Agrarexperte„Biolandbau alleine kann die Welt nicht ernähren“
Der Welternährungsgipfel am 23. September soll Wege aufzeigen, wie man eine wachsende Weltbevölkerung ernähren kann, ohne Natur und Klima zu überlasten. Agrarwissenschaftler Urs Niggli hat dafür wissenschaftliche Fakten zusammengetragen
Herr Niggli, die Vereinten Nationen haben für den 23. September einen hochrangig mit Staatschefs und Fachministern besetzten Welternährungsgipfel einberufen. Welche Rolle spielen Sie als Vordenker des biologischen Landbaus dabei?
Ich bin Mitglied eines 23-köpfigen Wissenschaftsgremiums, das im Auftrag des UN-Generalsekretärs die wissenschaftlichen Fakten aufarbeitet und so den Gipfel wissenschaftlich untermauert. Die Zeit drängt, weil die UN bereits in zehn Jahren ihre festgelegten 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen will. Dazu gehören das Eliminieren von Hunger mit ausreichend gesunden Lebensmitteln für eine ausgewogene Ernährung, aber auch das 1,5 Grad-Klimaziel und der Schutz der Biodiversität. Unsere Arbeit soll ein Polit-Spektakel verhindern, indem wir etwa eine Prioritätenliste der Maßnahmen aufstellen. Alle zwei Jahre überprüfen wir dann, welche Maßnahmen umgesetzt werden und wo die Ziele verfehlt werden.
Wenn die Weltbevölkerung jedes Jahr um 78 Millionen Menschen wächst, könnte man die zusätzlichen Köpfe nicht sattbekommen, wenn die Bauern mehr Flächen als bisher beackern?
Selbst wenn die Erträge so wie bisher weiter steigen, müssten nach Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO bis zum Jahr 2050 rund 200 Millionen Hektar Ackerland und 400 Millionen Hektar Grünflächen zusätzlich bewirtschaftet werden, um die bis dahin auf geschätzt knapp zehn Milliarden anwachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Das wäre die eineinhalbfache Fläche der gesamten Europäischen Union. Regenwälder, Moore und Savannen wären gefährdet, mit massiven negativen Folgen für Natur und Umwelt. Das ohnehin bereits rasante Schwinden der Artenvielfalt würde dadurch stark beschleunigt und so das Biodiversitätsziel der UN praktisch ausgehebelt. Im Wissenschaftsgremium sind wir uns daher einig, dass unberührte Ökosysteme wie Regenwälder und Moore nicht in Agrarflächen umgewandelt und extensiv bewirtschaftetes Grünland wie zum Beispiel Savannen-Gebiete nicht intensiver bearbeitet werden dürfen.
Woher sollen stattdessen die zusätzlichen Nahrungsmittel kommen?
Weltweit sind riesige Agrarflächen degeneriert, weil dort zum Beispiel viel zu viel Vieh weidete oder Trockenheit Wüsten entstehen ließ. Mit gezielten Maßnahmen wie dem Pflanzen von Hecken und Bäumen, dem Ausbringen von Kompost, speziellen Techniken zu Sammeln von Wasser oder nachhaltiger Weidewirtschaft werden diese Gebiete wieder fruchtbar. Vor allem aber müssen wir bestehende Agrarflächen produktiver und gleichzeitig nachhaltiger bewirtschaften.
Sollte man nicht den Fleischkonsum deutlich reduzieren und auf den freiwerdenden Agrarflächen Erbsen, Bohnen und andere Pflanzen für die menschliche Ernährung anbauen?
Auf jeden Fall! Auf den Anbau von Futterpflanzen auf dem Acker sollte man tatsächlich weitgehend verzichten. In Deutschland ist der Anteil von Futtergetreide ja besonders hoch. Auf 30 Prozent der Agrarfläche des Landes wachsen Mais, Soja und Gerste, mit denen Schweine, Rinder und Hühner gemästet werden. Würde man dort Kichererbsen oder Bohnen anbauen, die direkt auf den Tellern der Menschen landen, produziert die gleiche Fläche zwanzigmal mehr Proteine. Sinkt der ohnehin sehr hohe Fleischkonsum in Deutschland, könnte also die Landwirtschaft kräftig entlastet werden. Auch die Verschwendung von Lebensmitteln muss um 50 Prozent gesenkt werden. Das entlastet das Haushaltsbudget und die Umwelt massiv.
Sollte man dann weltweit nicht ganz auf Fleisch verzichten?
Natürlich hat eine vegetarische oder vegane Ernährung Potential. Da Deutschland einen hohen Anteil Ackerflächen am Agrarland hat, könnte diese Rechnung sogar aufgehen. Schon in der Schweiz und Österreich sieht die Situation aber ganz anders aus. Und weltweit wächst nur auf acht Prozent der Agrarflächen Tierfutter, 24 Prozent dienen der menschlichen Ernährung, während 68 Prozent Grasflächen sind, auf denen meist Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen weiden. Ohne Tiere würde man diese riesigen Flächen aus der Lebensmittelproduktion nehmen und Hunderte Millionen Hirten oder zum Beispiel die Eskimos würden ihrer Existenzgrundlage beraubt, weil sie vollständig von Tieren und deren Produkte leben. Für die Haltung von Tieren gibt es also auch ökologische Gründe. Es gibt weltweit schlicht zu wenig Ackerland, um die Proteine von Weidetieren zu ersetzen. Und den größten Teil des Grünlandes kann man nicht pflügen. Das liegt an den Böden, am hügeligen Gelände und am Klima. Da ist die Kuh die ideale Nutzung.
Zur Person
Prof. Urs Niggli (68) ist einer der führenden Schweizer Agrarwissenschaftler und Vordenker des biologischen Landbaus. Von 1990 bis März 2020 leitete er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im aargauischen Frick. Als Mitglied eines 23-köpfigen Gremiums die wissenschaftlichen Grundlagen des Welternährungsgipfels vor
Fehlt da nicht das Treibhausgas Methan, das Rinder und andere Wiederkäuer laufend ausrülpsen?
Beim Wachsen holt die permanente Vegetationsdecke des Grünlands Kohlendioxid aus der Luft und verwendet den enthaltenen Kohlenstoff zum Wachsen. Ein Teil dieses Kohlenstoffs landet später im Humus, der sich langsam aufbaut und durch die Grasdecke vor dem Abbau geschützt ist. Rinderweiden sind also Kohlenstoff-Senker oder zumindest keine Quellen. Wird aus dem Grünland ein Acker, werden die darin lebenden Mikroorganismen aktiviert und beginnen, den Humus abzubauen. Dabei wird das CO2 freigesetzt. Trotz des von den Tieren ausgerülpsten Methans ist eine nachhaltig bewirtschaftete Rinderweide oder eine Wiese das kleinere Übel als zusätzliches Ackerland.
Also können wir auch in Zukunft Fleisch, Käse und Joghurt essen?
Zumindest gilt das für Rinder und andere Wiederkäuer wie Schafe und Ziegen, die auf Grünland weiden und dort Gräser fressen, mit denen das Verdauungssystem eines Menschen ohnehin nichts anfangen kann. Allerdings sollte der Konsum von Schweinefleisch, Hühnern und Eiern um 50 oder auch 60 Prozent zurückgehen, weil diese Tiere mit uns Menschen um Nahrungsmittel konkurrieren. Schweine und Hühner können wir dann mit Resten versorgen, die wir Menschen ohnehin nicht essen. Das wäre zum Beispiel Kleie, bei der es sich um Schalen und Keimlinge von Getreide handelt, die nicht im Mehl landen. Oder dem beim Auspressen von Trauben-, Apfel- und Tomatensaft zurückbleibenden Trester, sowie dem Presskuchen der beim Gewinnen von Öl aus Raps, Soja oder Sonnenblumen übrig bleibt. Auch in Zukunft wird es also noch Eier zum Backen von Kuchen oder Herstellen von Nudeln geben.
Das Getreide für solche Produkte kommt dann vom Biobauern?
Allein kann der Biolandbau die wachsende Weltbevölkerung aus einem schlichten Grund kaum ernähren: Die Erträge der Biobauern sind im Durchschnitt 20 bis 25 Prozent niedriger als die ihrer konventionellen Kollegen. Auf guten Böden kann dieser Unterschied noch deutlich größer sein, zeigen Forschungen an der Universität Kiel. Auf mageren Äckern dagegen ernten sie manchmal ähnlich viel Getreide wie herkömmliche Bauern.
Also wird der Biolandbau für die Welternährung keine Rolle spielen?
Das Gegenteil ist der Fall. Der Biolandbau hat ja eine ganze Reihe erheblicher Vorteile: Wenn man organische Dünger oder Kompost verwendet, vielfältige Fruchtfolgen oder Mischkulturen zum Beispiel aus Getreide und Leguminosen anbaut, verbessert das den Boden enorm: Das Bodenleben ist aktiver und verbessert die Struktur erheblich. Dadurch wird der Boden besser durchlüftet und ist widerstandsfähiger gegenüber den immer schwerer werdenden Maschinen. Warum sollten die konventionellen Bauern solche Vorteile nicht übernehmen und so den für die Natur sehr problematischen Einsatz von reichlich Stickstoff- und Phosphor-Mineraldüngern, sowie von Pestiziden kräftig reduzieren? In Zukunft brauchen wir die Ökobauern noch nötiger, um solche systemorientierten Techniken weiterzuentwickeln. Und wir brauchen konventionelle Bauern, die diese Schritt für Schritt übernehmen und sie mit modernen Technologien kombinieren. Ich nenne diesen Zwischenweg zwischen „Öko“ und „Konventionell“ Agrarökologie. Ideal wäre es in Europa 25 Prozent Ökolandbau und 75 Prozent Agrarökologie zu haben.
Aber noch immer gefährden Schädlinge die Ernten!
Da wird die Züchtung in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen: Weizensorten, die mit den modernen Genscheren resistent gegen Mehltau werden und Obstbäume, die mit gentechnisch eingebauten Erbinformationen dem Apfelschorf Paroli bieten, könnten Ernte-Einbußen verringern. Die EU-Kommission schlägt daher eine teilweise Neubeurteilung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vor, weil viele für die Pflanzenzüchtung interessante gentechnische Veränderungen nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden sind.
Werden die Biobauern mitspielen?
Nein. Die Biobauern werden das strikte Verbot von Gentechnologie nicht aufgeben. Aber in der konventionellen Landwirtschaft wird die Gentechnik wohl bald eine wichtige Rolle spielen, um die Welternährung zu sichern.
Wie kann die Politik eine nachhaltige Landwirtschaft durchsetzen?
Hier in Europa wird vermutlich die Umstellung der Direktzahlungen für die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Anders als bisher werden die Bauern weniger und nach einigen Jahren wohl gar keinen Zuschuss zum Einkommen mehr erhalten. Stattdessen werden sie für den Schutz der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit, für Klimaschutz und artgerechtere Tierhaltung bezahlt werden.