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Bayers Chef-Lobbyist Berninger„Wir müssen uns nicht entschuldigen, Geld zu verdienen“

Lesezeit 14 Minuten
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Matthias Berninger, Ex-Grünen-Politiker, ist seit Anfang 2019 Cheflobbyist des Leverkusener Bayer-Konzerns.

  1. Berninger saß einst für die Grünen im Deutschen Bundestag – als jüngster Abgeordneter überhaupt. Jetzt ist er Cheflobbyist bei Bayer.
  2. Im Interview spricht Berninger über die umfassenden Klimaziele, die Bayer nun vorgestellt hat.
  3. Der Lobbyist spricht auch über den angeschlagenen Ruf Bayers, das umstrittene Mittel Glyphosat, fragwürdige Lobby-Praktiken und Bayers Verantwortung für Klima- und Umweltschäden.

Köln – Einst war Matthias Berninger jüngster Abgeordneter im Deutschen Bundestag und jüngster Staatssekretär für die Grünen. Nach einer Station beim Süßwarenhersteller Mars ist Berninger seit Beginn dieses Jahres Cheflobbyist bei Bayer. Berninger verantwortet beim Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzern auch den Bereich Nachhaltigkeit. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht der Ex-Politiker über Bayers Nachhaltigkeitsziele, den angeschlagenen Ruf des Konzerns, Innovationen in der Landwirtschaft und fragwürdige Lobby-Praktiken.

Bayers Treibhausgas-Emissionen sind vergangenes Jahr durch die Monsanto-Übernahme um 50 Prozent auf 5,45 Millionen Tonnen CO2 gestiegen: Bis 2030 will Bayer nun klimaneutral sein. Beispiele, wie das Unternehmen dies konkret erreichen will, fehlen aber bislang. Warum bleibt Bayer so vage?

Zunächst mal: Wenn Sie ein anderes Industrieunternehmen übernehmen, steigen die Emissionen. Eins und eins ist nun mal zwei –das gilt nicht nur bei Umsatz und Gewinn. Wir gehen davon aus, dass die Emissionen für das laufende Jahr 2019 nach dem vollzogenen Verkauf unserer Anteile am Standort-Dienstleister Currenta bei etwa 4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten liegen werden. Das ist unser Ausgangspunkt für das Ziel, bis 2030 ein zu 100 Prozent klimaneutrales Unternehmen zu werden. Das erreichen wir, indem wir unsere eigene Produktion noch energieeffizienter machen, weltweit komplett auf Strom aus erneuerbaren Energien umsteigen und die verbleibenden Emissionen kompensieren. Das ist ein weiter Weg für ein deutsches Industrieunternehmen, das eben nicht hauptsächlich Dienstleistungen verkauft, sondern vor allem produziert.

Aber haben Sie auch konkrete Projekte vorzuweisen?

Wir haben eine ganze Reihe konkreter Projekte. Dass wir es ernst meinen, sehen Sie schon daran, dass der Erfolg unserer Nachhaltigkeitsziele an die langfristige Vergütung des Vorstands und der Führungskräfte – einschließlich mir – gekoppelt werden soll.

Zur Person

Matthias Berninger, 1971 geboren, zog 1994 nach seinem ersten Staatsexamen in Chemie und Sozialkunde für die Grünen als bis dato jüngster Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Von 2001 bis 2005 war er Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. 2007 wechselte Berninger zum Süßwarenkonzern Mars. Seit Januar 2019 ist er Bayers Cheflobbyist und leitet den Bereich Nachhaltigkeit.

Ist der Anteil der Nachhaltigkeitsziele bei der variablen Vergütung genauso hoch wie jener der finanziellen Ziele?

Über die Höhe entscheidet der Aufsichtsrat, der das neue System der Vorstandsvergütung der Hauptversammlung im kommenden April vorlegen wird.

Noch immer fehlt eine klare Aussage, welche konkreten Schritte Bayer macht.

Das stimmt so einfach nicht. Wenn ein Unternehmen in der Größe Bayers weltweit zu 100 Prozent auf grünen Strom umsteigt, dann ist das sehr konkret und führt auch zu konkreten Investitionen in eine Reihe von Energieprojekten.

Der Weg zur Erreichung der Klimaziele bleibt vage. Erklären Sie bitte, warum das mehr als Greenwashing, als Schönfärberei ist.

Wir haben konkrete Ziele beschlossen, wie wir selbst Emissionen einsparen oder bei unseren Zulieferern und Kunden dazu beitragen. In der Debatte um CO2-Minimierung wird aber aus meiner Sicht zu sehr der Schwerpunkt darauf gelegt, Emissionen einzusparen. Das machen wir, aber wir arbeiten zusätzlich daran, CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Das ist im Kern die richtige Herangehensweise, um die Klimaziele zu erreichen, gleichzeitig aber unseren Wohlstand zu sichern.

Bayers Nachhaltigkeitsziele – und die Kritik daran

Bayer will bis 2030 klimaneutral sein – das ist die zentrale Aussage der Nachhaltigkeitsziele, die der Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzern am Dienstag verkündet hat. Bayer will zu 100 Prozent auf Strom aus erneuerbaren Energien umsteigen. Der Konzern plant außerdem, Emissionen in großen Agrarmärkten sowie Umweltauswirkungen von Pestiziden um 30 Prozent zu reduzieren.

„Indem wir Nachhaltigkeit zu einem noch wichtigeren Bestandteil unserer Strategie und unserer geschäftlichen Abläufe machen, legen wir die Grundlage für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg und leisten gleichzeitig einen positiven Beitrag für die Gesellschaft und die Umwelt“, sagte Vorstandschef Werner Baumann.

Zu den Zielen gehört auch, bis 2030 100 Millionen Kleinbauern mit Zugang zu Innovationen, Wissen und Partnerschaften zu unterstützen. Im gleichen Zeitraum will Bayer 100 Millionen Frauen in Entwicklungsländern Zugang zu modernen Verhütungsmitteln verschaffen.

Der Leverkusener Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach (SPD) begrüßte Bayers Klima-Initiative: Es sei positiv, wenn der Vorstand Nachhaltigkeit auf seine tägliche Agenda setze. Löblich findet der Gesundheitsexperte den Plan, in den Zugang zu Arzneien zu erleichtern. Noch immer aber werbe Bayer für Glyphosat und offenbare „eine nicht nachvollziehbare und nicht ehrliche Haltung“ zu dem Unkrautvernichter: „Wegen Glyphosat ist Bayers Glaubwürdigkeit mindestens so stark gesunken wie der Aktienkurs. Die Klimaziele überzeugen mich mehr.“

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit bei der Fondsgesellschaft Deka, kritisierte Risiken durch Monsanto: Was die neue Strategie für das Geschäft bedeute, sei weiter unklar. Speich nannte die Ziele einen „Schritt in die richtige Richtung“. Dass Bayer endlich auf Kritik von Investoren reagiere, sei „die größte Errungenschaft.“ (hge, tk)

Machen Sie das mit chemischen oder pflanzlichen Mitteln?

Über Pflanzen geht es am besten. Für Bauern kann es künftig zudem eine Einkommensquelle sein, Biodiversität zu fördern, CO2 längerfristig zu binden und auch andere positive Effekte, zum Beispiel eine stärkere Wasserbindung im Boden zu erreichen. Wichtig ist mir: Das wäre keine Subvention. Das wäre nicht staatlich betrieben, sondern marktwirtschaftlich.

Ohne Subventionen brauchen wir ein anderes staatliches Instrument.

Nein, das glaube ich nicht. Es gibt viele Unternehmen, die sich zu Klimaneutralität verpflichten und in großem Stil bereit sind, CO2-Emissionen auszugleichen. Bauern können diejenigen sein, die CO2-Emissionen glaubwürdig aus der Atmosphäre raushalten.

Wie sollen sie das tun?

Weil Sie es ja gerne konkret wollen: zum Beispiel mit Hecken. Zurzeit werden Landwirte nicht belohnt, wenn sie biodiversitätsfördernd arbeiten. Es bleibt ihnen nur, auf Ernteerträge zu verzichten. Das wollen wir durch marktwirtschaftliche Impulse ändern. Über digitale Technologien können Sie sehr genau sehen, was auf einem Acker passiert und das über viele Jahre analysieren. Darüber ist man in der Lage, Bauern für ihre Erfolge zu belohnen.

Lanxess-Chef Matthias Zachert hat angekündigt, sein Unternehmen werde sich von „dreckiger Chemie“ trennen. Wo hat Bayer dreckige Geschäfte im Portfolio, die der Erreichung der Klimaziele im Weg stehen?

Was CO2-Emissionen angeht, sehen wir relativ gut aus. Sie spielen womöglich auf das Thema Glyphosat an: Die Herstellung von Glyphosat ist relativ CO2-intensiv. Was aber oft vergessen wird, ist was Glyphosat ermöglicht, nämlich pflugloses Bearbeiten der Böden. Das ist bodenschonender, vor allem aber deutlich CO2-effizienter. Bodenbearbeitung mit dem Pflug verursacht dreimal so viele CO2-Emissionen wie die Produktion von Glyphosat. Der große Hebel zur Einsparung von CO2 liegt aber in der Kombination von Glyphosat und Glyphosat-resistentem Saatgut. Das wird in Nordamerika und Südamerika bereits genutzt – und leistet dort einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz.

Wäre Bayer denn bereit, Produkte vom Markt zu nehmen, wenn sie Klimazielen im Weg stehen?

Wenn wir es nicht schaffen, Klimaziele mit unserem bisherigen Produktionsmodell zu erreichen, müssen wir Dinge auch auf den Prüfstand stellen.

Bayer hat angekündigt, einen Nachhaltigkeitsrat zu installieren, der die Fortschritte Ihrer Strategie überwacht. Werden Sie auch Kritiker einbeziehen?

Ja, wir beziehen Kritiker mit ein. Wir müssen anderen Vertrauen entgegenbringen, damit auch sie uns vertrauen. Der Nachhaltigkeitsrat soll aber kein Feigenblatt sein, bei dem man Kritiker zum Kaffee einlädt, sondern ein Forum, bei dem Experten auf Augenhöhe mit dem Vorstand diskutieren und uns ihren Rat geben.

Bayer will sich auch für den Schutz der Biodiversität einsetzen. Glyphosat ist jedoch nachgewiesen schlecht für die Artenvielfalt. Wie passt das zusammen? Nagt das nicht an Ihrer Glaubwürdigkeit?

Wir haben es hier mit einem echten Paradoxon zu tun: Wenn wir in der Landwirtschaft auf Pflanzenschutzmittel und Innovationen verzichten, brauchen wir wesentlich mehr Fläche, um die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten zu befriedigen. Das ginge auf Kosten der Biodiversität. Also müssen wir bereits bestehende Flächen sowohl intensiver als auch nachhaltiger nutzen.

Sie planen, das Geschäftsmodell in der Agrarchemie zu verändern und sich für korrekte Vorhersagen bezahlen zu lassen, statt mehr Produkte zu verkaufen.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie faszinierend die digitale Landwirtschaft ist. Durch unsere digitale Technologie können wir künftig immer mehr Verantwortung für den Ernteerfolg der Bauern übernehmen. Zugleich behalten die Bauern ihre individuellen Daten und können damit arbeiten, selbst wenn sie den Anbieter wechseln. Je mehr Technologie angewendet wird, je mehr Erfahrung wir generieren, desto genauer können wir sagen, wie sich Pflanzenschutz, Dünger und Wetter auf den Ernteerfolg auswirken.

Bayers künftiges Geschäft sind also Wetterwetten?

Als Unternehmen, das in der Landwirtschaft tätig ist, haben wir die gleichen Herausforderungen wie die Landwirte selbst. Die Witterungsbedingungen sind ganz entscheidend und wesentlich relevanter als für viele, die gerne auf Landwirte herabschauen. In Australien gab es in diesem Jahr massive Probleme aufgrund von Trockenheit, im Mittleren Westen der USA hingegen Überschwemmungen. Auch weil unser Geschäft im Agrarbereich massiv vom Wetter abhängig ist, bekennen wir uns ohne Wenn und Aber zum Klimaschutz.

Woher stammt sonst die Motivation für die Formulierung Ihrer Ziele?

Die Investoren sehen genau wie wir mit Besorgnis, wie sich die Welt verändert. Anleger, die heute zu Investoren gehen, um ihre Altersversorgung aufzubessern, wollen in ihrem Portfolio immer häufiger umwelt- und klimarelevante Fragen widergespiegelt sehen. Darüber hinaus haben wir unser Portfolio analysiert und erkannt, dass wir wie kaum ein anderes Unternehmen in der Lage sind, bis 2030 zum Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beizutragen. Außerdem können wir mit der Ausrichtung des Geschäfts auf Nachhaltigkeit sehr erfolgreich sein. Ich glaube grundsätzlich, dass es ganz wichtig ist, dass Unternehmen auch versuchen, über Nachhaltigkeit Geld zu verdienen. Dafür müssen wir uns nicht entschuldigen.

Muss sich Bayer für Klima- und Umweltschäden aus der Vergangenheit entschuldigen?

Die Industriegesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten planetare Grenzen klar überschritten. Aus der Vergangenheit müssen wir lernen und gemeinsam versuchen, unser Wirtschaftssystem auf die Zukunft auszurichten.

Bayers Ruf als schmutziger Chemiekonzern besteht schon länger. Durch die Übernahme von Monsanto hat das Image des Unternehmens weiter gelitten. Wie wollen Sie die Kurve kriegen?

Widerspruch! Bayer engagiert sich seit Jahrzehnten im Klimaschutz und wird seine Anstrengungen nun weiter beschleunigen. Für mich ist Reputation wie der Schatten eines Baumes, während das, was man tut, der Baum ist. Wir stellen unser Unternehmen nun im Bereich Nachhaltigkeit zukunftsfähig auf. Wenn wir das gut machen, werden das Menschen auch anerkennen.

Bayers Ruf leidet auch, weil Monsanto in der Vergangenheit Kritiker diskreditierte, geheime Listen über sie erstellen ließ oder Studien finanzierte, ohne das öffentlich zu machen.

Bayer hat Monsanto nicht als Marke weitergeführt. Das gemeinsame Unternehmen wird nach den Bayer-Grundsätzen geleitet. Aber natürlich dauert es eine gewisse Zeit, bis alle Prozesse auf eine Spur gebracht sind. Wir haben vor wenigen Wochen intern Prinzipien veröffentlicht, die sehr klar festlegen, wie wir arbeiten. Dazu gehört selbstverständlich, dass klar erkenntlich ist, wenn wir Studien finanzieren oder Lobbyarbeit machen.

Es wird nicht reichen, den Namen abzulegen, um den schlechten Ruf loszuwerden. In den Köpfen vieler Menschen sind Monsanto und Bayer nun untrennbar verbunden.

Das ist eine typisch deutsche Betrachtung, die viele Menschen in anderen Ländern nicht unbedingt teilen. Ich verstehe, dass viele Kritiker gerne mit großer Vehemenz an der Vergangenheit festhalten wollen. Viel wichtiger wäre es aber, über die Herausforderungen der Zukunft zu sprechen. Zum Beispiel über Innovationen, die jetzt auf den Markt kommen. 2020 bringen wir in Mexiko erstmals den so genannten Kurzhalmmais auf den Markt. Das ist ein konventionelles Produkt ohne Gentechnik, das zu erheblich höheren Ernteerträgen führt als andere Maissorten. Gleichzeitig braucht der Kurzhalmmais viel weniger Wasser und ist widerstandsfähiger gegen Sturm und andere Wetterextreme. Das ist ein Beispiel für ein Produkt, das die Welt zum Positiven verändern kann.

In Ihrem Geschäftsbericht steht: „Weltweit steht die Marke Bayer für Vertrauen, Zuverlässigkeit und Qualität.“ Das Vertrauen in Bayer ist in weiten Teilen verloren gegangen. Wie wollen Sie es zurückgewinnen?

Der Vertrauensverlust, den wir zu beklagen haben, wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Vertrauen bildet man aus meiner Sicht dadurch, dass man langfristig das Richtige tut.

Können Sie ausschließen, dass unter ihrer Ägide versucht wird, Menschen zu beeinflussen, ohne dass sie davon erfahren?

Wir haben uns klare Regeln gesetzt. Wenn wir als Bayer auftreten, wird das auch jeder wissen. Wir werden zudem ein Transparenzregister einführen, in dem sämtliche Studien, die das Unternehmen finanziert für die Öffentlichkeit einsehbar werden. Bei Bayer sind das jährlich tausende von Studien. Darüber hinaus finde ich, dass es an der Zeit ist, dass der Bundestag ganz klare Regeln für Lobby-Transparenz beschließt, so wie es sie zum Beispiel in den USA gibt.

Bei Lobbyarbeit fordern Sie mehr Regulierung, bei ihren Kunden, den Landwirten ebenso? Viele Bauern fühlen sich überreguliert.

Es gibt einen großen gesellschaftlichen Bruch zwischen den Landwirten auf der einen und weiten Teilen der Bevölkerung auf der anderen Seite. Das hängt damit zusammen, dass die Gesellschaft immer größere Erwartungen an die Landwirte hat, gleichzeitig aber nicht bereit ist, mehr Geld für Nahrungsmittel auszugeben.

Das sind übliche marktwirtschaftliche Prozesse.

Aber auch da gibt es Gewinner und Verlierer. Und wenn Landwirte regelmäßig den Kürzeren ziehen, darf man sich nicht wundern, wenn sie protestieren. Wir haben eine hoch wettbewerbsfähige Landwirtschaft in Deutschland, und wir sollten aufhören sie in bio und konventionell, groß und klein zu unterteilen. Wir müssen gemeinsam an einer Modernisierung arbeiten, zum Beispiel der flächendeckenden Einführung digitaler Technologien.

Sind Sie zu Bayer gekommen, um das Unternehmen und seine Strukturen zu schützen oder um das Bayer zu verändern?

Ich wünsche mir, dass Bayer ein so gut aufgestelltes Unternehmen bleibt, sowohl ein führendes forschendes Unternehmen als auch führend im Bereich der Gesundheit und im Agrarbereich. Bayer ist für Europa, aber auch für Deutschland und die Region in Nordrhein-Westfalen von großer strategischer Bedeutung. Die öffentliche Debatte trägt dieser strategischen Bedeutung im Moment nicht genug Rechnung. Ich wünsche mir manchmal, dass alle mal einen Schritt zurückgehen und überlegen, wie ein Land aussähe ohne solche industriellen Kerne wie Bayer.

Aber Sie sind dennoch gekommen, um das Unternehmen von innen zu verändern?

Ich habe meine Aufgabe schon immer darin gesehen, Veränderungen anzustoßen, egal ob als Politiker oder später bei Mars und jetzt bei Bayer. Das geht vielen meiner Kolleginnen und Kollegen übrigens nichts anders. Der Hauptgrund, warum ich hier bin ist aber das Potenzial von Bayer, tatsächlich weltweite Veränderungen vorzunehmen.

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Ich lasse mich nicht blenden von tagesaktuellen Debatten, sondern schaue mir das langfristige Innovationspotenzial an. Zum Beispiel beim Thema Empfängnisverhütung: Bayer ist weltweit führend in diesem Bereich. Gleichzeitig fehlt 220 bis 250 Millionen Frauen in Entwicklungsländern der Zugang zu modernen Verhütungsmitteln. Wir wollen im Einklang mit den UN-Zielen diese Lücke schließen. Diese Herausforderung ist ungeheuer spannend und treibt mich jeden Tag an.

Sie fliegen wahrscheinlich sehr viel. Was machen Sie persönlich, um Ihren CO2-Fußabdruck klein zu halten?

Beruflich fliege ich aufgrund meiner internationalen Rolle mehr als ich sollte. Das ist klar. Im Privatleben achte ich allerdings darauf, meinen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten.

Freuen Sie sich über den Höhenflug der Grünen?

Ich halte mich aus der tagespolitischen Debatte raus. Das habe ich die vergangenen zwölf Jahre hingekriegt und will es auch in Zukunft so halten. Ich freue mich aber darüber, dass das Thema Nachhaltigkeit eine gestärkte gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfährt.

Glauben Sie, dass das Thema, auch befördert durch Fridays for Future, nur eine Mode ist, die in wenigen Monaten abebbt?

Nein, auch mit Blick auf meine eigene Fokusgruppe glaube ich das nicht: Ich habe fünf Kinder, eins davon ist eine 16-jährige junge Frau. In ihrer Generation ist das Thema Nachhaltigkeit sehr tief verankert. Ebenso wie die Überzeugung, dass sich etwas ändern muss. Auch ein Grund, dass wir das bei Bayer jetzt noch intensiver angehen.

Hält Ihnen Ihre Tochter vor, bei Bayer zu arbeiten? Viele Jugendliche von Fridays for Future haben in diesem Jahr vor der Jahreshauptversammlung von Bayer gegen das Unternehmen demonstriert.

Nein, im Gegenteil.

Tragen Sie zum Politikverdruss und dem Verlust der Glaubwürdigkeit von Politikern bei, wenn Sie erst im Bundestag gegen die „globale Übergewichtsepidemie“ kämpfen und sich für ökologische Landwirtschaft einsetzen – und schließlich erst beim Süßwarenhersteller Mars und dann bei Bayer anheuern?

In den vergangenen 25 Jahren hatte ich das Privileg, sehr viel Erfahrung zu sammeln und gut zu verstehen, wie Politik und Wirtschaft funktionieren. Ich leiste meinen Beitrag bei Bayer und muss mich dabei nicht verstellen.

Kann man in der freien Wirtschaft überhaupt mehr bewegen als in der Politik?

Ich glaube, dass ein Unternehmen wie Bayer einen wahnsinnig großen Hebel hat, Dinge zu bewegen und zu verändern. Daran beteiligt zu sein, gibt mir viel Energie. Ich gehöre aber nicht zu den Leuten, die den Respekt gegenüber der Politik verlieren. Wenn es zu großen Krisen kommt, wie etwa 2008 in der Finanzkrise, schreien alle nach der Politik. Auch die, die sonst so tun, als bräuchte man sie nicht. Ich habe selber in der BSE-Krise gelernt, wie wichtig es ist, gut funktionierende Institutionen zu haben und eine Politik, die beherzt Krisenmanagement betreibt. Man kann in beiden Bereichen, Politik und Wirtschaft, das Richtige tun.