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Charta-Vorsitzende„Wer Vielfalt nicht versteht, muss dringend seinen Job wechseln“

Lesezeit 7 Minuten
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Ana-Cristina Grohnert

  1. Fast 4000 Unternehmen sind der Unternehmen der Charta der Vielfalt bereits beigetreten. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Vorstands, Ana-Cristina Grohnert.

Frau Grohnert, Sie setzen sich seit Jahrzehnten sehr leidenschaftlich für mehr Diversität in der Wirtschaft ein. Wie vielfältig war Ihr Arbeitsumfeld, als Sie in den 90er Jahren als Betriebswirtin angefangen haben?

Ana-Cristina Grohnert: Ich habe 1992 bei der Preussag AG angefangen. Das heißt, es ging um, Anlagenbau, Schifffahrt, Schienentransporte - kein Ort, an dem sich typischerweise Frauen aufhalten. Vor allem Frauen mit Karriereambitionen. Wir hatten fast gar keine Vorbilder. Das war eine große Herausforderung, so ganz auf sich gestellt zu sein. Diese Zeit hat mich geprägt in meiner Überzeugung, dass man selbst für seine Interessen eintreten darf, wenn man etwas erreichen möchte.

Was konkret haben Sie erlebt?

Ich habe viele Situationen erlebt, auf die ich gerne verzichtet hätte. Dumme Witze oder unangenehme Gespräche an Barabenden, die manchmal zum Business gehören. Aber ich hatte immer ein gutes Selbstbewusstsein und mir Strategien überlegt, mit diesem Verhalten umzugehen.

Was waren das für Strategien?

Ich habe mir vorher Verbündete organisiert, die in brenzligen Situationen dazwischen gingen. Ich arbeite seither sehr gut mit Netzwerken und Unterstützungsmodellen. Auch ein bisschen Humor und Ironie wirken in solchen Situationen Wunder. Männer erwarten häufig, dass Frauen die Nerven verlieren, wenn sie unter Druck geraten. Humor zeigt Souveränität.

Wann wurde Ihnen bewusst, was genau da eigentlich schief läuft?

Mir ist viel später wirklich bewusst geworden, dass viele einander nicht richtig zuhören und nur ihren persönlichen Standpunkt durchsetzen wollen. Das ist nicht nur ein Männer-Frauen-Thema. Ich habe im Finanz- und Risikomanagement gearbeitet und in meinem Leben viele interkulturelle Verhandlungen geführt. In der Türkei, im Bahrein, überall auf der Welt. Immer spielten kulturelle Differenzen eine Rolle. Mir wurde klar, dass man nicht erfolgreich verhandeln kann, ohne für die Position und Situation des Anderen Verständnis zu entwickeln und auch einmal die Perspektive zu wechseln. Darin war ich ziemlich gut. Als ich in die Position kam, solche Prozesse im Unternehmen zu beeinflussen, habe ich das Thema Diversität deshalb zu meinem Herzensthema gemacht.

Diversity Logo Neu

Sie traten als Topmanagerin vor mehr als 15 Jahren in den Vorstand der Charta der Vielfalt, die Unternehmen dabei helfen will, sich divers aufzustellen. Wann war Ihnen klar, dass Sie sich so umfassend für das Thema einsetzen wollen?

Das kam mit der Finanzkrise, in der so deutlich wurde, dass die Wirtschaft mehr Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen muss. Ich wollte möglichst viele Unternehmen dafür gewinnen ein umfassendes Mindset zu entwickeln, das nicht nur die Interessen des Unternehmens, sondern der Gesellschaft als Ganzes berücksichtigt.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir die Automobilunternehmen, die angesichts neuer Mobilitätskonzepte, die teilweise eben nicht von den etablierten, sondern ganz anderen Marktteilnehmern entwickelt werden, nicht nur als Konkurrenten auftreten sollten. Sie müssen gemeinsam agieren, um größere Lösungen zu entwickeln. Es geht nicht mehr darum, einen bestehenden Kuchen zu verteilen und sich ein möglichst großes Stück zu sichern. Sondern um eine Neugestaltung der Mobilität. Das Gleiche gilt im Bereich der Green Technology. Da sitzt ja nicht der einzelne Tüftler in seinem Kämmerlein und erfindet etwas. Das geht nur gemeinsam mit vielen und möglichst verschiedenen Menschen aus sämtlichen Bereichen der Gesellschaft. Solche Prozesse fördern wir mit der Charta, und wenn sie gelingen, können wir weiterhin Motor für Neuerungen sein. Vielfalt ist keine Esoterik, sondern ein entscheidender Wirtschaftsfaktor in Deutschland.

Was genau fordern Sie heute von Führungskräften, um genau dieses Potential auszuschöpfen?

Dafür braucht es authentische Führungskräfte, die sich auch fehlbar und verletzlich zeigen. Die ihren Mitarbeitern das Gefühl geben, dass sie dazugehören. Jeder leistet seinen Beitrag, und das gesamte Team ist für das Resultat verantwortlich. Jeder darf und soll seine Stimme erheben, sie muss aber auch gehört werden. Wenn sie als Führungskraft dieses Gefühl zerstören durch dumme Kommentare, Achtlosigkeit, Engstirnigkeit oder kurzfristiges Gewinndenken, können Sie nur verlieren. Jeder im Management, der sein Team anschreit oder autoritär führt, wie es ihm passt, müsste konsequenterweise ausgeschlossen werden.

Mittlerweile haben fast 4000 Unternehmen die Charta unterzeichnet. In der Umsetzung hakt es aber noch. Woran liegt das?

Es gibt viele Unternehmen, die gerade erst mit dem Thema anfangen und sich zunächst oder einzig dem Thema Frauen widmen, weil dieser Aspekt am lautesten diskutiert wird. Sie richten eine Kita ein und denken, damit hat es sich erledigt. Diversität ist natürlich mehr. Man sollte aber nicht ungeduldig werden, sondern auch kleine Erfolge wertschätzen und feiern.

Sind Sie ungeduldig?

Ich war es. Aber wir möchten ja alle mitnehmen, egal, womit und in welchem Tempo sie jetzt anfangen. Natürlich gibt es immer Menschen, die Veränderungen nicht mögen und nicht verstehen, dass sie sich ebenfalls verändern müssen, um sich nicht selbst ins Aus zu schießen. Sie sind skeptisch. Und das ist noch ein netter Begriff. Aber man muss auch verstehen, wie viele noch durch konservative Führungskräfte geprägt wurden. Skeptiker müssen sich selbst in Frage stellen – und das auch dürfen. Sie müssen erkennen, dass es persönliche Gründe sind, die sie von dem Fortschritt abhalten – ihrem eigenen und dem der Organisation, für die sie tätig sind.

Wie viel Diversität ist genug?

Es bedarf nicht einer einzigen Maßnahme, sondern eines strategischen Bekenntnisses, dass einen daran erinnert, das Management immer wieder in Frage zu stellen. Der Grundsatz ist folgender: Nicht die Minderheit muss darum kämpfen, gehört zu werden, sondern die Mehrheit der Gesellschaft profitiert deutlich davon, wenn sie einen integrativen und menschenorientieren Ansatz verfolgt. Früher hat man den Frauen gesagt, sie sollten doch einfach lauter reden, um ihre Interessen durchzusetzen. Heute verfolgen wir ein anderes Ziel. Wir alle sind dafür verantwortlich, dass jeder gehört wird. Weil jede Stimme uns weiterbringt. Darin liegt Innovationskraft.

zur Person

Ana-Cristina Grohnert ist Managerin und Autorin. Die studierte Betriebswirtin ist zudem Vorstandsvorsitzende des Charta der Vielfalt e.V. Sie hat drei Kinder, ist verheiratet und lebt in Hamburg und Lissabon.

Können Sie dennoch einzelne Maßnahmen nennen, die darauf abgestimmt werden sollen?

Das fängt damit an, dass man zum Betriebsfest die Partner*in mit einlädt und nicht wie selbstverständlich von der Ehefrau oder dem Ehemann redet. Es geht um die Frage, ob man beim Recruiting diskriminiert, oder ob man nur die um sich schart, mit denen man an der Uni studiert hat. Gibt es genügend Angebote für Menschen, die vielleicht noch nicht gut Deutsch sprechen? Ist die Bezahlung gerecht?

Eine weitere Dimension von Diversität ist die soziale Herkunft.

Richtig. Bislang hieß es so lapidar, dass jeder alles erreichen kann, wenn er nur hart arbeitet. Das ist so natürlich nicht richtig. Dafür braucht es Selbstbewusstsein. Aber woher soll das kommen, wenn einem sein Leben lang suggeriert wird, nicht dazu zu gehören, weil zum Beispiel die Eltern keine Akademiker sind. Oder wenn man auf die Realschule geschickt wird, weil die Eltern nicht Deutsch sprechen.

Hat sich Ihre Sicht auf Diversität durch Ihre Mutterschaft verändert?

Ich ging früher häufig in den Angriff über, wenn andere zum Beispiel danach fragten, wie ich meinen Job und meine Familie – ich habe drei Kinder – unter einen Hut bringe. Aber je selbstbewusster ich dieses Leben geführt habe, desto besser habe ich verstanden, dass viele nicht fragen, um mich zu provozieren. Sondern, weil sie es nicht kennen. Sie sind neugierig – und haben vielleicht auch einfach Respekt davor. Deshalb antworte ich auch nicht mehr ironisch, sondern gebe sehr gerne Auskunft. Ich bin in diesem Punkt gern ein Role Model. Was ich allerdings nicht leiden kann, ist totale Ignoranz. Wenn jemand ein öffentliches Amt bekleidet und das Thema Vielfalt nicht als entscheidenden Standortfaktor verstanden hat, denke ich Halleluja. Dann muss er dringend seinen Job wechseln.