Projekt KlangkörperEine Grundschule gerät für einen Tag aus dem Takt
Köln. – Wenn sich die inklusive Gemeinschaftsgrundschule Kunterbunt für einen Tag in einen Klangkörper verwandelt, spielt das Klavier, das seinen festen Platz in der großen Pausenhalle hat, ausnahmsweise nur eine Statistenrolle. Aus den Klassenzimmern wabern sämtliche Klänge dieser Welt: gläsern, hölzern, blechern, harmonisch und auch dissonant, es bimmelt, knattert, rauscht und klirrt, Kontrabass-Klänge mischen sich mit Percussion-Rhythmen, Geigenstimmen durchkreuzen Gitarrenweisen. Eine Schule im inspirierenden Ausnahmezustand.
Musik und Tanz stecken an
Und weil es bei Klangkörpern, wie es der Name so will, auch ums Körperliche geht, darf die Bewegung nicht fehlen. Hier und da huschen kleine Bauchtänzerinnen durch die Schulgänge, winden sich professionelle Tänzerinnen fantasie- und ausdrucksvoll auf dem Klassenboden oder beeindrucken mit virtuosen Breakdance-Figuren, wippen und schaukeln die „Kunterbunt“-Schülerinnen und Schüler im Takt mit. Musik und Tanz stecken an.
Man muss sich beim Aktionstag „Klangkörper“ nicht lange in der Vogelsanger Schule Kunterbunt aufhalten – ein Blick in die strahlenden Gesichter der Grundschulkinder genügt, um zu begreifen, wie sehr Musik und Tanz Grenzen überwinden, stärken – und die eigenen Schranken vergessen lassen. In einem der Workshop-Klassenräume springt ein geistig beeinträchtigter Junge, der für üblich sehr zurückhaltend ist, von einem Moment auf den anderen auf, läuft in die Mitte des Klassenraums und tanzt. Ein Mitschüler geht auf ihn zu und streicht ihm, wie zur Bestätigung, sanft über den Kopf. Musik und Tanz berühren und setzen Emotionen frei
„Es gibt kein besseres Antigewalt- und Antiaggressionstraining“, sagt Schulleiterin Uschi Brockerhoff, „wir haben viel ausprobiert, mit professionellen Trainern und diversen Methoden, aber über die Musik und Tanz schaffen es unsere Kinder am besten, positiv miteinander in Kontakt zu kommen.“ Musik und Tanz verbinden. Viele der 236 Grundschülerinnen und -schüler haben einen erhöhten Förderbedarf, weil sie emotional oder sozial beeinträchtigt oder des Deutschen noch nicht mächtig sind, manchmal auch Gewalterfahrungen gemacht haben.
Doch Musik und Tanz kommen ohne Sprache aus – und geben den Kindern eine Chance, durch Klang und Körper miteinander zu kommunizieren. Was sie heute in 22 Workshops – die originelle Namen wie „Unsere Stimmen machen Musik“, „Tanzende Knochen“ oder „Meine Oma macht im Stummfilm die Geräusche“ tragen –, auf den Gängen, im Foyer oder auf dem Pausenhof tun – und ihr Schulgebäude damit neu erleben, beleben und erklingen lassen.
Auf den Weg gebracht hat das „Klangkörper“-Projekt die Offene Jazz Haus Schule, eine kulturpädagogische Facheinrichtung in Köln. Inspiriert von dem Erfolg eines überregional beachteten Modell-Projekts, wandte sich die „Jazz Haus Schule“ im Herbst 2011 in einer Kooperation mit dem „NRW Landesbüro Tanz“ mit einer offenen Ausschreibung an Kölner Grundschulen in sozialen Brennpunkten, um einen Kooperationspartner mit Interesse an einer längerfristigen Zusammenarbeit im Bereich Musik und Tanz zu finden. „Wir wandten uns gezielt an Schulen in bildungsbenachteiligten Milieus, da die Schülerinnen und Schüler dort deutlich weniger Zugang zu kultureller Bildung haben, keine Musikschule besuchen können und auch von sonstigen Bildungs- und Freizeitangeboten abgehängt sind“, sagt der Leiter der Offenen Jazz Haus Schule, Rainer Linke.
Schule mit Schwerpunkt Inklusion
Ausgewählt wurde schließlich die Schule Kunterbunt – auch wegen ihres innovativen Inklusionsschwerpunktes. Auf ihrer Internetseite wirbt die Schule damit, „eine Schule für alle Kinder“ zu sein. Uschi Brockerhoff: „Musik und Tanz verbinden in der Schule Kunterbunt alle Kinder. Da sind diejenigen, denen das Lernen leicht fällt und die ihre Interessen finden und vertiefen können. Gemeinsam mit den Kindern, die mit besonderen Beeinträchtigungen durchs Leben gehen, bilden sie eine Gemeinschaft, die durch Musik und Tanz neue und wichtige Erfahrungen sammelt, einander anders kennenlernt und lernt, voneinander zu profitieren.“ Unterrichtet wird in zehn jahrgangsübergreifenden Familienklassen – von Schuljahr eins bis vier – Musik, Tanz und andere Künste sind dabei zentrales Anliegen, das von der Offenen Jazz Haus Schule wo es nur geht, unterstützt wird. Es gibt einen offenen Geigenraum, eine Schulband, einen Chor, Instrumental- und Tanz-AGs, Musikpausen und Exkursionen zu den Ausbildungsorten oder Arbeitsplätzen der Musiker und Tänzer etwa in der Philharmonie.
Musik und Tanz machen stolz
Zum „Klangkörper-Team“, das von Musiker Thomas Gläßer (Offene Jazz Haus Schule) und Co-Projektleiterin Benedetta Reuter (Tänzerin, Tanzvermittlung NRW) geleitet wird, gehört ein Team von professionellen Tänzern und Musikern, die an insgesamt fünf Kölner Grundschulen zusammenarbeiten. Bei den Workshops an der Schule Kunterbunt sind auch acht Mitarbeiter des Offenen Ganztags, drei Lehrkräfte und die Schulsekretärin aktiv. Auch alle anderen Schulmitarbeiter sind involviert am „Tag der Zwischenräume und Resonanzen zwischen Musik und Tanz, Klang und Bewegung, Kunst und Schule“, wie Thomas Gläßer es ausdrückt. Hauptziel des Projekts, das in diesem Jahr zum vierten Mal über die Bühne geht, ist es, so Thomas Gläßer, „möglichst vielen Kindern, die aus verschiedenen Gründen schwer Anschluss finden, eine Schnuppergelegenheit zu bieten, um dann gegebenenfalls in vertiefende Musik- oder Tanz-AGs einzusteigen, ein Instrument zu lernen und am Schuljahresende an einer großen Aufführung mitzuwirken.“ Musik und Tanz machen stolz – und stärken das Selbstvertrauen.
Gefördert wurde das „Klangkörper“-Projekt in seiner Pilot- und Entwicklungsphase unter anderem von der Rhein-Energie Stiftung Kultur, dem Kolping-Bildungswerk und „wir helfen“. Nun hoffen allen Beteiligten auf auf weitere Sponsoren – um das Projekt auch an anderen Schulen nachhaltig etablieren und weiterentwickeln zu können. Das würde auch Ahmed, 8, glücklich machen. Tanzend und bis hinter beide Ohren strahlend verlässt er den Workshop und fragt, während „Klangkörper“ noch in vollem Gange ist: „Wann ist nochmal der nächste Aktionstag?“