Kölner Handelsexperte„Die Preise werden zweistellig nach oben gehen“
- Der Handelsexperte Boris Hedde erklärt, wieso in den Supermärkten noch zweistellige Preiserhöhungen drohen und hamstern keinen Sinn ergibt.
- Außerdem erklärt er, was der Krieg in der Ukraine mit Problemen bei Anbietern von Bio-Eiern zu tun hat und wieso es bald mehr sogenannten Hard Discount in Deutschland geben könnte.
Köln – Herr Hedde, die Preise steigen, in Supermärkten werden kurzzeitig Produkte knapp. Sollte uns das beunruhigen?Nein. Die derzeitige Situation ist psychologisch getrieben. Das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten führt dazu, dass die Zulieferung bestimmter Produkte sich teilweise schwierig gestaltet. Deshalb sehen wir die Lücken im Supermarktregal. Aber diese bilden nicht die Realität ab. Wir haben mittlerweile verlässlich austarierte Systeme in der Warenversorgung, dass an den verschiedenen Standorten immer genau so viel geliefert wird wie benötigt. Wenn die Menschen hamstern, entnehmen sie kurzfristig mehr Produkte aus den Regalen, die dann eben nicht so schnell wieder aufgefüllt werden können.
Ist die Situation mit den Hamsterkäufen von 2020 vergleichbar? Anders als damals hat der Krieg in der Ukraine ja reale Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Produkten wie Öl und Weizen.
Ich denke, die Versorgung ist in allen Bereichen ausreichend gesichert. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Ware gerecht verteilt in der Bevölkerung ankommt. Denn de facto verbrauchen wir Konsumentinnen und Konsumenten ja nicht automatisch mehr Speiseöl, weil in der Ukraine Krieg herrscht. Wir beschaffen uns nur mehr und füllen damit unsere Keller.
Also alles kein Problem?
Natürlich müssen wir mittelfristig schauen, wie wir Effekte, die sich durch fehlende Ernten ergeben, kompensieren. Im Gros ist die Zulieferung von Produkten nach Deutschland gesichert. Unser derzeitiges Problem ist eher, dass die Kosten für die einzelnen Rohstoffe und Zwischenprodukte an den Beschaffungsmärkten stark gestiegen sind. Zusammen mit den teuren Transport-, Logistik- und Energiekosten führt das zu diesen starken Preissteigerungen. Die größte Herausforderung sind dabei eindeutig die Energiekosten. Wenn wir einmal an Brot denken: Das Teure ist nicht das Mehl, sondern die Backzeit plus Personalkosten. Deshalb sind auch alle Warengruppen von Preissteigerungen betroffen. In einigen Bereichen sind die Effekte natürlich stärker. Zum Beispiel bei Bio-Eiern: Denn das Hühnerfutter wird sonst vor allem aus den Krisenregionen importiert. Hier spüren wir sehr kurzfristige Auswirkungen.
Ausgerechnet zu Ostern gibt es Probleme mit Eiern?
Die Situation bei den Bio-Eiern zeigt sehr gut, wie vielfältig die Herausforderungen sind: Zum einen haben Ausbrüche der Geflügelpest zuletzt ohnehin schon zu Lieferproblemen geführt. Dann leidet die Branche unter den massiv gestiegenen Energiekosten. Und jetzt kommen auch noch die Probleme mit der Zulieferung von Bio-Futter hinzu. All das hat zur Folge, dass die Preise für Bio-Eier massiv gestiegen sind.
Welche Produkte sind noch besonders stark betroffen?
Grundsätzlich gilt: Der Krieg in der Ukraine ist kein Problem für unser Brot, für unseren direkten Konsum – sondern eher indirekt für die Futtermittel, die wir in der Tierhaltung benötigen. Seien es Eier, Fleisch oder Molkereiprodukte. In diesen Segmenten muss außerdem viel gekühlt werden, was sehr energieintensiv ist. Sie haben also besonders stark mit steigenden Energiepreisen zu kämpfen.
Wie weit werden die Preissteigerungen noch gehen?
Das ist sehr schwierig zu antizipieren. Wir haben diese Frage auch intern viel diskutiert. Das Problem ist, dass wir es mit einer multivariaten Situation zu tun haben, in der sehr viele Faktoren zusammenwirken. Es ist nicht so, dass wir eine Inzidenz haben, auf die direkt Reaktionen folgen, wie es gefühlt in der Corona-Krise der Fall war. Der weitere Kriegsverlauf ist aber natürlich ganz entscheidend, und das nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus psychologischer Sicht.Aber Fakt ist, dass sich die eigentlichen Ukraine-Effekte derzeit überwiegend noch nicht im Markt wiederfinden. Ich finde das einen sehr wichtigen Punkt. Die Folgen des Krieges müssen erst noch in den Supermarkt ankommen.
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Worauf gehen dann die bisherigen Steigerungen zurück?
Zuletzt zum Beispiel auf Lieferengpässe, logistische Probleme und steigende Energiekosten. Die Ukraine kommt jetzt noch obendrauf. Das macht die Lage so komplex und schwierig.
Das klingt, als hätten wir noch einiges vor uns…
Es wird sicherlich noch einige Erhöhungen geben. Die Preise werden zweistellig nach oben gehen. Das wird noch zu einem echten Problem – insbesondere mit Blick auf einkommensschwache Haushalte. Wir werden Strategien brauchen, um die Folgen sozial abzufedern. Da gibt es ja auch schon einige Versuche, zum Beispiel im Bereich Energie.
Wie reagieren Konsumenten auf die anziehenden Preise?
Wir haben hierzu eine Erhebung durchgeführt. Annähernd 50 Prozent der Bevölkerung spüren die Effekte schon bei ihrem täglichen Einkauf. Was mich dabei am meisten schockiert hat ist, dass 45 Prozent die Sorge äußern, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Das ist an sich schon eine krasse Botschaft, aber viel erschreckender fand ich, dass der Wert bei den 18- bis 29-Jährigen sogar bei 70 Prozent liegt. Das ist eine Zielgruppe, die bislang vergleichsweise selbstbewusst aufgetreten ist, die diese Sorgen bisher nicht kannte.
Inwiefern ändern die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten?
Sie verschieben Käufe, streichen sie oder suchen sich Alternativen. Einige wechseln zu günstigeren Marken oder decken sich beim Discounter anstatt im höherpreisigen Supermarkt ein. Sie versuchen, die Ausgaben für den alltäglichen Bedarf an Lebensmitteln zu kanalisieren.
Werden die Discounter dadurch zu Gewinnern der Krise?
Davon bin ich überzeugt, und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. Das wird auch zu neuen Konstellationen im Markt führen. In den vergangenen Jahren haben die Discounter versucht, sich an den Supermärkten zu orientieren und ihre Filialen und ihre Anmutung aufgewertet. Die Frage ist, ob dadurch nicht eine Lücke entstanden ist, in der sich ein sogenannter Hard Discount ansiedeln könnte – also ein Geschäftsmodell, bei dem sich alles dem Preis unterordnet.
Und die könnten jetzt tatsächlich kurzfristig im Markt auftauchen?
Diese Konzepte formieren sich schneller, als wir denken. Es gibt ja schon erste Anbieter, zum Beispiel Action aus den Niederlanden. Das ist zwar kein Lebensmitteleinzelhändler, aber das Konzept ist klar: Sie arbeiten im preisgünstigen Segment aggressiv mit Aktionsware.
Wie werden etablierte Discounter wie Aldi, Lidl und Penny reagieren?
Diese Discounter haben zuletzt stark in die Aufwertung ihres Filialnetzes investiert. Das alles umzudrehen, wäre wirtschaftlich schwierig. Die Frage ist also, ob die derzeitige Situation nicht viel mehr zur Positionierung neuer Marken führt. Das wird die Marktwirtschaft zeigen.