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„Menschenunwürdige Zustände“Flaschenpost-Mitarbeiter beklagen Arbeitsbedingungen

Lesezeit 3 Minuten

100 000 Getränkekisten liefert Flaschenpost jeden Tag aus.

  1. Seit 2017 liefert Flaschenpost Getränke bis in die Wohnung. Der Dienst liegt im Trend, doch nun melden sich die Mitarbeiter in einem anonymen Schreiben zu Wort.
  2. Die Zustände im Unternehmen seien teilweise menschenunwürdig. In Transportern würden Klimaanlagen abgeklemmt, bei Unfällen würden die Angestellten zur Kasse gebeten.
  3. Die Liste der Vorwürfe ist lang – und das Unternehmen bestreitet die Anschuldigungen.

Köln – Das Konzept ist simpel: Statt die schweren Wasserkästen selbst am Supermarkt ins Auto zu laden und Zuhause die Treppe hoch zu schleppen, bestellen Kunden sich die Getränke im Internet – zwei Stunden später stehen sie vor der Wohnungstür. Der Lieferdienst Flaschenpost aus Münster bietet diesen Service in 13 deutschen Städten an, 60000 Kisten liefert er nach eigenen Angaben täglich aus. Seit Juni 2017 gibt es den Lieferdienst in Köln, zwischen 300 und 400 Mitarbeiter arbeiten hier für Flaschenpost. Der kundenfreundliche Service bei vergleichbar moderaten „Supermarkt“-Preisen scheint allerdings auf Kosten der Mitarbeiter zu gehen.

Trotz Hitze keine Klimaanlage in Transportern

Mitarbeiter beklagen in einem offenen Brief an den Gründer und nun Aufsichtsratschef Dieter Büchl und Vorstandssprecher Stephen Weich die schlechten Arbeitsbedingungen. Aus Angst vor fristlosen Kündigungen ist der Brief, der dieser Zeitung vorliegt, nicht unterschrieben, heißt es darin. Die Vorwürfe reichen von unsicheren Vertragsbedingungen, unbezahlten Überstunden und fehlenden Pausen bis zu „menschenunwürdigen“ Zuständen. So gebe es trotz heißer Temperaturen in diesem Sommer und harter körperlicher Arbeit, die die Angestellten mit dem Schleppen der Getränkekisten verrichten, zahlreiche Transporter ohne Klimaanlage.

In anderen Transportern seien die Sicherungen entfernt worden, so dass die Fahrer die Klimaanlage nicht benutzen könnten und in den Wagen bis zu 60 Grad Innentemperaturen herrschten. In einer öffentlichen Erklärung verteidigte sich das Unternehmen laut Briefeschreibern damit, dass die Klimaanlagen im Interesse der Mitarbeiter abgeklemmt wurden, „um Erkältungen vorzubeugen“.

Naheliegender ist, dass Flaschenpost auf diese Art Spritkosten einspart. „Ein Teil der Fahrzeugflotte ist tatsächlich nicht mit einer Klimaanlage ausgestattet“, räumte eine Unternehmenssprecherin auf Nachfrage ein. „Hierbei handelt es sich um die Fahrzeuge der ersten Generation, die nur in Ausnahmefällen noch zum Einsatz kommen.“ Auch das Abklemmen der Klimaanlage sei ein Fehler aus der Anfangsphase des Unternehmens.

Mangelnde Hygiene in Lagern

Weitere Vorwürfe: „Etliche“ Lager seien im Winter nur schwach beheizt, die Sanitäranlagen dort in „ekelhaftem Zustand“, weil sie über Wochen nicht gereinigt würden und keine Seife vorhanden sei. „Deutlicher können Sie das geringe Maß Ihrer Wertschätzung uns gegenüber nicht zeigen“, heißt es im Schreiben. Die Unternehmensleitung bestreitet diese Vorwürfe.

Des Weiteren wird die Handhabung bei Unfällen im Straßenverkehr thematisiert. Durch zu wenig Personal und eng getaktete Fahrpläne gebe es einen hohen Zeitdruck, um das Kundenversprechen einer Lieferung innerhalb von zwei Stunden nach Bestellung einzuhalten. Komme es zu Unfällen, würden den Angestellten auch bei unbeabsichtigt verursachten Unfällen eine Selbstbeteiligung vom Lohn abgezogen. Flaschenpost sagt dazu, dass die Grenze der Selbstbeteiligung bei 200 Euro liege.

Kein echter Betriebsrat

Ein weiterer wichtiger Punkt, den die Angestellten öffentlich machen wollen: Das Fehlen eines „funktionierenden“ Betriebsrats trotz der Größe von mittlerweile 2000 Mitarbeitern. Das Unternehmen hat seine Rechtsform bereits Anfang des Jahres von einer AG in eine europäische Aktiengesellschaft, eine SE, geändert.

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Flaschenpost-Chef Weich begründete diesen Schritt gegenüber „Spiegel Online“ mit den Plänen einer internationalen Expansion. Dies wäre allerdings auch ohne internationale Rechtsform möglich. Durch die Umwandlung der Geschäftsform umgeht das Unternehmen die gesetzliche Vorschrift, dass Angestellte mit im Aufsichtsrat über die Belange entscheiden. Der zehnköpfige SE-Betriebsrat, den es bei Flaschenpost durchaus gibt, wird laut „Spiegel“-Recherchen durch eine einzige Person bestimmt und nicht von den Arbeitnehmern gewählt.