Kölner TV-Star Tom Lehel„Mobbing ist ein wachsendes und stark unterschätztes Problem”
Köln – Tom Lehel ist seit mehr als 20 Jahren Sänger, Autor, Moderator und Schauspieler unter anderem bei ZFD und Kika. 2018 hat er die Stiftung „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“ gegründet. Tom Lehel lebt in Köln und hat drei Kinder.
Herr Lehel, Mobbing ist mehr als nur Gemeinsein, Mobbing ist Gewalt. Darf ich Sie um Ihre Definition bitten?
Mobbing liegt dann vor, wenn jemand wiederholt und über einen längeren Zeitraum von einer oder mehreren Personen systematisch erniedrigt, ihm oder ihr bewusst seelische oder körperliche Gewalt zugefügt wird.
Inwiefern spielt dabei Macht eine Rolle?
Zwischen Mobbern und Gemoppten herrscht ein klares Machtungleichgewicht, so dass sich die Opfer oft ohnmächtig fühlen. Die Täter sind von der Bahn abgekommen, so dass sie sich das Opfer suchen, um Dominanz und Macht zu sammeln. Diese Machtspiele finden in allen Zwangsgemeinschaften statt, die man nicht so leicht verlassen kann wie etwa einen Verein – in der Schule zum Beispiel oder am Arbeitsplatz. Der erhöhte Druck schadet der Seele des Opfers und seiner Gesundheit, belastet oft langfristig.
Was Sie selbst schmerzlich erfahren haben.
Und zwar im doppelten Sinne. Als mein Sohn mit elf Jahren Mobbingerfahrungen in der Schule machte, kam mein eigenes Trauma wieder hoch. Ich reagierte massiv, mit Bauchschmerzen und Ausschlägen, da wusste ich: Jetzt ist Schluss! Jetzt muss ich etwas unternehmen, es ist zehn nach zwölf, denn (Cyber-)Mobbing ist ein wachsendes gesellschaftliches und stark unterschätztes Problem, dem wir dringend begegnen müssen.
Zum Beispiel mit einer Stiftung gegen Mobbing?
Tatsächlich waren die Erfahrungen meines Sohnes der Antrieb dafür, im Februar 2018 die durch Spenden finanzierte Stiftung »Mobbing Stoppen! Kinder stärken!« ins Leben zu rufen.
Sie sagen, mit den Erlebnissen ihres Sohnes, kam ihr eigenes Trauma wieder hoch. Was ist damals geschehen?
Aufgrund einer komplizierten Verletzung an meiner rechten Hand wurde ich in dem Kölner Gymnasium, das ich damals besuchte, als Krüppel, einarmiger Bandit und Schlimmeres beschimpft. Das hat mich so fertig gemacht, dass ich die Schule wechseln musste. Ich kam auf ein Internat, wo sich die Qualen wiederholten. Dadurch, dass meine Hand viele Jahre eingegipst war und immer wieder operiert werden musste, war ich in den Augen einiger Mitschüler behindert und minderwertig, was sie mich ständig spüren ließen.
Wie haben Ihre Eltern reagiert? Waren sie überhaupt im Bilde?
Sie haben mir leider lange Zeit nicht zugehört, und wenn ausnahmsweise doch einmal, haben sie es abgetan und bagatellisiert. »Mein Sohn steckt so etwas doch mit links weg«, hat mein Vater dann gesagt. Meine Eltern waren ungarische Flüchtlinge, die meinten, nach außen beweisen zu müssen: Wir sind stark!
Aber irgendwann haben Ihre Eltern dann nicht mehr wegschauen können.
Als ich eines abends im Aufenthaltsraum des Internats auf einem Kickertisch saß, kamen einige Oberstufenschüler, hielten mich fest und einer von ihnen wollte mir eine Spritze setzen, um mich abhängig zu machen. Da meine Eltern Apotheker waren, habe ich sofort gecheckt, was los ist, befreite mich und floh. Ich bin nach Hause getrampt, wo ich spät nachts an der Tür meines Elternhauses klingelte. Mein Vater hat sofort gespürt: Da stimmt was nicht. Meine Eltern haben mir erstmals geglaubt und mir genau das gegeben, was Mobbing-Opfer – und Täter übrigens auch – so dringend brauchen: Gehört und ernstgenommen zu werden.
Konnten Sie derart gestärkt wieder ins Internat zurückkehren?
Ich wechselte zurück auf meine erste Schule, wo ich ein ausgeprägtes Gespür für Gemobbte entwickelte. Ich habe sie wann immer es ging in Schutz genommen und bestärkt.
Nun helfen Sie im goßen Stil im Rahmen ihrer Stiftung „Mobbing Stoppen! Kinder stärken!“ – Wie genau?
Wir setzen auf Prävention, wollen Mobbing mit unserem bundesweiten Lehr- und Lernprogramm „Du Doof?“ schon an Grundschulen entgegenwirken.
(Cyber-)Mobbing in Zahlen
20 Prozent der Selbstmordfälle von Schülern werden durch Mobbing ausgelöst
500 000 Kinder werden in Deutschland täglich gemobbt – im Netz und in der Schule
7 Prozent der Jugendlichen geben an, mindestens ein Mal Opfer von Mobbing im Netz geworden zu sein; mehr als ein Drittel der Jugendlichen haben jemanden im Bekanntenkreis, der im Netz oder über das Handy gemobbt wird
10 Milliarden Euro Schaden entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich durch Mobbing und Cybermobbing
80 Prozent der Mobbing-Fälle finden im Klassenzimmer, beziehungsweise auf dem Schulhof statt
16 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren sind regelmäßig Opfer von Mobbing, das entspricht genau jedem sechsten Kind
Ist das nicht ein, milde ausgedrückt, unorthodoxer Name für ein Präventionsprojekt gegen Mobbing?
Wir haben den Titel bewusst provokativ gewählt, um aufmerksam zu machen und zur Diskussion anzuregen. Das ist auch der Ansatz unserer Events „Wir wollen mobbingfrei“: Gemeinsam lustig und laut sein für starke Kinder! Wir möchten Schwung in ein Thema bringen, das leider noch zu häufig unter den Teppich gekehrt wird. Wir werden nicht aufhören, so oft es nur geht, klarzumachen: Wir haben ein Problem!, bis die Politik endlich reagiert.
Mit ansprechen allein ist es aber auch nicht getan. Wo setzt Ihr Projekt genau an?
Je früher das Thema in der Schule auf der Agenda steht, desto wirksamer lernen die Kinder sich gegen Mobbing zu wehren und eine respektvolle Atmosphäre zu schaffen. Das Problem wurde an Grundschulen leider lange Zeit unterschätzt, doch gerade hier werden die Weichen für die spätere Schulzeit gestellt. Konkret unterstützen wir Schulen, indem wir ihnen – gemeinsam mit dem Team der Münchner Psychologin und Mobbing-Expertin Mechthild Schäfer erarbeitete und auf das Schulsystem abgestimmte – Fortbildungen und kostenfreie Lernmethoden anbieten, die die Klassengemeinschaft für dieses Thema sensibilisieren sollen. Inhaltlich geht es darum, dass Lehrer und Kinder gemeinsam lernen, die Mechanismen von Mobbing zu verstehen, wie man dagegen vorgehen kann und wie tunlichst nicht. Ziel ist es, einen verantwortungsvollen Umgang miteinander zu erlernen und zu wissen, was zu tun ist, wenn man Mobbing erlebt.
Nämlich was genau?
Wichtig ist, sofort Aufmerksamkeit zu erzeugen, indem man zum Beispiel eine Lehrkraft direkt anspricht und um Hilfe bittet. Es gilt ein sichtbares wie hörbares „Stopp“ für alle Beteiligten zu setzen. Auf keinen Fall sollte ein Kind probieren, es alleine zu regeln. Was auch hilft: Sich öffnen, über seine Erfahrungen reden und diese in einem Mobbing-Tagebuch dokumentieren.
Wie sollte man mit den Mobbern umgehen?
Strafen für die Akteure beenden das Problem nicht. Deshalb beruht unser Programm auf einem nicht-konfrontativen Ansatz: Weder Mobber noch Opfer stehen im Fokus, sondern das System „Klasse“, die Beobachter. Wenn Kinder und Lehrer gemeinsam hinschauen und die richtige Haltung entwickeln, sich Vertrauen zwischen den Kindern und Lehrern bildet, haben potenzielle Täter keine Chance mehr mit ihrer aggressiven Taktik, Dominanz zu zeigen. Und: Es entsteht eine Basis für ein achtsames Miteinander. Sobald eine allgemeine Atmosphäre herrscht, in der sich alle Kinder zugehörig und verbunden fühlen, wird Mobbing der Nährboden entzogen.
Was kann die Politik gegen Mobbing unternehmen?
Mobbing ist unserer Meinung nach ein systemisches Problem, das auch unserem veralteten, föderalistischen Schulsystem geschuldet ist, das einem systematischen, dauerhaften und wirksamen Vorgehen gegen Mobbing entgegensteht. Unbedingt von Nöten – und was wir bereits entwickeln – ist ein an unser System angepasstes, dauerhaftes „Anti-Mobbing“-Lehr-und Lernkonzept, das Finnland schon 1996 eingeführt hat – mit grandiosem Erfolg: Es hat Mobbing an finnischen Schulen nachweislich bis zu 90 Prozent reduziert.