Paria-StiftungFreizeitprojekte für mehr Unbeschwertheit
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Jedes fünfte Kind in Köln ist arm. Doch der Mangel an Materiellem ist nur eine von vielen Facetten der Kinderarmut. Armsein bedeutet häufig vor allem auch alleine, ausgeschlossen, abgeschirmt zu sein - von Anerkennung und Wertschätzung, Kultur- und Freizeitangeboten, Bildungschancen und Berufsperspektiven.
Benachteiligte Kinder am "schönen Leben" teilhaben zu lassen, ist erklärtes Ziel der "Paria-Stiftung". Ihr Name ist Programm: "Paria" bedeutet so viel wie Außenseiter oder Unterprivilegierter und leitet sich vom tamilischen Begriff "Paraiyar" für eine untere Kaste her." Wir glauben, dass jedem Kind aus Köln und Region die volle gesellschaftliche Teilhabe zusteht - kein Kind soll aufgrund seiner Herkunft oder seiner Lebensumstände ausgeschlossen sein ", sagt Geschäftsführerin Katja Sturm. Weshalb die Stiftung mit ihren kostenlosen Angeboten Chancengleichheit schafft, indem sie vor allem Kinder, Jugendliche und Familien in schwierigen Situationen unterstützt.
So helfen Sturm und ihre Kollegen zum Beispiel im Rahmen des von „wir helfen" unterstützten Projekts "Her mit dem schönen Leben" Familien, "denen in unserer Stadt noch ein wenig unter die Arme gegriffen werden muss", wie Mitarbeiterin und Diplom-Heilpädagogin Gaby Schauenburg es ausdrückt. Weil sie neu in Köln sind. Nur für begrenzte Zeit zu Gast sind. Aus einer fremden Kultur kommen. Oder einfach nicht genug Geld für Kultur- und Freizeitveranstaltungen haben - in der Natur, in Parks, Kletterhallen, Museen oder auch im Phantasialand.
Ursprünglich richtete sich das Ausflug- und Freizeit-Projekt ausschließlich an Kinder, die mit ihren Müttern, meist von weit her angereist, im Frauenhaus leben, die Stadt nicht kennen, das Vertrauen zu anderen Menschen verloren und Angst haben, das Frauenhaus zu verlassen. "Ein intaktes Familienbild ist den allermeisten von ihnen gänzlich fremd oder abhanden gekommen. Ein Anliegen unserer Ausflüge ist es deshalb auch, Müttern und Kindern schöne Momente miteinander erleben zu lassen, die die Vorstellung eines harmonischen Familienlebens und die Gemeinschaft als hilfreich und positiv erlebbar machen", sagt Schauenburg.
Kurz: Es geht um eine Auszeit vom Alltag, der beschwerlicher ist, als man ihn von einer deutschen Durchschnittsfamilie kennt. Im Laufe der Zeit haben sich den Ausflügen auch Familien angeschlossen, die Köln wie ihre Westentasche kennen, und einfach Lust haben, Menschen zur Seite zu stehen. Später kamen noch Familien aus Kölner Flüchtlingswohnheimen dazu.
Zwei Ausflüge pro Monat und einmal im Jahr eine große Ferienfreizeit stehen unter anderem auf dem Paria-Programm. In den Sommerferien ging es in diesem Jahr für einen Tag an den Fühlinger See. Während die Kinder sich im "Stand-up-Paddling" versuchten, blieb den Müttern Zeit, sich auszutauschen und aufzutanken.
Flankierend zu den Ausflügen bietet das "Paria"-Team Mütter-Coachings an, mit dem Ziel, die Frauen in ihrer Erziehungsrolle zu stärken. Was auch bedeutet, ihnen Verständnis für ihre Kinder zu vermitteln. "Kinder, die häusliche Gewalt erlebt haben, die psychische Situation und das schwere Ringen ihrer Mütter, sich daraus zu befreien, haben sehr feine Antennen für die Nöte der Mütter, verhalten sich zunächst angepasst, um nicht zusätzliche Sorgen zu bereiten", sagt Schauenburg. Häufig kollabiere dieses System, wenn die Mütter - durch den Aufenthalt im Frauenhaus - wieder stabiler sind, und die Kinder die Chance sehen, endlich ihre angestaute Wut, ihre Ängste und schlechten Gefühle rauszulassen. An der Stelle greifen Schauenburg und ihre Kollegen korrigierend ein, schaffen Entlastung für beide Seiten - mit beratenden und therapeutischen Angeboten.
Wackelnde Kinderseelen
Das Programm der gemeinnützigen Stiftung ist so vielseitig wie Verletzungen der Kinderseelen sein können. Im Angebot stehen, im Rahmen von jährlich mindestens vier Projekten - die sympathische Namen für Tragisches tragen wie zum Beispiel "Wackelnde Kinderseelen" oder "Vom Gehen und Bleiben" - kunst- und sporttherapeutische Aktionen für Flüchtlinge und Geschwister schwer erkrankter Kinder, Kochkurse für Trauernde, ein Fußball-Training für Kinder mit und ohne körperliche Einschränkung und Reittherapien für trauernde oder traumatisierte Kinder.
Womit erklärt wäre, warum auf der Homepage unter der Rubrik "Team" auch Haflingerstute Carina abgebildet ist. Neun menschliche Mitglieder zählt das engagierte Team - vier davon fest angestellt plus eine Handvoll ehrenamtlicher Mitarbeiter. Zehn Jahre ist es her, dass der Kölner Filmproduzent Geronimo Beckers die Stiftung gründete, um benachteiligten, traumatisierten und trauernden Kindern die Chance zu geben, auch Kind einmal sein zu können - und deren Familien zu unterstützen. Inzwischen suchen pro Woche bis zu 100 Menschen Hilfe bei Paria. "Nicht allen Anfragen können <<wir>> gerecht werden, da die Finanzierung unserer Projekte zum Großteil vom Spendenaufkommen abhängt", sagt Sturm - und das sei bei Weitem nicht so groß wie das Bedürfnis vieler armer Kinder, auch einmal unbeschwert leben zu können. Und sei es nur für den Moment.
Letzter Ausweg Frauenhaus
Rund jede vierte Frau in Deutschland, so das Ergebnis mehrerer Studien, muss Gewalt durch ihren Partner erdulden. Dementsprechend groß ist die Anzahl der Kinder, die Zeuge oder selbst Opfer häuslicher Gewalt wurden.
Häusliche Gewalt zählt zu den häufigsten Verbrechen, wenn es um Gewalttaten an Kindern geht. Dazu gehören körperliche, wie seelische Misshandlungen und sexueller Missbrauch. Betroffene Kinder sind stark belastet, aber auch in ihrer weitergehenden Entwicklung erheblichen Risiken ausgesetzt.
Experten vermuten, dass die psychische Belastung der Kinder, die mit ihren Müttern in Frauenhäusern Schutz suchen, besonders stark ist. Hinzukommt, dass sie und ihre Mütter von einem verstärkten Armutsrisiko betroffen sind, von sozialer Isolierung, gesundheitlichen Schäden, schlechter Schulbildung sowie Alkohol- oder Drogenmissbrauch.
Von Partnerschaftsgewalt betroffene Kinder hatten gemäß einer Studie ein fünffach erhöhtes Risiko behandlungsbedürftiger Auffälligkeiten - und eine erhöhte Gefahr, im Erwachsenenalter selber gewalttätig oder erneut Opfer zu werden.
Der Bedarf an Schutz in Frauenhäusern ist seit Jahren konstant hoch, das Problem nur: Seit Jahren übersteigt die Nachfrage das Angebot an Plätzen. Im vergangenen Jahr fanden 3761 Frauen und 3820 Kinder Zuflucht in einem der 62 Frauenhäuser in NRW. 6653 Aufnahmegesuche mussten abgewiesen werden. Derzeit haben von 62 Frauenhäusern in NRW nur sieben freie Kapazitäten. Die beiden Kölner Frauenhäuser mussten 860 Frauen abweisen. Derzeit haben sie Platz für 20 Frauen.
Auch Sie wollen helfen?
Mit „wir helfen – weil Kinderseelen zerbrechlich sind“ bitten wir um Spenden für Projekte, die junge Menschen in psychischen Fragen begleiten und stärken und solche, die Jungen und Mädchen den Blick öffnen für andere Religionen und Kulturen und damit helfen, Vorurteile abzubauen.
Bislang sind 1 494 991,30 Euro eingegangen. Jeder Cent wird komplett weitergegeben.