DeutschlandWarum die Einkommen ungleicher werden

Die Lücke zwischen den Einkommen wächst. Deutschland ist seit der Wiedervereinigung immer ungleicher geworden.
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Die Schere öffnet sich: Seit der Wiedervereinigung sind die Einkommen in Deutschland auseinandergedriftet. Der jüngste Aufschwung hat den „Trend zu wachsender Ungleichheit zwar aufgehalten, aber nicht umgekehrt“, stellt das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsforschungsinstitut IMK fest. Dass die Einkommensschere seit 1991 auseinandergegangen ist, hat laut IMK drei Gründe: Schlechter bezahlte Jobs breiten sich aus, die Kapitaleinkommen wachsen stark, und der Staat verteilt nicht mehr so viel um.
Gemessen wird die Ungleichheit am so genannten Gini-Koeffizienten, der Werte zwischen 1 und 0 annehmen kann. Bei einem Wert von 0 haben alle das gleiche Einkommen, bei einem Wert von 1 besteht maximale Ungleichheit. Gemessen am bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen stieg der Gini-Koeffizient in Deutschland allein bis 2005 um 13 Prozent auf 0,29, so das IMK. Seither ist er um nur zwei Prozent zurückgegangen,
Dass die Lücke zwischen den Einkommen größer geworden ist, liegt laut IMK erstens an den gestiegenen Kapitaleinkommen. Ihr Anteil am Gesamteinkommen habe 1991 nur 29,2 Prozent betragen. Nach der Finanzmarktkrise 2010 seien es immer noch 33,8 Prozent gewesen. Da Kapitaleinkommen vor allem an jene Personen fließen, die ohnehin mehr verdienen, werde dadurch auch die Verteilung der Markteinkommen ungleicher, erklärte das IMK.
Zweitens nimmt die Zahl der so genannten atypischen Jobs zu. Das sind befristete Stellen, Teilzeit- oder Minijobs. Hier wird weniger verdient. Folge: Die Ungleichheit wächst. Allerdings räumt das IMK ein, dass die gute Konjunktur der letzten Jahre zu mehr besser bezahlten Normalarbeitsstellen geführt habe. „Das ist ein Grund, warum sich die Einkommen nicht noch weiter auseinander entwickelten.“
Als dritten Grund für die gewachsene Ungleichheit nennen die Forscher die staatliche Umverteilung – beziehungsweise ihren Rückgang. Bis Ende der 1990er Jahre hätten sich zwar die Markteinkommen auseinanderentwickelt. Dies habe der Staat jedoch durch Steuern und Sozialleistungen ausgeglichen. Diese Umverteilung in der Folgezeit dann schrittweise reduziert worden.
Für die abnehmende Effektivität der Umverteilung macht das IMK eine Vielzahl an Faktoren verantwortlich: So seien höhere Einkommen stärker steuerlich entlastet worden als niedrige: Der Spitzensteuersatz sank zwischen 1991 und 2010 um elf Prozentpunkte, der niedrigste Einkommensteuersatz lediglich um fünf Punkte. Die
Vermögensteuer wurde 1997 abgeschafft, die steuerliche Belastung von
Kapitalgewinnen ging ebenfalls zurück. „Hinzu kam: Die Arbeitsmarktreformen in den 2000er-Jahren ließen mehr atypische Jobs entstehen – und reduzierten die staatlichen Leistungen für Arbeitslose massiv“, so die Ökonomen.
Hart traf die ärmeren Haushalte die Mehrwertsteuererhöhung von 2007. „Da ärmere Haushalte den größten Teil ihres Einkommens konsumieren und wenig
sparen können, sind sie weitaus stärker betroffen als wohlhabendere, wenn Verbrauchssteuern angehoben werden“, erklärte das IMK. Die Mehrwertsteuer-
Erhöhung habe daher die Ungleichheit erhöht.
In den vergangenen Jahren wurde der Trend zu wachsender Ungleichheit durch die gute Konjunktur und den Rückgang der Arbeitslosigkeit aufgehalten. „Aber das reicht nicht“, sagte IMK-Direktor Gustav Horn. „Es ist noch eine Menge zu tun, um den langjährigen Negativtrend zu korrigieren.“ Dafür brauche es zum Beispiel einen stärkeren Ausgleich im Steuersystem und bessere Regeln auf dem Arbeitsmarkt gehen, um den Niedriglohnsektor einzudämmen.
Solche Reformen sind nach Horns Meinung nicht nur für die direkt betroffenen Arbeitnehmer nützlich, sondern für das Gesamtsystem: „Die gegenwärtige Stabilität der deutschen Wirtschaft, der relativ kräftige private Konsum und die solide Einnahmesituation der Sozialkassen wären kaum denkbar, wenn die Ungleichheit weiter anstiege.“