ist für sie eindeutig: „Weil ich so schlank bin.“
In etwas die Beste sein, Anerkennung bekommen, gewinnen – das ist für Armena und die anderen Kinder im Spielecircus enorm wichtig. „Die Kinder erarbeiten sich hier spielerisch ein Selbstbewusstsein und kriegen ein Erfolgserlebnis“, erklärt Kötter, der seit über 20 Jahren als Zirkuspädagoge arbeitet. Sie alle leben teilweise seit Jahren in städtischen Unterkünften – beengt, provisorisch, führen ein Leben im Wartemodus. Das Training in der Arche ist für sie eine Chance, für ein paar Stunden herauszukommen.
Kennen das eigene Veedel nicht
Kötter und sein Team arbeiten dazu eng mit den Bezirken und anderen sozialen Einrichtungen zusammen, die Projekte werden von „wir helfen“ gefördert. Sie holen die Kinder in den Einrichtungen ab und begleiten sie zu Fuß zur Arche. „Die meisten Jungen und Mädchen kennen den Stadtteil, in dem sie leben, gar nicht“, sagt er. „Sie laufen immer nur dieselben Wege: von der Unterkunft zur Schule, mit ihren Eltern zu Ämtern oder Ärzten.“ Spaziergänge durchs Veedel machen sie selten.
Die Teilnehmer sind begeistert vom Balancieren auf dem Schwebebalken oder der menschlichen Pyramide: Vier Kinder knien auf dem Boden, drei stützen sich auf deren Schultern, zwei stehen auf dem Rücken der unteren und ein kleines Mädchen klettert oben drauf und bildet die Spitze. Unten rechts kniet der elfjährige Puya. Jonglieren und Tellerdrehen sind eigentlich seine bevorzugten Zirkus-Disziplinen. Wobei – nach kurzem Nachdenken spielt er eigentlich am liebsten Fußball. Er geht seit diesem Jahr auf eine Gesamtschule in Vogelsang, wäre es nach seinen Lehrern gegangen, wäre er aufs Gymnasium gekommen. „Ging aber nicht, weil meine Eltern nur Afghanisch sprechen und mir nicht helfen können“, sagt Puya.
Me? No!
Kötter erinnert sich an die Anfänge der Arbeit in den Unterkünften in Ehrenfeld und Deutz. Er und seine Mitarbeiter hätten die Spielsachen ausgeladen und in wenigen Sekunden wären alle Gegenstände verschwunden. „Me, me, me“, hätte er ununterbrochen hinter seinem Rücken gehört – Ich, ich, ich. „Ein Miteinander mussten viele Kinder erst lernen.“ Weil sie es nicht gewohnt sind, dass für alle genug da ist. Dass jeder einzelne im Zirkus seinen Platz hat. „Unsere Antwort auf „me, me, me“ war immer: „no, no, no“, sagt er und lacht. „Das haben wir dann alle im Chor gerufen.“ Die menschliche Pyramide funktioniert nun einmal nur gemeinsam.