Neue „wir helfen“-Aktion startetWie Jugendarbeit das Porzer Rheinufer befrieden soll
Köln – Zumindest auf den Pavillon am Weltkriegsdenkmal können sich die Porzer einigen, die alten und die jungen. Hier stehen sie alle gerne und blicken auf die im Norden glänzenden Domspitzen – auf der Balustrade des Pavillons liegen schmutzige Plastikverpackungen, die gestern wohl noch Döner warm hielten. Bei der Liebe zum Ausblick endet die Gemeinsamkeit der beiden Gruppen, die die Rheinpromenade hauptsächlich nutzen: Jugendliche aus den Hochhäusern und Rentner aus dem Einfamilienhaus.
Um zwischen ihnen vermitteln, steht nur wenige Meter vom Pavillon entfernt zweimal wöchentlich das Jugendmobil des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) am Friedrich-Ebert-Ufer. Vor dem blau-gestrichenen Wohnwagen sitzt Daniel auf einer kurzen Bierbank, die Arme auf den Tisch gestürzt, es ist der letzte T-Shirt-Tag dieses heißen Sommers. Der 24-Jährige trägt ein schwarzes Exemplar, darüber eine goldene Kette und einen Plastikhaarreifen, der seine dunklen Haare flach an den Kopf drückt.
Das rechtsrheinische Porz hat kein gutes Image
„Porz ist eine eigene Stadt, eine eigene Welt“, sagt der 24-Jährige und übertönt mit seinen Worten den Bass der Rap-Musik, der aus den offenen Fenstern des Mobils nach draußen wummert und schiebt hinterher: „Aber Porz hat einen schlechten Ruf.“ Sein Freund Ahmed nickt und sagt: „WLAN hat man hier, aber sonst nicht so viel.“ Das rechtsrheinische Viertel, das bis 1975 eine eigene Stadt war und dann eingemeindet wurde, hat kein gutes Image. Nur ein Beispiel: Seit März kann man in Porz keine KVB-Leihräder mehr abstellen, weil massenhaft die Schlösser geknackt wurden. Daniel und Ahmed gehören als junge Männer zu der Gruppe, die für solche Taten kollektiv verantwortlich gemacht werden.
Die älteren Porzer, die auf den Parkbänken sitzen, fühlten sich von den oft lauten Jugendlichen gestört. Auch die Verwaltungsmitarbeiter im nahen Rathaus beschwerten sich regelmäßig. Das Jugendmobil zieht mit seinen Sandwiches, zwei Fernsehern und Sitzsäcken im Inneren im Zweifel nun noch mehr Menschen an. Manchmal kommen 40 Leute an einem Nachmittag, sagt Sozialarbeiter Marco Coverta. „Dann wird es schon mal ein bisschen turbulent.“
Heute sind es höchstens zehn. Fragt man Daniel, warum er herkommt, sagt er: „Wir waren sowieso schon hier. Marco musste uns nur ansprechen“. Auch ältere Menschen setzen sich ab und zu auf die von Coverta aufgestellten Bänke. Aber nur auf die äußersten, möglichst weit weg vom Trubel, schauen rüber, manche neugierig, andere misstrauisch.
Jugendarbeit will Jugendliche unterstützen, sich den öffentlichen Raum anzueignen
Covertas Arbeit heißt im Fachjargon „mobile Jugendarbeit“ und versucht einen schwierigen Spagat. Statt die Menschen, die man erreichen will, an einen Ort zu bestellen, geht man dahin, wo sie schon sind. Und wenn das ein Ort ist, an dem andere sie nicht haben wollen? „Aufsuchende Arbeit bewegt sich immer zwischen ordnungspolitischem Interesse und sozialpädagogischen Ansprüchen“ sagt Nils Wenzler von der Technischen Hochschule Köln, er forscht zu sozialer Arbeit und nicht-formaler Bildung.
Aus sozialpädagogischer Sicht wolle man Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, sich den öffentlichen Raum selbstbewusst anzueignen. Das wiederum widerspreche dem ordnungspolitischen Interesse eines konfliktfreien Zusammenlebens. Schließlich werden Sozialarbeiter erst losgeschickt, wenn es an einem Ort Probleme gibt.
Kein Strom, weil der Vermieter nichts unternimmt
So wie in Finkenberg– oder „Demo“ wie Daniel und Ahmed, die eigentlich anders heißen, ihr Zuhause nennen. Der Stadtteil neben Porz wurde Anfang der 1970er-Jahre als Planstadt errichtet. Es sollte laut Stadt Köln als „Demonstrativ-Bauvorhaben“ ein „menschenfreundliches Wohnerlebnis“ schaffen. Geblieben ist für die Bewohnerinnen und Bewohner der Name „Demo“ – und Müll, riesige Ratten, dreckige Treppenhäuser und schimmelige Wohnungen.
In der Wohnung, die Daniel mit seinen Geschwistern und seiner Mutter bewohnt, funktioniert seit Wochen nur teilweise der Strom, weil der Vermieter nach einem Kabelbrand nicht unternommen hat, erzählt er. „Die derzeitigen unterschiedlichen Investorinnen und Investoren halten sich mit Renovierungen und Instandsetzungen sehr zurück“, heißt es bei der Stadt Köln.
Finkenberg ist nicht das einzige Sorgenviertel, auch in der Glashüttensiedlung in Porz-Mitte spricht der SKM von einer „hohen sozialen Belastung“. Mit der Unterstützung von „wir helfen“, dem Unterstützerverein des „Kölner Stadt-Anzeiger“, will der Träger dort einen Quartierstreff errichten. Eher bildungsferne Familien, Kinder und Jugendliche aus belasteten Elternhäusern und isolierte Seniorinnen und Senioren sollen einen Ort bekommen, wo sie sich zukünftig begegnen können. In der Siedlung leben 40 Prozent Minderjährige und jeder dritte Haushalt bezieht Hartz IV. Durchschnittlich 30 Personen leben in der Siedlung in einem Haus, im Rest von Porz-Mitte sind es etwa acht.
Soziale Arbeit kann das Problem Armut nicht lösen
Die Jugendlichen aus diesen Ortsteilen verbringen ihre Freizeit also lieber am Rheinufer, manche haben sehr viel davon. Auch der 24-Jährige Daniel hat gerade keinen Job, Zukunft ungewiss. Wäre es dann nicht Aufgabe der Jugendarbeit, mit ihm einen zu finden? Solche Ansprüche sieht der Wissenschaftler Nils Wenzler kritisch. „In der gemeinsamen Freizeit mit Gleichaltrigen machen Kinder und Jugendliche wichtige Lernerfahrungen.“
So können Sie helfen
„wir helfen: damit alle Kinder bei uns eine Zukunft haben“
Mit unser neuen Aktion „wir helfen: damit alle Kinder bei uns eine Zukunft haben“ bitten wir um Spenden für Projekte in Köln und Umgebung, die Kindern und Jugendlichen eine gute körperliche und geistige Entwicklung ermöglichen. Die gesamte Spendensumme wird weitergegeben, die Verwaltungskosten trägt der Verlag M. DuMont Schauberg.
Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
Außerdem ist er dann wieder beim Gegensatz zwischen Sozialpolitik und sozialer Arbeit: Die soziale Arbeit kann gesamtgesellschaftlichen Probleme wie Armut nicht lösen. Wenzler setzt vielmehr auf den demokratischen Lernprozess in der „aufsuchenden Jugendarbeit“: Die jungen Menschen sollen sich mithilfe der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im öffentlichen Raum als Teil einer Gesellschaft fühlen, in der Interessen ausgehandelt werden müssen.
„In Porz haben die Menschen viele Vorbehalte untereinander“
Eine schwierige Aufgabe, denn in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft werden die Gegensätze arm-reich, jung-alt, in Porz links oder rechts von der KVB-Linie 7 immer schwerer zu überbrücken.
Am Porzer Rheinufer wurde 2019 einen Tag vor Silvester aus dem Garten eines Einfamilienhauses auf einen jungen Mann geschossen, der mit drei Freunden dort bei lauter Musik und Wodka aus dem Kiosk gechillt hat. „Halt die Klappe“, soll er dem Hund eines CDU-Politikers zugerufen haben, dieser beleidige die jungen Männer als „Dreckspack“ und schießt einem von ihnen in den Oberarm.
Ein halbes Jahr später hat Lara Waldron, Sozialraumkoordinatorin für Porz-Mitte, ihren Job angefangen. „In Porz haben die Menschen viele Vorbehalte untereinander“, sagt sie, die selbst in Porz aufgewachsen ist. Um Vorurteile abzubauen, will auch sie – genau wie der SKM – die Bewohnerinnen und Bewohner der Glashüttensiedlung mehr miteinander ins Gespräch bringen. Ihr Lieblingsbeispiel für ein gelungenes Zusammenleben: Im Jugendzentrum Glashütte findet einmal im Monat Tanztee für Senioren statt – und die Jugendlichen verkaufen hinter der Theke die Getränke.
Wiedersehen am Jugendmobil
Und auch am Rheinufer bleibt an diesem Tag noch ein älteres Ehepaar vor dem Jugendmobil stehen. Sie haben eine der Besucherinnen erkannt. Daniel kommt der ältere Herr im karierten Hemd und mit einer abgewetzten Plastiktüte in der Hand auch bekannt vor. Er und seine Freunde haben dem Mann geholfen, nachdem er überfallen wurde.
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Sein Auge zeigt noch eine bunt-schimmernde Schwellung. Daniel habe für ihn Polizei gerufen und wurde dann selbst kurz verdächtigt. Er wollte sich nochmal für die Hilfe der Jugendlichen bedanken, sagt der Mann. Eines der Mädchen macht ihm im Jugendmobil noch ein Sandwiches.