AboAbonnieren

Soziales Zentrum Lino-ClubSeit 50 Jahren Hand in Hand für Kinder

Lesezeit 4 Minuten

Mareike Emmerich bei ihrem Abschied inmitten der Kinder aus „ihrer“ gelben Gruppe

Köln – Immer in Bewegung. Das gilt für Mareike Emmerich wie für ihren Arbeitgeber. Sie begann am 1. Januar 1970 als Kinderpflegerin in der allerersten von heute 17 Einrichtungen des Sozialen Zentrums Lino-Club, das aus einer Bewegung heraus entstand. Es waren die aufrüttelnden Worte des Straßenpredigers Johannes Leppich, der auch im Rheinland die Massen anzog. Eine Gruppe engagierter Christen im Kölner Norden bewogen sie dazu, etwas gegen die sozialen Probleme im Gebiet des heutigen Lindweiler zu tun.

In dem Gebiet, das bis Ende des Ersten Weltkriegs als Munitionsdepot gedient hatte, waren von 1930 an Grundstücke an bedürftige Familien verpachtet worden. Nach 1945 entstand eine Notunterkunft für Obdachlose, Mitte der 50er Jahre kamen weitere Bedürftige aus den ehemaligen Ostgebieten in die Baracken.

Abschätzig „Mau-Mau-Siedlung“ genannt, gab es hier weder einen Kanalanschluss noch Strom, als die erste Hilfe anlief. Kleiderspenden wurden gebracht, eine Notkirche wurde gebaut. 1964 war der erste Spatenstich für das Soziale Zentrum Lino-Club. Mareike Emmerich wurde als „erst“ 18-Jährige von ihrer Mutter zum Vorstellungsgespräch begleitet. „Volljährig wurden wir erst mit 21.“ Der Kindergarten des noch jungen Vereins bestand aus zwei Gruppen plus Hort, die jüngsten Kinder waren vier Jahre alt.

Heute sind die Jüngsten zwei. „Sie können sich oft noch nicht äußern, manche noch nicht Mama sagen“, erzählt die 63-Jährige von den neuen Herausforderungen. Die Kinder werden noch gewickelt, und die Erzieherinnen sind wie ein Mutterersatz, resümiert Emmerich anlässlich ihres Abschieds. „Die Kinder sind bis zu 45 Stunden pro Woche bei uns, zum Teil kriegen nicht ihre Eltern, sondern wir ihre ersten Schritte mit.“ Für manches Kind, das sonst kaum Anregungen zu Hause erhält, bedeutet das Chancen.

Das Soziale Zentrum Lino-Club e.V. ist ein freier katholischer Jugendhilfe-Träger. Der gemeinnützige Verein wurde 1963 gegründet und ist nach dem italienischen Franziskaner-Pater Lino von Parma benannt, der sich am Ende des 19. Jahrhunderts bedürftiger Kinder und Jugendlicher annahm. Heute ist er an 16 Standorten im Kölner Norden tätig, betreut täglich mehr als 1500 Kinder und beschäftigt 160 hauptamtliche und mehr als 200 neben- und ehrenamtliche Mitarbeiter.

Die Arbeit finanziert sich durch öffentliche Zuschüsse, Spenden, Sponsoren und Stiftungsmittel sowie Gewinne aus eigenen

Veranstaltungen wie Aufführungen des eigenen Kinder- und Jugendcircus Linoluckynelli. (kaz)

Bildungsdokumentationen, Sprachförderung, Zahnschule – all das hat das Berufsbild der Kinderpflegerin verändert. Allen neuen Anforderungen hat sich der Verein zum Wohl der Kinder gestellt. „Hand in Hand und auf kurzen Wegen der Absprache“, wie Hans-Josef Saxler findet, der 1992 als Praktikant hier anfing und heute Geschäftsführer ist. Er ist besonders stolz darauf, wie der Club stets Chancen und Wege findet, schnell und unbürokratisch zu helfen. Immer wieder erhält er dafür Unterstützung von „wir helfen“.

Bekommt er etwa mit, dass zu viele Flüchtlingskinder ohne Betreuung sind, fährt er mit seinem Circus-Mobil einfach zu ihnen. „Wir können nicht immer warten, bis Politik und Verwaltung so weit sind“, sagt Saxler. Der Verein packt an und wächst so immer wieder über sich hinaus. Auch baulich. So war er ein Vorreiter in der Betreuung Unter-Dreijähriger – wenn auch die Bedingungen dafür erst durch eine Hiobsbotschaft geschaffen werden konnten, wie sich Josef Kuth erinnert.

Als 2005 Statikprobleme im Kindergarten bekannt wurden, „war das ein Schock und eine Riesenaufgabe“. Für den ehrenamtlichen Vorstand galt es, mit der Geschäftsführung 1,2 Millionen Euro aufzutreiben, um den einsturzgefährdeten Bau zu retten. Zwei Drittel kamen von Bund und Land. Doch ein Drittel hatte der Verein selbst aufzubringen. Die Rettung des Hauses sei ein Bekenntnis zu dem auch heute noch strukturarmen Stadtteil und der Verantwortung des Vereins gewesen, „weil der Bedarf um uns herum immer größer wurde“, sagt Kuth. Der heute 78-jährige Steuerberater half ursprünglich nur ehrenamtlich bei der Buchhaltung. Er wohnt nicht in Köln, aber der Verein ist seine „soziale Heimat“. Ohne lange zu überlegen, wurde er Mitglied, weil „wir hier so viel bewirken können“. Nach außen glänzen müsse niemand. „Wir machen einfach unsere Arbeit und wissen auch, für wen.“

Die ehemalige Offene Tür ist auf dem Weg zum Mehrgenerationenhaus mit Sportgruppen für Demenzkranke und Stadtteilcafé. Für Jugendliche gibt es das Berufsprojekt „Praxiswerkstatt Lindweiler“. Und die drei Gebäude des Lino-Club sollen zu einem werden, auf einem Campus als Marktplatz der Begegnung für alle. „Das wäre unmöglich ohne die vielen engagierten Mitarbeiter“, sagt Josef Kuth und sieht Mareike Emmerich an. Die Bewegung bleibt.