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Chef der NRW-Arbeitgeber im Interview„Die Energiepreise sind für unsere Unternehmen eine Existenzfrage“

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Johannes Pöttering, Hauptgeschaftsführer Unternehmer NRW Arbeitgeberverband

Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Unternehmer NRW

Der Chef des NRW-Arbeitgeberverbandes, Johannes Pöttering, über den Industriestrompreis, eine Senkung der Stromsteuer und die existenzielle Bedrohung der Industrie im Land.

Herr Pöttering, vor allem Grünen-Politiker wie jüngst NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ fordern einen Industriestrompreis. Ökonomen und die Versorger, etwa Rhein-Energie-Chef Feicht, sind skeptisch.

Johannes Pöttering: Die Energiepreise sind für unsere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen eine Existenzfrage. Vor allem für die energieintensiven Industrien sind die Strompreise viel zu hoch. Sie müssen dringend auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau herunter. Dabei gibt es nicht nur eine Lösung. Wir müssen erstens alles tun, um das Energie-Angebot größer zu machen. Das gilt für den massiven Ausbau Erneuerbarer Energien, für den Bau grundlastfähiger Gaskraftwerke und auch für den Netzausbau, der aktuell viel zu langsam geschieht. Bis das alles steht und preisdämpfend wirkt, brauchen wir zweitens einen Brückenstrompreis bis weit in den energieintensiven Mittelstand hinein. Und drittens muss die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß runter. Davon würden dann alle profitieren, auch die Verbraucher und der nicht so energieintensive Mittelstand.

Die Stromsteuer zu senken, fordern viele. Was bringt das wirklich?

Eine Einsparung von zwei Cent allein ist beim derzeitigen Preisniveau für die Energieintensiven eindeutig zu wenig. Noch einmal: Wenn die energieintensiven Betriebe nicht schon bald eine verlässliche Perspektive bei den Energiekosten erhalten, drohen wir zentrale Glieder insbesondere am Anfang der Wertschöpfungskette verlieren.


Johannes Pöttering wurde 1977 in Flensburg geboren. Nach seinem abgeschlossenen Jura-Studium arbeitete er 2007 bis 2007 für die CDU Niedersachsen. 2008 wechselte er zum Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen, zunächst als Referent des Hauptgeschäftsführers, danach in anderen Führungspositionen. Seit 2022 ist er Hauptgeschäftsführer dieses Verbandes. Außerdem ist er in Personalunion Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes „Unternehmer NRW“.


Teilen Sie die Sorge vor einer De-Industrialisierung unseres Landes, Frau Neubaur weist das von sich?

Die Industrie war in den letzten Jahrzehnten zentrale Basis für Erfolg und Wohlstand in unserem Land. Industriearbeitsplätze sind sehr gut bezahlt. Von dieser Kaufkraft profitieren auch Dienstleistung und Handel. Was die Zukunft angeht, sind wir nun in einer wichtigen Phase. Jetzt entscheiden Unternehmen, an welchen Standorten sie ihre Investitionen in die Transformation durchführen. Und sie stellen sich die Frage: Bleibt das alles in Deutschland, insbesondere in NRW?

Aber das ist ja ein Prozess über Jahre…

Die Investitionen, die jetzt nicht hier am Standort erfolgen, führen in der Tat zu einem schleichenden Rückzug der Industrie. Ich warne vor der Annahme, einen Verlust von „nur“ 15 Prozent der Industrie mal eben so kompensieren zu können. Und wir müssen aufpassen, dass wir einige Bereiche nicht ganz verlieren. Noch haben wir in NRW die ganze Wertschöpfungskette mit Stahl, Aluminium, Chemie, Glas, Zement oder Papier bis zum Endprodukt. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und damit unsere strategische Standortstärke. Und deswegen sind bei diesen Energiepreisen nicht nur die Arbeitsplätze in der Grundstoffindustrie in Gefahr, sondern langfristig viele Jobs bis in den Dienstleistungsbereich hinein. Wir riskieren hier das ökonomische Fundament unserer Volkswirtschaft. Und das würde auch massiv zulasten von Steuereinnahmen und unserer Sozialsysteme gehen.

Kann das Land NRW aktiv gegensteuern?

Wir haben nicht nur ein konjunkturelles Problem. Wir haben auch ein gravierendes Problem in unserer strukturellen Wettbewerbsfähigkeit. Zunächst muss jetzt der Bund bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren den Worten endlich Taten folgen lassen. Und dann muss auch das Land seine Hausaufgaben machen und alle Bremsen bei den eigenen Sondervorschriften lösen. Die Landesregierung muss sich zudem in Berlin – wie aktuell bei den Strompreisen – mit aller Kraft für die NRW-Wirtschaft einsetzen: Für ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, für die Wiedereinführung der 40-Prozent-Grenze bei den Lohnzusatzkosten und für den Abbau der unser Land lähmenden Bürokratie. Hier haben wir inzwischen ein ganzes Bündel von Standort-Nachteilen. Alle zusammen sind trotz aller Innovationskraft und Effizienz immer schwerer wettzumachen. Ganz ehrlich: Nachdem sich lang genug um alles Mögliche gekümmert wurde, brauchen wir jetzt eine Vorfahrt für Wirtschaft und Arbeit. Und dann haben gerade wir in NRW alle Chancen, die Transformation erfolgreich zu bewältigen.

Braucht die NRW-Industrie auch nochmal einen Imagewandel?

Wir müssen uns vor allem stärker bewusst machen, was auf dem Spiel steht. Wir haben während Corona gesehen, was geschieht, wenn die Lieferketten reißen. Das muss uns doch wachrütteln. Wenn Stahl, Chemie und andere Grundstoffe fehlen, ist unser Wohlstand in Gefahr. Und dann ist Deutschland insgesamt in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt und von anderen Ländern abhängig. Ein Beispiel: Ohne eine starke eigene Industrie brauchen wir über die Umsetzung der sicherheitspolitischen Zeitenwende nicht reden. Wir brauchen eine gewisse Autonomie.

Heißt das: Alle Produktion wieder ins Land?

Export, Internationalisierung und globaler Handel haben uns jahrzehntelang Wohlstand gesichert und müssen auch in Zukunft ein wichtiger Teil unseres Geschäftsmodells bleiben. Gleichzeitig haben wir aber auch gelernt, dass eine gewisse Unabhängigkeit in den Bezugsquellen von elementarer Bedeutung ist. Wir müssen hier ein gesundes Maß finden. Auch hierbei können die noch geschlossenen Wertschöpfungsketten in NRW ein echtes Pfund sein.