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ProjektSchon Mutter und selbst noch Kind

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Köln – Immer wieder rieten ihr Freundinnen, das Kind abzutreiben, wenigstens aber nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Ein Gedanke, der Sandra (Name geändert) so abwegig erschien "wie freiwillig ein Bein abzugeben", sagt die 17-Jährige heute. Ihren Sohn Jamie (Name geändert) hat sie vor knapp fünf Monaten zur Welt gebracht. Im Mai 2017. Trotz schwierigster Umstände. Dank der Unterstützung im "Haus Adelheid".

Raum zum Leben und zum Lernen

Dort in der Escher Straße hat Sandra einen Raum zum Leben und Lernen gefunden. Einen Ort der Orientierung. Ein Zuhause für sich und ihr Kind. Wie 28 weitere junge Schwangere und Mütter wird sie in dem - in der Vergangenheit auch von "wir helfen" unterstützten - Wohnhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) auf ihre Mutterrolle vorbereitet, was konkret bedeutet: "Sie lernt, wie sie ihren Säugling pflegt, sie wird in alltagspraktischen Fragen angeleitet und erhält Orientierungshilfe bei der Schul- und Berufsausbildung", erklärt ihre Bezugspädagogin Ulrike Müller-Mpanduzi.

Ein Geheimnis, das einsam macht

Doch der Weg bis in die Escher Straße war sehr steinig - und erdrückend einsam: Sandra, selbst noch ein Kind, wird mit 16 schwanger. Von einem Mann, der kurz zuvor mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt hat, arbeitslos ist, kurz: "ein Fall für sich ist", wie Sandra es ausdrückt. Sie verlässt ihn, ohne ihm von der Schwangerschaft zu erzählen - "Er hätte mir eh nicht geglaubt." Bis auf ein, zwei Freundinnen, die davon erfahren, trägt Sandra ihr Kind als Geheimnis unter dem Herzen. Kein Sterbenswörtchen, zu niemandem.

14 Jahre und sehr alleine

Ihre Mutter hat die Familie zwei Jahre zuvor verlassen, der Kontakt zu ihr ist immer wieder für lange Zeit unterbrochen. Auch der geliebte, acht Jahre ältere Bruder ist früh ausgezogen. Sandra bleibt, 14-jährig, alleine mit ihrem streng gläubigen Vater zurück, den sie nicht versteht und umgekehrt. Das Verhältnis zwischen Sandra und ihrem Vater ist stark belastet, auch weil sie ihm die Schuld daran gibt, dass die Mutter gegangen ist. So stark belastet, dass sie immer wieder, wenn sie es mit ihm nicht mehr aushält, für Tage, Wochen und Monate von Zuhause türmt. Zu älteren Freunden und Bekannten. Manchmal, wenn ihr Vater, meist nachts, einem seiner drei Jobs nachgeht, kommt sie in die Wohnung, um zu waschen, zu essen, Kleider zu wechseln. Und hinterlässt dabei eindeutige Spuren. Dennoch gibt der Vater eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf. Die schaltet das Jugendamt ein. Eineinhalb Jahre ist das her.

Nur ungern zurück zum Vater

"Um zu verhindern, dass ich in eine Einrichtung komme, bin schweren Herzens zurück zu meinem Vater gezogen", sagt Sandra und fügt mit bestimmten Ton an: "Aber nur zum Schlafen." Sie hält sich an die Auflagen des Jugendamts. Nimmt zweimal pro Monat die vorgegebenen Termine wahr. Geht zur Schule - die sie immer wieder wechselt: Gesamtschule. Jugendwerkstatt. Berufskolleg.

Abendrealschule. Doch auch die bricht sie ab, damit niemand bemerkt, dass sie schwanger ist. Am Wochenende hilft sie ihrem Vater bei einem seiner Jobs. Auch als sie schon längst schwanger ist. "Ich musste mir etwas ausdenken, warum ich irgendwann nicht mehr hätte mit anpacken können", sagt sie. Eine Kur, malte sie sich aus, sei die ideale Notlüge. "Meine Schwangerschaft hätte für meinen Vater eine riesige Schande bedeutet, die Hürde war zu hoch, es ihm zu erzählen", sagt Sandra. Also bleibt das Geheimnis streng gehütet - bis Sandra eine Vorsorge-Untersuchung nicht mehr rauszögern kann.

Das jähe Ende der Einsamkeit

Da ist sie im achten Monat und bittet den Arzt, es ihrem Vater nicht zu verraten. Doch da Sandra minderjährig ist, informiert er, das ist seine Pflicht, den Vater. Ein Schock für ihn, wie für Sandra, aber auch der Anfang des Endes ihrer Einsamkeit. "Monatelang war ich furchtbar einsam, mit mir, meiner Schwangerschaft, meinen Gedanken und Ängsten", sagt Sandra. Nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, schossen ihr mögliche Optionen wie Giftpfeile durch den Kopf. "Mal wollte ich auf keinen Fall das Kind in Köln zur Welt bringen, lieber möglichst weit weg, damit niemand etwas erfährt. Dann wieder war der Gedanke daran, dass mein Kind seine Familie nicht kennenlernt, unerträglich." In der einen Nacht erwog sie ein betreutes Wohnen, in der anderen hielt sie das für ausgeschlossen, aus Angst, dass ihr dort das Kind genommen würde - "ich kannte solche Mutter-Kind-Häuser ja nur aus dem Fernsehen."

In der Mutterrolle unterstützen

Sandras Vater reagiert, trotz anfänglichem Schock, überraschend gefasst auf die Nachricht, begleitet sie zum Arzt, zu Beratungsstellen - und einen Tag vor ihrer Geburt schließlich auch zum Vorstellungsgespräch ins Haus Adelheid. Wo sie das Gegenteil von dem erfährt, was sie nur vom Hörensagen kennt: Dass es nämlich darum geht, sie in ihrer Mutterrolle zu unterstützen, statt ihr das Kind zu nehmen. Dass sie in einem kleinen Appartement für sich und ihr Kind leben wird, statt in einem Mehrbettzimmer. Dass sie gemeinsam mit anderen jungen Frauen - unterstützt von Fachpersonal - in Gemeinschaft leben und lernen wird, statt alleine und ausgegrenzt zu sein.

Sandra ist schnell überzeugt vom Haus Adelheid, vor allem aber von ihrer Bezugsperson für die nächsten drei Jahre: Pädagogin Ulrike Müller-Mpanduzi. Nur sechs Tage später zieht sie mit Sohn Jamie aber ohne einen Funken Ahnung davon, was es bedeutet, Mutter zu sein, direkt von der Entbindungsstation in die Escher Straße ein. Und fühlt seitdem wieder Boden unter den Füßen - und Zuversicht.

Zwei Stunden Jugend genießen

Langeweile kommt kaum auf, Sandras Wochenplan, den sie gemeinsam mit Ulrike Müller-Mpanduzi erstellt hat, ist ausgefüllt: Montags stehen Nachhilfe und Rückbildung auf dem Programm, der Dienstag gehört Sandra und Jamie, mittwochs ist wieder Nachhilfe und Mutter-Baby-Gruppe, donnerstags Kochen, freitags wird betreut gebadet - und anschließend "die Jugend genossen", wie Sandra sagt. Denn diese zwei Stunden pro Woche hat sie allein für sich, während Jamie im "Kinderstübchen" betreut wird. "So wenig ich meine Entscheidung bereue, so sehr vermisse ich ab und zu meine Schulzeit", sagt Sandra. Diese Unbeschwertheit. Sorglosigkeit. Pflichtvergessenheit. Dennoch: Die schönen Momente überwiegen. "Jamie gibt mir sehr viel Halt."

Nächsten Sommer, Jamie ist dann ein Jahr alt, möchte Sandra ihren Realschulabschluss nachholen. Um eine Betreuung für Jamie muss sie sich nicht sorgen, zum Haus Adelheid gehört eine Kita - direkt nebenan. Sandras Ziel ist das Abitur. "Die Chancen stehen gut", sagt Müller-Mpanduzi, "Sandra lernt schnell und gut." Beim Lernen, wie bei der Suche nach einem Schul- oder Ausbildungsplatz wird Sandra unterstützt. "Denn zu unseren erklärten Zielen gehört an erster Stelle, die Selbstständigkeit unserer Bewohnerinnen zu fördern", sagt die Leiterin des Mutter-Kind-Hauses, Karin Horst - "um so eine dauerhaft gute Mutter-Kind-Beziehung ermöglichen zu können und damit eine lebenswerte Zukunft für das Kind." Wer Sandra von ihren Plänen sprechen hört, spürt, wie verantwortungsvoll sie sich um Jamies Zukunft sorgt, der glaubt fest daran, dass das gelingen kann. Haus Adelheid sei Dank.

Ort zum Leben lernen - Haus Adelheid vom Sozialdienst katholischer Frauen

Seit 1986 betreibt der SKF Köln (Sozialdienst katholischer Frauen) Haus Adelheid, ein Appartement-Haus für bis zu 30 minderjährige, alleinlebende Schwangere, Mütter und ihre Kinder. 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit, darunter Sozialarbeiterinnen, pädagogische Fachkräfte, Hauswirtschafterinnen, Hebammen, sowie 11 Ehrenamtliche betreuen alleinerziehende Mütter oder Väter und ihre Kinder während des bis zu dreijährigen Aufenthaltes. Haus Adelheid ist eine Einrichtung nach §§ 19, 27, 31 Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und richtet sich an Alleinerziehende, die für eines oder mehrere Kinder - in der Regel - unter sechs Jahren sorgen und aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes sowie beim Wohnen brauchen. Schwangere können auch vor der Geburt des Kindes aufgenommen werden. Aufgabe der Einrichtung ist es laut Gesetz, "während dieser Zeit darauf hinzuwirken, dass die Mütter oder Väter eine schulische oder berufliche Ausbildung beginnen, fortführen oder eine Berufstätigkeit aufnehmen." Haus Adelheid finanziert sich über Leistungen zur Jugendhilfe der Stadt Köln. Zum Ausbau der Sprachförderung (für geflüchtete Frauen), für Nachhilfe, die Suche nach einem Ausbildungsplatz, Freizeitaktivitäten oder besondere Kurse, ist die Einrichtung jedoch auf Spenden angewiesen.