Dubiose Deals auf Kosten der SteuerzahlerErster „Cum-Ex“-Prozess startet in Bonn
Frankfurt/Bonn – Staatsanwälte und Steuerfahnder ermitteln seit Jahren zu umstrittenen „Cum-Ex“-Aktiendeals. An diesem Mittwoch (09.30 Uhr) beginnt vor dem Landgericht Bonn der erste Prozess. Das Verfahren könnte wegweisend sein.
Was sind „Cum-Ex“-Geschäfte?
Bei solchen Deals nutzten Investoren eine Lücke im Gesetz und prellten den Staat über Jahre um Milliarden. Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten - Banken, Investoren, Fonds - hin- und hergeschoben. Darum werden solche „Cum-Ex“-Geschäfte auch „Dividendenstripping“ genannt. Denn am Ende konnte der Fiskus nicht mehr nachvollziehen, wem die Papiere gehörten. Die Folge der Karussellgeschäfte: Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt. Finanzämter erstatteten letztlich Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren.
Wie funktionierten die Aktiengeschäfte in der Praxis?
Kerninstrument waren sogenannte Leerverkäufe. Dabei besaß ein Verkäufer von Aktien diese noch nicht, sondern musste sie sich erst an der Börse besorgen. Der Käufer der Aktien wurde aber bereits als Inhaber der Papiere eingestuft. Er bekam von seiner Depotbank eine Steuerbescheinigung, um Kapitalertragssteuer vom Fiskus zurückfordern zu können - ebenso wie derjenige, dem die Aktien zu dem Zeitpunkt tatsächlich gehörten.
Wie hoch ist der Steuerschaden?
„Cum-Ex“ gilt als größter Steuerskandal der deutschen Geschichte. Europaweit soll sich der Schaden aus steuergetriebenen Aktiengeschäfte wie „Cum-Ex“ und „Cum-Cum“ auf mehr als 55 Milliarden Euro belaufen. Deutschen Finanzämtern sind nach Berechnungen des Steuerexperten Christoph Spengel von der Universität Mannheim zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen. In Deutschland schloss der Staat das Steuerschlupfloch im Jahr 2012 - zu spät, wie Kritiker monieren.
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Worum geht es in dem Bonner Verfahren?
Die Staatsanwaltschaft Köln wirft zwei Männern besonders schwere Steuerhinterziehung in 33 Fällen vor. Hinzu kommt noch ein Fall der versuchten Steuerhinterziehung. Als „besonders schwer“ gilt Steuerhinterziehung schon ab 50 000 Euro - die Aktienhändler sollen einen Steuerschaden von mehr als 440 Millionen Euro angerichtet haben. An dieser Zahl sieht man, wie sehr „Cum Ex“ die Dimensionen gesprengt hat in Sachen Steuerhinterziehung. Die Strafkammer am Landgericht Bonn plant ein Urteil am 9. Januar 2020. Den Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Da sie sich zugleich aber auch als Kronzeugen sehen, könnte das Strafmaß deutlich reduziert werden.
Welche Kreise zog der „Cum-Ex“-Skandal?
Anleger, Steuerberater, Gutachter, kleine und große Banken, Landesbanken - der Kreis der Beteiligten ist groß. Die umstrittenen Geschäfte beschäftigen nicht nur Staatsanwälte in mehreren Bundesländern, auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestages befasste sich mit dem Thema. Die bundesweit erste Anklage in einem „Cum-Ex“-Fall erhob im Mai 2018 die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, bei der nach jüngsten Angaben zu „Cum-Ex“ zehn Verfahrenskomplexe anhängig sind. Über die Zulassung dieser Anklage hat das Landgericht Wiesbaden bislang aber noch nicht entschieden.
Wie viele Fälle werden insgesamt verfolgt?
Nach jüngsten Zahlen des Bundesfinanzministeriums gehen Ermittler inzwischen 499 Verdachtsfällen mit einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro nach. Davon seien bisher 2,4 Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer erfolgreich zurückgefordert oder gar nicht erst ausgezahlt worden.
Gab es Konsequenzen für die beteiligten Banken?
Manches Geldhaus - darunter die Hypovereinsbank - machte von sich aus reinen Tisch und zahlte Steuern nach. Andere Institute klagten vergeblich gegen Rückzahlungsforderungen des Fiskus. Besonders hart traf es die Maple Bank GmbH: Die Finanzaufsicht Bafin schloss das deutsche Institut mit kanadischen Wurzeln 2016, weil der Maple Bank wegen einer Steuerrückstellung im Zusammenhang mit „Cum-Ex“-Geschäften die Überschuldung drohte.
Waren die Geschäfte überhaupt illegal?
Das ist vom Bundesfinanzhof noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Die Ermittler sehen sich allerdings durch Entscheidungen verschiedener Finanzgerichte bestätigt. So hatte beispielsweise im Frühjahr 2017 das Hessische Finanzgericht in Kassel gefordert, die Behörden müssten prüfen, ob falsche Steuerbescheinigungen eine „gängige Praxis auch anderer inländischer Kreditinstitute“ gewesen seien, um die beteiligten Finanzhäuser gegebenenfalls in Haftung nehmen zu können (Az. 4 K 977/14). (dpa)