Die Betriebsratsvorsitzende soll den ADAC Nordrhein mit ihren Überstunden getäuscht haben. Der darf ihr nun fristlos kündigen, die Stimmung im Unternehmen ist hitzig.
Es geht um 628 Minuten ArbeitszeitADAC Nordrhein darf Betriebsrätin feuern
Am letzten Verhandlungstag im Arbeitsgericht Köln ging es hoch her. Die Richterin mahnte die 18 Zuschauer immer wieder zur Ruhe, aus den hinteren Reihen tönten Zwischenrufe wie „Frechheit“ oder „Pffff“. Der Fall, der die Gemüter so erhitzt, dreht sich um ADAC-Betriebsrätin Petra Gorisch: Ihr Arbeitgeber, der ADAC Nordrhein, wirft der Betriebsratsvorsitzenden „erhebliche arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen“ vor. Sie soll Überstunden nicht korrekt dokumentiert und so mit ihrer Arbeitszeit betrogen haben. Es geht um 628 Minuten, die nicht dokumentiert wurden, um den Vorwurf der Täuschung - und um eine fristlose Kündigung der Betriebsratsvorsitzenden. Am Donnerstag stimmte das Arbeitsgericht an der Blumenthalstraße zu: Der Betriebsrätin darf fristlos gekündigt werden.
Betriebsräte haben Sonderkündigungsschutz
Allein das ist Grund genug, darüber zu berichten. Es ist rechtlich nämlich mit einigen Hürden verbunden, einen Betriebsrat loszuwerden - zum Schutz, denn der Betriebsrat soll vor allem die Interessen der Arbeitnehmer vertreten und nicht um seinen Job fürchten müssen. Deshalb genießen Betriebsräte einen Sonderkündigungsschutz, außer sie lassen sich etwas Gravierendes zu schulden kommen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sie ihren Arbeitgeber beklauen, beleidigen oder sexuell übergriffig sind. Und: Der gesamte Betriebsrat muss der außerordentlichen Kündigung zustimmen. Tut er das nicht, kann die Zustimmung durch eine Entscheidung des Arbeitsgerichts ersetzt werden - so wie im Fall des ADAC geschehen.
Der Fall um Gorisch offenbart aber noch ein tiefer liegendes Problem: wie tief die Kluft zwischen den Beschäftigten des ADAC Nordrhein und der Geschäftsführung ist. Petra Gorisch hatte nicht nur ihren Vize Rod Hahn an ihrer Seite, sondern Rückendeckung aus der Belegschaft. Wie schlecht sie auf ihren Arbeitgeber zu sprechen sind, zeigten die Zuschauer deutlich: Vor der Richterin saßen Wolfgang Jakobs und Jacqueline Grünewald, die die Geschäfte des ADAC Nordrhein führen und somit Vorgesetzte für rund 540 Mitarbeiter sind. Als sie ausführten, warum sie das Verhalten von Petra Gorisch problematisch finden, wurde es laut im Saal. „Das ist so, als ob man jeden Tag zehn Cent aus der Kasse nimmt“, sagte der Anwalt des ADAC und erntete dafür laute Missbilligung aus dem Publikum.
Es blieben Lücken in der Aufstellung
Gorisch ist seit 2002 als Juristin beim ADAC angestellt, war zuletzt in der Rechtsberatung tätig. Seit 2015 ist sie Vorsitzende des Betriebsrats und seit Mai 2022 vollständig freigestellt, um das Amt ausüben zu können. Als freigestellte Betriebsrätin gelten für sie besondere Regeln, doch der Anspruch auf Freizeitausgleich bleibt, wenn sie länger arbeitet, als vereinbart. Aber nur dann, wenn das aus betriebsbedingten Gründen passiert. Gorisch sollte nachweisen, warum sie außerhalb ihrer Arbeitszeit gearbeitet hat, doch es blieben Lücken in der Aufstellung.
In 94 Fällen habe sie ihre Arbeitszeit nicht korrekt dokumentiert, insgesamt 628 Minuten, warf der ADAC ihr vor. Dabei handelt es sich nach Auffassung des ADAC um einen – jedenfalls versuchten – Arbeitszeitbetrug, „weil der Arbeitgeber über den tatsächlichen Umfang der Zeitgutschriften getäuscht wurde“, schreibt das Arbeitsgericht in einer Mitteilung. Dass Gorisch zudem die Teilnahme an einem Personalgespräch verweigert und mehrfach zu Hause gearbeitet haben soll, obwohl sie ins Büro hätte kommen sollen, ist hier fast nebensächlich.
Die Kosten trägt der ADAC
Wie viel Geld bereits in den Rechtsstreit geflossen ist, lässt sich nur erahnen. „Die Kosten des laufenden Verfahrens können aktuell noch nicht genau beziffert werden“, heißt es vom ADAC. Seit Anfang 2023 streiten sich die Parteien. Als der elfköpfige Betriebsrat die Kündigung Gorischs verweigerte, zog der Arbeitgeber am 31. Juli 2023 vor Gericht. Die Kosten trägt der ADAC Nordrhein allein. „Der ADAC Nordrhein als Arbeitgeber bedauert nicht nur aufgrund der entstehenden Kosten jedes arbeitsrechtliche Verfahren, die trotz mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur in sehr seltenen Fällen vorkommen“, heißt es vom Unternehmen.