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Tiergestützte PädagogikMit Mini-Ponys zu mehr Selbstwertgefühl

Lesezeit 8 Minuten
Ein Junge läuft mit einem schwarzen Shetland-Pony an der langen Leine durch einen Reitstall.

Beim Ponyclub hat Tom (Name geändert) gelernt, die Zügel in die Hand zu nehmen - und zu vertrauen.

Gemeinsam mit der Friedrich-Fröbel-Schule in Moitzfeld unterstützt der Kölner Verein „Herzensangelegenheit“ Förderschüler in ihrer Entwicklung.

„Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ lautet ein beliebtes Sprichwort unter Pferdefans. Dass sich das Glück aber auch neben, vor und hinter Pferden, in diesem Fall: Mini-Ponys, einstellen kann, wissen die vier Grundschulkinder Milena, Tom, Sandra und Juli (Namen geändert) spätestens seitdem sie den „Ponyclub“ in Groß-Hohn besuchen.

Hinter dem niedlichen Namen verbirgt sich der sperrig klingende Fachbegriff „Förderprojekt der tiergestützten Pädagogik“, das der Kölner Verein „Herzensangelegenheit – Menschen für Tiere und Tiere für Menschen in Not e. V.“ vor zweieinhalb Jahren gemeinsam mit der Moitzfelder Friedrich-Fröbel-Förderschule ins Leben gerufen hat. Und das seitdem einmal in der Woche vier Schülerinnen und Schülern des vierten Schuljahres für zwei Stunden die Chance bietet, von Ponys in ihrer Entwicklung gestärkt zu werden.

Mut, Selbstwert und Sicherheit

Wie Milena, Tom, Sandra und Juli sind die 188 Schülerinnen und Schüler der Förderschule aus verschiedensten Gründen in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung stark beeinträchtigt, haben beispielsweise eine Autismusspektrumsstörung, das Down-Syndrom oder ADS/ADHS. „Die Förderbedürfnisse unserer Schülerinnen und Schüler sind vielfältig. Viele von ihnen brauchen aber Unterstützung in ihrer Emotionalität, Motorik oder ihrem Sozialverhalten. Gerade Kinder mit sozialen Ängsten finden durch die tiergestützte Pädagogik mit Ponys wieder neuen Mut, Selbstwert und Sicherheit“, sagt Birgit Körber.

Ein Mädchen steht im Reitstall mit einem weißen Shetlandpony mit schwarzen Flecken.

Das Shetlandpony Luna hilft Sandra (Name geändert) erfolgreich dabei, sich mehr zuzutrauen.

Die Sonderpädagogin an der Friedrich-Fröbel-Schule hat etliche Fortbildungen zum Thema „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd“ besucht und leitet gemeinsam mit Rachel Wittschier, Reittherapeutin und Mitarbeiterin an der Deutschen Sporthochschule Köln, und der Reitsport-Trainerin Kirsten Rudolf den Ponyclub. Immer mit dabei: Die drei Shetlandponys – von den Kindern liebevoll Shettys genannt – Lady, Luna und Amy.

Birgit Körber

Ponys haben therapeutisches Potenzial. Sie sind Meister der Achtsamkeit, können Menschen lesen und man kann an ihrem Verhalten sehen, wie es um das Innere eines Kindes bestellt ist.
Birgit Körber, Sonderpädagogin, Tiergestützte Pädagogik

Auch wenn es bislang nur wenige wissenschaftliche Studien gibt, wissen die drei Fachfrauen aus ihrer langjährigen Erfahrung haargenau, warum gerade kleine Shetlandponys eine große therapeutische Wirkung entfalten können – wenn es etwa darum geht, das Selbstwertgefühl beeinträchtigter Kinder zu stärken, ihre Feinmotorik zu trainieren, Ängste ab- oder Vertrauen aufzubauen.

Kleine Ponys, große Wirkung

„Natürlich kommt es auf die Persönlichkeit des Tieres an, aber die meisten Shetlandponys, wie unsere Ponydamen Lady, Luna und Amy, bringen dafür die besten Voraussetzungen mit, sind kontaktfreudig, dem Menschen zugewandt und extrem geduldig“, sagt Kirsten Rudolf. „Sie passen sich der Situation an, können sich einfügen, sind aber auch gnadenlos ehrlich in ihrer Reaktion“, ergänzt Rachel Wittschier.

„Durch dieses direkte Feedback und dadurch, dass die Tiere ohne zu urteilen auf die Kinder zugehen, lernen und akzeptieren sie viel leichter“, sagt Birgit Körber – und erzählt von magischen Momenten und Erfolgsgeschichten, die sie in zweieinhalb Jahren Ponyclub erfahren durfte. Da war der Schüler mit einer Autismusspektrumsstörung, der für gewöhnlich Probleme damit hatte, seine Aggressionen zu regulieren. Immer wenn er ein Pony anschrie, drehte es sich auf der Stelle um, und ging. Der Junge erfuhr schnell, dass er nicht schreien darf, wenn er Kontakt zu einem Lebewesen haben möchte. Er lernte, Empathie mit sich selbst und seiner Umwelt zu entwickeln.

Nicht sprechendes Mädchen findet plötzlich klare Worte

Oder das Mädchen, das im schulischen Umfeld zuvor kein Wort gesprochen hat und einem Pony urplötzlich deutliche Kommandos gab. Ein verschüchterter Junge, der in der Schule gemobbt wurde, erfuhr durch die Begegnungen mit Ponys, wie es sich anfühlt, unvoreingenommen gemocht und gebraucht zu werden, Geborgenheit zu erleben.

Ein Junge balanciert auf einer Hürde, die Reitsport-Trainerin Kirsten Rudolf hält ihm die Hand und ein schwarzes Shetland-Pony bewacht die Szenerie.

Reitsport-Trainerin Kirsten Rudolf hilft Tom (Name geändert), auf einem Hindernis zu balancieren, Shetland-Pony Amy animiert und beschützt den Jungen.

Daneben geht es im Ponyclub gemäß seines ganzheitlichen Ansatzes auch darum, den Kindern Struktur zu geben – und einzuüben. So wartet auch auf Milena, Tom und Sandra (Juli ist erkrankt) an diesem Dienstagnachmittag vor dem Vergnügen im Reitstall zunächst einmal die Arbeit. Oder um es mit Milenas Worten auf die Frage „Was machen wir jede Woche zuerst?“ auszudrücken: „Die Kacke weg“.

Ein Mädchen kniet neben einem Shetland-Pony in kratzt ihm ein Huf aus.

Szene aus dem Ponyclub in Groß Hohn

Magische Momente im Pony-Stall

Nachdem die vier kleinen Ponywirte mit Schaufel und Besen gewappnet das „Außengehege“ von Pferdeäpfeln befreit haben, geht's schnellen Schrittes in den Stall, um Lady, Luna und Amy zu bürsten, zu striegeln und ihre Hufe auszukratzen. Wer miterlebt, wie routiniert, begeistert und einander zugewandt Milena, Tom und Sandra dabei vorgehen, ahnt, dass der Ponyclub auch den Zusammenhalt, die Selbstständigkeit und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt.

Der Stall bietet den Kindern Raum, sich ohne Leistungsdruck auszuprobieren, eigene Fähigkeiten zu entdecken und Verantwortung zu übernehmen. Vielen beeinträchtigten Kindern fehlt das Erlebnis, sich selbst um etwas kümmern zu müssen, da meist sie es sind, die umsorgt und behütet würden. Was nicht selten dazu führt, dass sie selten Erfolgserlebnisse haben.
Birgit Körber, Sonderpädagogin, Tiergestützte Pädagogik

„Der Stall bietet den Kindern Raum, sich ohne Leistungsdruck auszuprobieren, eigene Fähigkeiten zu entdecken und Verantwortung zu übernehmen“, bestätigt Birgit Körber. Schließlich würde vielen beeinträchtigten Kindern das Erlebnis fehlen, sich selbst um etwas kümmern zu müssen, da meist sie es sind, die umsorgt und behütet würden. „Was nicht selten dazu führt, dass sie kaum Erfolge erleben.“

Individuelle Glücksmomente in der Reithalle

Um individuelle Erfolgserlebnisse und Glücksmomente geht es – ganz ohne Druck, dafür mit viel Spaß – zum Abschluss auch in der Reithalle. Da öffnet sich der sonst aufgrund seiner autistischen Störung sehr verschlossene Tom, nimmt im wahrsten Sinne des Wortes die Zügel in die Hand, springt mit Amy über eine kleine Hürde und motiviert seine Mitstreiterinnen, es auch zu tun.

Milena, die mit dem Down-Syndrom zur Welt kam, und häufig Probleme mit ihrer geringen Frustrationstoleranz hat, gibt nicht auf, und redet Lady gut zu, bis sie nach x-facher Verweigerung doch noch über das Hindernis springt. Und Sandra, die außerhalb des Ponyclubs nur ungern etwas tut, das ihr auf Anhieb nicht gelingt, schnell aufgibt, aus Angst davor, zu scheitern, striegelt, sprintet und schuftet zwei Stunden mit Verve und ohne Unterlass.

Ganz offensichtlich haben Ponys therapeutisches Potenzial. Davon ist auch Körber überzeugt, „denn sie sind Meister der Achtsamkeit, können Menschen lesen und man kann an ihrem Verhalten sehen, wie es um das Innere eines Kindes bestellt ist.“


Tiergestützte Therapie, Pädagogik, Intervention - Fragen und Antworten

1. Was ist tiergestützte Therapie?

Dabei werden Tiere in den ganzheitlichen Therapieprozess einbezogen. Die Fachkraft und ihr tierischer Pendant arbeiten als Team gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten. Die Tiere helfen dabei, deren körperliche, emotionale und soziale Gesundheit zu unterstützen und zu fördern. Als tierische Therapeuten eignen sich domestizierte Tiere, etwa Hunde, Katzen, Pferde, Kaninchen, aber auch Nutztiere wie Hühner, Schafe, Schweine, Ziegen, Alpakas & Lamas.

2. Bei welchen Erkrankungen, Störungen oder Beeinträchtigungen kommt tiergestützte Therapie zum Einsatz - und wie?

Tiergestützte Therapie kann für eine Vielzahl von Menschen von Vorteil sein, etwa für Kinder und Erwachsene mit körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen, Beeinträchtigungen, Erkrankungen oder Störungen (Multiple Sklerose, ADS/ADHS, Verhaltensauffälligkeiten, Autismusspektrumsstörung, Posttraumatische Belastungs- oder Angststörungen, Depressionen, Demenz, motorische Probleme, Aggressionen). Im Mittelpunkt der tiergestützten Therapie steht die Begegnung und Interaktion zwischen Patient und Tier, etwa durch Streicheln, Führen, Spielen, Putzen, Füttern oder Übungen am, auf und mit dem Tier. Dabei werden unterschiedliche Gefühle wie Freude oder Sehnsucht geweckt, da Tiere sind besonders gut in der Lage dazu sind, bedingungsloses Vertrauen, Sicherheit und ein Gefühl von Geborgenheit zu geben. Wichtig ist, dass beide, Mensch und Tier, Freude am Miteinander haben.

3. Welche Vorteile bietet tiergestützte Therapie?

Tiergestützte Therapie kann Stress und Angstzustände reduzieren, die körperliche und geistige Gesundheit verbessern, soziale und kommunikative Fähigkeiten fördern und die Lebensqualität erhöhen. Im Gegensatz zu anderen Therapieformen steht die Freude dabei im Vordergrund. Tiergestützte Einheiten machen Spaß und motivieren dazu, sich selbst auszuprobieren, eigene Grenzen und Ängste zu überwinden, verschüttete Ressourcen wiederzuentdecken, Erfolgserlebnisse zu erfahren sowie innere Sicherheit und Selbstvertrauen zu erlangen.

4. Gibt es wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit von tiergestützter Therapie?

Es gibt wissenschaftliche Studien, die die oben genannte Wirksamkeit von tiergestützter Therapie belegen. Dabei haben Patienten beispielsweise gelernt, durch ehrliche Signale der Tiere, die Reaktionen anderer Menschen besser zu deuten und ihre eigenen Bedürfnisse genauer zu artikulieren. Menschliche – oft verletzte und verborgene – Grundbedürfnisse, wie der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit, können wachgerufen werden. Die Erfahrung des „Getragenwerdens“ ist wichtig für die Entwicklung - und oft sehr heilsam.

5. Wie unterscheidet sich tiergestützte Pädagogik von tiergestützter Therapie?

Tiergestützte Therapie richtet sich in der Regel an Menschen mit körperlichen, psychischen oder emotionalen Erkrankungen, während die tiergestützte Pädagogik entwickelt wurde, um das Lernen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Tiergestützte Therapie hat in der Regel das Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten zu verbessern oder ihm bei der Bewältigung von psychischen oder emotionalen Problemen zu helfen. Tiergestützte Pädagogik hingegen zielt darauf ab, das Lernen zu erleichtern, die kognitiven Fähigkeiten und sozialen Fertigkeiten von (Förder-)Schülerinnen und Schülern zu verbessern und ihr Wohlbefinden zu steigern. Das Tier soll dabei vor allem das Interesse und die Motivation der Schülerinnen und Schüler steigern.

6. Was bedeutet tiergestützte Intervention?

Tiergestützte Intervention oder tiergestützte Arbeit sind Überbegriffe für den tiergestützten Bereich. Er umfasst tiergestützte Therapie, Pädagogik, Förderung und Aktivitäten.

7. Wer darf tiergestützte Therapie/Pädagogik anbieten?

Es gibt keine spezifischen gesetzlichen Regelungen, tiergestützte Therapie ist damit kein geschützter Begriff. Wenn die tiergestützte Arbeit aber gewerbsmäßig ausgeübt wird, unterliegt sie dem Paragrafen 11 des Tierschutzgesetzes. Demnach muss für tiergestütztes Arbeiten eine Erlaubnis vom örtlichen Veterinäramt vorliegen, die einen Sachkundenachweis für die jeweilige Tierart voraussetzt. Um tiergestützt therapeutisch arbeiten zu können, ist eine berufliche Ausbildung in den Bereichen Therapie, Pädagogik oder Medizin vonnöten. Für eine Weiterbildung zur Fachkraft für tiergestützte Pädagogik wird in der Regel eine abgeschlossene Ausbildung/Studium an einer Fachschule oder Universität (Pädagogik, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Psychologie, Alten- oder Krankenpflege) und eine zweijährige berufliche Tätigkeit vorausgesetzt.