Köln – Exakt 357,51 Kilometer Luftlinie leben Marvins (Name geändert) Eltern voneinander entfernt. Der Vater wohnt mit seiner Freundin in Köln. Die Mutter samt Partner in Hamburg. Gäbe es „Kids on Tour“ nicht, würde der Neunjährige seinen Vater nur selten sehen. Schließlich beträgt die Fahrstrecke 430 Kilometer, ganz abgesehen davon, dass Marvin schlichtweg zu jung ist, um alleine zu reisen. Doch dank Wolfgang Müller und weiteren 28 ehrenamtlichen Begleitern der Kölner Bahnhofsmission können Marvin und rund 2250 andere Minderjährige pro Jahr regelmäßig zwischen Köln und Hamburg pendeln.
Angebot für Trennungskinder
„Vor mehr als zehn Jahren hat die Bahnhofsmission das Projekt Kids on Tour in Kooperation mit der Deutschen Bahn auf den Weg gebracht“, sagt Corinna Rindle, Leiterin der Bahnhofsmission Köln. Die Ursprungsidee dahinter: In Reaktion auf die wachsende Anzahl von Trennungen, sicherzustellen, dass die betroffenen Kinder regelmäßig beide Elternteile sehen können. Zweites Ziel: Betroffene Kinder vor sozialer Isolation und Einsamkeit zu bewahren, „indem wir sie in ihrer Mobilität unterstützen“, so Rindle.
Rentner zum Mitreisen gesucht
Ein Drittel aller Ehen werden hierzulande geschieden, rund 140000 minderjährige Trennungskinder lebten 2016 in Deutschland. Viele davon müssen weite Wege zurücklegen, um zwischen den Wohnungen der Eltern zu pendeln. Dass das Nomadenleben für diese Kinder oft mühsam, traurig und einsam ist, davon weiß Wolfgang Müller ein Lied zu singen. Seit fünf Jahren begleitet der Rentner viermal im Quartal Kinder auf der Bahnstrecke zwischen Köln und Hamburg – ein Zwölf-Stunden-Job.
„In den jeweils vier Stunden erlebt und erfährt man viel, nicht selten auch von den Sorgen der jungen Reisenden, die sich meist darauf beziehen, dass sie ständig aus ihrem sozialen Alltag gerissen werden“, sagt Müller. Und erzählt von seinen ersten Touren mit Marvin, auf denen sich der Junge in der Gruppe sehr auffällig verhalten hat. Aggressiv und provokant sei er gewesen. „Man hat gespürt, dass er Probleme und kaum Freunde hat.“ Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass Marvins Eltern bedürftig sind, er sich viele Dinge, die für andere mitreisende Kinder selbstverständlich sind, nicht leisten kann. Und dass er nicht gerne zu seinem Vater fährt, da er dessen neue Freundin nicht ausstehen kann – und umgekehrt – er aber immer wieder hinfahren muss.
Fingerspitzengefühl und Training
„In diesen Situationen ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Müller. Schließlich gehöre es zu seinen Aufgaben, solche Gespräche nicht in der Gruppe – bis zu fünf Kinder pro Tour – aufkommen zu lassen, um den Einzelnen zu schützen. „Diese Themen versuche ich auf die Zeit, in der ich alleine mit einem Kind im Gang warte, zu verlegen.“ Psychologisches Einfühlungs- und Einschätzungsvermögen, Deeskalationsmethoden und vieles mehr musste sich Müller aber nicht alleine aneignen.
Von Psychologen geschult
„Unsere Ehrenamtler werden regelmäßig von Psychologen und anderem Fachpersonal geschult“, sagt Rindle. Was, wenn ein Kind ein Sexvideo auf seinem Smartphone rumreicht? Wenn Fahrgäste wütend werden, weil sie die für die „Kids on Tour“-Gruppe reservierten Plätze nicht freigeben wollen? Wenn bei 35 Grad die Klimaanlage der Bahn ausfällt? Ein Kind nicht am Zielbahnhof abgeholt wird? Alles schon passiert!
„Einer unserer wichtigsten Grundsätze, auch als Unterstützer der Kampagne »Kein Raum für Missbrauch« ist, dass körperliche Berührungen tabu sind. Weshalb wir Trost nur verbal geben können“, sagt Müller. Wichtig sei dabei, sich bewusst zu sein, dass man als Begleiter kein Therapeut, kein Seelsorger, kein Ersatzelternteil sondern eben „nur“ Begleiter ist. Mit dem Ziel: Kindern wie Marvin die Fahrtzeit schöner und sicherer zu gestalten. „Leider können sich auffällig viele Eltern unser Angebot nicht mehr leisten“, sagt Rindle. „Kids on Tour“ kostet den Preis einer normalen Fahrkarte plus 35 Euro Betreuungspauschale. Dass das Jugendamt bedürftige Eltern dabei finanziell unterstütze, wäre vielen nicht bekannt, oder sie schämten sich, die Leistung in Anspruch zu nehmen. Deshalb werden Rindle und ihre Kollegen nicht müde, darüber aufzuklären, sobald sie mitbekommen, dass Eltern finanziell überfordert sind.
Spenden dringend nötig
Die Begleitung von Kindern ist eine der vielen Aufgaben der Ehrenamtlichen, die sich bei der Kölner Bahnhofsmission engagieren. Die Einrichtung ist ein Gemeinschaftsprojekt des katholischen Sozialverbands „In Via Köln e.V.“ und des Diakonischen Werks, die Deutsche Bahn stellt die Räume. „Wir finanzieren uns mit Mitteln der beiden Träger, der Stadt und mit Spenden“, so Rindle. Und die seien dringend nötig. Auch damit Marvin und 2250 andere Kinder weiter regelmäßig ihre Eltern sehen können.
„wir helfen: damit Kinder ihre Einsamkeit durchbrechen“ – Die neue Jahresaktion
Mit „wir helfen: damit Kinder ihre Einsamkeit durchbrechen“ bitten wir um Spenden für Projekte, die ausgegrenzten Kindern und Jugendlichen dabei helfen, wieder in Gemeinschaften aufgenommen zu werden, um das Miteinander und Solidarität zu erleben. Mit Ihrer Hilfe wollen wir Mädchen und Jungen unterstützen, die durch Armut, Krankheit, Gewalt, Vernachlässigung oder andere traumatische Erlebnisse ins Abseits geraten sind. Diese Kinder brauchen sehr oft professionelle Hilfe, auch das wollen wir mit „wir helfen“ möglich machen. Jeder Cent, der dafür gespendet wird, ist wichtig und gut – auch für unsere Zukunft. Wo „wir helfen“ notwendig ist, lesen Sie jeden Mittwoch und Samstag detailliert im „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Spendengelder beantragen können Projekte und Initiativen aus Köln und der Region bis Ende Mai 2018. Das Formular zum Herunterladen finden Sie hier (hier klicken).
Die Spendenkonten unseres gemeinnützigen Unterstützungsvereins „wir helfen“:
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