Aggressive StimmungIHK nach Vollversammlung tief gespalten
- Am Donnerstagabend hat sich die Vollversammlung der IHK Köln nach einer Revolte gegen die Präsidentin Nicole Grünewald getroffen.
- Ihre Kritiker bemängeln vier Punkte, gleichzeitig gibt es aber auch neue Kritik am gerade erst ausgeschiedenen Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt.
- Wie die Stimmung auf der Versammlung war – und was die Hintergründe des Streits sind.
Köln – Die Industrie- und Handelskammer Köln (IHK) hatte für Donnerstagabend eine außerordentliche Vollversammlung einberufen. Grund dafür war eine Revolte gegen die im Januar gewählte Präsidentin Nicole Grünewald. Verschiedene Beteiligte beider Lager beschreiben die Stimmung kurz nach der Sitzung als angespannt und aggressiv.
Es gab Teilnehmern zufolge sowohl Rücktrittsforderungen gegen die Präsidentin, gleichzeitig aber auch Rückhaltsbekundungen. So sagten mehrere Teilnehmer übereinstimmend: „Die Vollversammlung ist tief gespalten“. Die Versammlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, in der Lanxess-Arena, einer der wenigen Orte, wo die vielen Mitglieder des Gremiums aus Hygienegründen genug Abstand hatten. Presse und Publikum sind bei der IHK-Vollversammlung bislang nicht zugelassen, auch ein Streitpunkt der Konfliktparteien. Die Hintergründe des Streits:
Warum ist es überhaupt zur außerordentlichen Vollversammlung gekommen?
28 von 92 Mitgliedern der Vollversammlung haben einen in der Geschichte der IHK bislang ungenutzten Paragrafen aktiviert, um das Gremium zu einem Treffen zu zwingen: Wenn mehr als ein Fünftel der Mitglieder Beratungsbedarf anmelden, muss eine Vollversammlung einberufen werden. Unter den Initiatoren der ungewöhnlichen Initiative sind der ehemalige Kammerpräsident Werner Görg, Aufsichtsratsvorsitzender der Gothaer Versicherung, Ex-IHK-Vizepräsidentin Sandra von Möller, Handelshofchef Wilhelm von Moers und Axa-Chef Alexander Vollert.
Was bemängeln die Kritiker?
In einem Brief, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, führen sie vier Streitpunkte mit Beratungsbedarf an.
Erstens, bemängeln die Unterzeichner, dass das neue IHK-Präsidium eine Prüfung über das Geschäftsjahr 2019 beziehungsweise der Vorjahre anberaumt hat. Sie halten diese Prüfung, die sie selbst Sonderprüfung nennen, für nicht notwendig und daher für zu teuer. Aus dem gegnerischen Lager wird das bestritten. Wie aus dem IHK-Umfeld zu hören ist, ist der Abschluss für das zurückliegende Jahr noch ohne Bestätigungsvermerk.
Die erste Präsidentin
Die Wahl zur Vollversammlung Ende 2019/Anfang 2020 stellt eine Zäsur in der Geschichte der IHK Köln dar. Eine Gruppe kleinerer Unternehmer um die Werbeagentur-Chefin Nicole Grünewald war erstmals wie in einem politischen Wahlkampf als Team aufgetreten, um die Kammer zu erneuern, vor allem in Sachen Transparenz und Digitalisierung.
Die Gruppe nannte sich „New Kammer“ und hatte unausgesprochen das Ziel, die Wiederwahl des Kammerpräsidenten Werner Görg zu verhindern. Zur Überraschung vieler Beobachter erzielte Grünewald dann eine knappe Mehrheit und wurde zur ersten Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Köln gewählt. (tb)
Zweiter Kritikpunkt ist der Verkauf des IHK-Gebäudes Unter Sachsenhausen. Das neue Präsidium unter Grünewald hat eigenmächtig den geplanten Verkauf der Zentrale mit Verweis auf die aktuelle Wirtschaftkrise gestoppt. Die Unterzeichner monieren, dass das nur die Vollversammlung beschließen könne.
Punkt drei ist Grünewalds Newsletter. Dieser soll nicht über die IHK-Server versendet worden sein, sondern über den amerikanischen Service Mailchimp. Das verstoße gegen die zwischen Kammer und Mitgliedern vereinbarte Datennutzung. Juristen bestreiten den Verstoß. Mailchimp ist die am breitesten genutzte Plattform für Mailings. Nach Informationen unserer Redaktion benutzt die IHK üblicherweise Lotus Notes, das System gilt als veraltet.
Vierter Kritikpunkt sind Wahlprüfsteine für die NRW-Kommunalwahl im Herbst. Diese hatte das Präsidium ohne Zutun der Vollversammlung beschlossen und das mit der Dringlichkeit aufgrund der anstehenden Wahlen begründet. Ärger verursachte auch, dass die Wahlprüfsteine bereits auf der Homepage der IHK abrufbar sind, was den Eindruck erwecke, sie seien durch die Vollversammlung bereits beschlossen, sagen Kritiker. Aus dem Umfeld der IHK war zu hören, dass es ein Versäumnis war, dass nicht schon die alte Versammlung und das Präsidium die Prüfsteine im vergangenen Jahr verabschiedet haben. Grünewald habe wegen der Corona-Kontaktsperren keine Alternative gehabt.
Warum kommt es zur Sonderprüfung über die Vorjahre?
Das hat mehrere Gründe, wie aus einem Papier der Rechnungsprüfungsstelle für Handelskammern hervorgeht, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Demnach gab es zwar eine Wirtschaftlichkeitsprüfung für den Kauf einer neuen Zentrale. Diese wurde dann aber nicht berücksichtigt, denn es gab drei aus Sicht dieser Prüfung wirtschaftlichere Alternativen. Der in dieser Woche ausgeschiedene IHK-Hauptgeschäftsführer sagte dazu auf Nachfrage am Mittwoch: „Der Hauskauf war ein Beschluss der Vollversammlung und auf eine Betrachtung nicht-monetärer Faktoren wurde nach Mehrheitsbeschluss der Ehrenamtlichen ausdrücklich verzichtet.“ Wie die Kammer aich m späten Abend mitteilte, sei die Vollversammlung zu folgender Einigung gekommen: „Es habe sich, so das Präsidium, herausgestellt, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die dem Kauf des zukünftigen Gebäudes der IHK Köln in Köln-Mülheim vorgelagert war, einer Forderung der Rechnungsprüfungsstelle folgend,um weitere Kriterien ergänzt werden muss."
Zweite Beanstandung durch die Prüfungsstelle: Reichardt soll über mehrere Jahre einen externen Berater engagiert haben. Dieser soll dem Vernehmen nach bis zu 51 Prozent mehr kassiert haben als der Nettoauftrag wert gewesen sei, außerdem sei die Leistung des Beraters nicht dokumentiert worden. Ferner wird im Bericht kritisiert, dass der IHK-Neujahrsempfang 2018 wegen des Besuchs des französischen Premierministers und entsprechenden Vorkehrungen um 50 000 Euro teurer geworden sei als veranschlagt. Durch die Tatsache, dass es keinen Bestätigungsvermerk unter dem Jahresabschluss gebe, gebe es auch keine Entlastung für die Geschäftsführung und das frühere Präsidium, sagen Insider.
Was sind die Hintergründe des Streits um die IHK-Zentrale?
Schon seit längerem schwelt eine Auseinandersetzung um die traditionsreiche IHK-Zentrale in der Kölner Innenstadt. Mehr als zehn Jahre lang war geplant, das Gebäude in der Straße Unter Sachsenhausen zu sanieren. Die Vollversammlung bewilligte zwischenzeitlich sogar 40 Millionen Euro für den Umbau. Zu diesem Preis fand sich jedoch niemand, der das Gebäude renovieren wollten. Das Angebot eines Generalunternehmers lag bei knapp 57 Millionen Euro. Im Juli 2019 sprach sich die IHK schließlich gegen den Umbau aus.
Der damalige Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt wurde damit beauftragt, nach einer Standortalternative zu suchen. Die Vollversammlung entschied sich schließlich für den Kauf des Neubaus Lofthaus auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs an der Schanzenstraße in Mülheim für 39,2 Millionen Euro. Damals wurde auch der aktuell von IHK-Präsidentin Grünewald ausgesetzte Verkauf der alten Zentrale für mindestens 13 Millionen Euro beschlossen.
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Kritik an den Berechnungen gab es schon damals. Die Kammerführung unter Reichardt hatte mehrere Alternativen von einer Unternehmensberatung in eine Rangfolge bringen lassen. Die Sanierung des alten Kammergebäudes schnitt besonders schlecht ab. Kritiker, darunter Mitglieder der „New Kammer“-Initiative um Nicole Grünewald, bemängelten, dass die Kosten für die Planung der Sanierung in den vergangenen Jahren in Höhe von 6,2 Millionen Euro einbezogen wurden, obwohl das Geld längst geflossen sei. Auch weiche Faktoren, wie die gute Erreichbarkeit in Dom-Nähe seien nicht berücksichtigt worden. Mitunter gab es flammende Plädoyers für den Innenstadt-Standort.
Der Streit landete sogar vor Gericht, weil sich Gegner des Lofthaus-Kaufs nicht ausreichend über den Inhalt des Kaufvertrags informiert sahen. Das Verwaltungsgericht Köln sah Informationsrechte jedoch nicht verletzt und gab den Weg für den Kauf des Mülheimer Areals frei.
Was sagen Beobachter?
Kai Boeddinghaus, Bundesgeschäftsführer des „Bundesverbandes für freie Kammern“, geht mit beiden Streitparteien hart ins Gericht und spricht von „Chaostagen“ in Köln. Reichardts Gehalt in den zurückliegenden Jahren bezeichnet er aktuell als „maßlos“, und er kritisiert, dass die an Reichardt gezahlte Abfindung nicht offen gelegt werde. Aber auch gegen die neue Präsidentin schießt der Kammer-Kritiker auf seiner Homepage. „Wenn bei der Sondersitzung die Veröffentlichung von Wahlprüfsteinen der IHK zur Kommunalwahl in der Kritik stehen, so hat hier tatsächlich auch die neue Präsidentin gleich den ersten Rechtsbruch zu verantworten. Denn natürlich hat das Präsidium einer IHK nicht die Kompetenz, solche Positionen ohne die Vollversammlung zu verabschieden“, schreibt Boeddinghaus. Sein Verband tritt für eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern ein. Beide Kölner Konfliktparteien stellen diese aber in ungewohnter Eintracht nicht in Frage.