Handwerkspräsident klagtBerufskolleg in Köln-Porz in „erbärmlichem Zustand“
- Die Ausbildungsjahre in Handwerksbetrieben starten in diesen Wochen.
- Es gibt einen Mangel an Nachwuchskräften, so der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Interview.
- Der Grund sei vor allem eine Überbetonung des Studiums als Karrieregrundstein – in Gymnasien und der Politik.
Köln – Herr Wollseifer, wie groß ist im deutschen Handwerk der Mangel an jungen Auszubildenden?Wollseifer: Allein im Handwerk sind mindestens 150.000 offene Stellen gemeldet. Aber längst nicht alle unsere Betriebe melden ihren Bedarf bei der Arbeitsagentur, weshalb wir schätzen, dass die Zahl sogar bei rund 250.000 liegt. Um all diese Stellen besetzen zu können, bedarf es einer enormen Ausbildungsanstrengung. Aktuell sind allein im Handwerk noch rund 32.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Wir haben die Politik seit Jahren darauf hingewiesen, dass es zu diesem Mangel kommt, wenn sie nicht mehr für die berufliche Bildung tut, aber sie hat nicht reagiert. Die langen Wartezeiten auf Handwerker in fast allen Bereichen und einen entsprechenden volkswirtschaftlichen Schaden hat zu einem guten Teil auch die Politik zu verantworten.
Sie geben immer der Politik die Schuld am Azubi-Mangel. Aber müssten Sie nicht selbst erstmal Ihre Hausaufgaben machen und den jungen Menschen einfach mehr zahlen, um die Jobs im Handwerk attraktiver zu machen?
Das ist immer ein einfacher Reflex, zu sagen, es liegt am Geld. Tatsächlich werden im Handwerk die höchsten Ausbildungsvergütungen überhaupt in der Wirtschaft gezahlt, etwa in unseren Bauberufen im dritten Ausbildungsjahr bis zu 1500 Euro. Zudem sind in den vergangenen Jahren in vielen Handwerksbranchen die Ausbildungsvergütungen und Löhne deutlich gestiegen. Aber so einfach ist es leider nicht, die Hintergründe sind tiefer gehend. Sie sind in der demografischen Entwicklung und zudem in der Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte zu suchen. Wir haben in Deutschland aktuell einfach weniger Schulabgänger, um die alle Wirtschaftsbereiche intensiv werben.
Studium führt zum Erfolg? – „Ein falsches Bildungsversprechen“
Was genau werfen Sie der Politik dann vor?
In den vergangenen Jahren hat die Politik als Bildungsmantra vor sich hergetragen, dass möglichst Viele Abi machen und studieren. Nur das Studium stand im Fokus und stellte die bewährte Berufsausbildung mit dem besonderen System der Dualen Ausbildung und der darauf aufbauenden Höheren Berufsbildung in Deutschland in den Schatten. Dabei zeigt sich inzwischen, dass das mit dem Studium gegebene Aufstiegsversprechen für viele junge Menschen ein falsches Bildungsversprechen war. In den vergangenen Jahren hatten wir immer über 100.000 Studienabbrecher. Aktuell laufen die Bildungsströme an den Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft vorbei.
Was lief denn schief?
Es hat sich eine Zwei-Klassen-Bildungsgesellschaft entwickelt. Auszubildende sind seit den Bologna-Reformen wie Stiefkinder behandelt worden, das rächt sich nun. Wissen steht über Können, und das ist falsch. Das ist auch bei vielen Eltern nicht angekommen, die an ihre Kinder bei der Berufswahl oft falsche Erwartungen haben oder nur solche Hilfestellung geben, die die Karrieremöglichkeiten einer beruflichen Ausbildung völlig ausblenden. An unseren Gymnasien werden die Schüler immer noch fast ausschließlich auf ein Studium vorbereitet. Die vielen anspruchsvollen Berufe der beruflichen Ausbildung im Handwerk bleiben außen vor. Jahrelang wurden vor allem die Unis mit viel Geld unterstützt und gut ausgestattet. Gleichzeitig sind Berufsschulen in einem miserablen Zustand, weil das Geld fehlt. Ein Beispiel aus meinem Kammerbezirk: Das Berufskolleg 10 in Köln-Porz etwa ist in einem erbärmlichen Zustand, was wir seit Jahren beklagen. Dort ist weder die Verkehrssicherheit gegeben, noch ist die Hygiene gewährleistet. Der Rat der Stadt Köln muss dort dringend Änderungen beschließen.
Das ist ein Berufskolleg
An einem Berufskolleg können Schülerinnen und Schüler Schulabschlüsse in Vorbereitung auf eine Berufsausbildung erwerben – auch Erwachsene. Außerdem können einzelne Berufsbilder komplett schulisch erlernt werden. Am Berufskolleg 10 in Köln-Porz ist das etwa der „Anlagenmechaniker(-in) für Sanitär-Heizung- und Klimatechnik“.
Aber nochmal, liegt es nicht auch am Handwerk selbst. Etwa, indem Sie an einem besseren Image der Handwerker und des Handwerks arbeiten müssen?
Wir haben einiges getan und sind auch noch kräftig dabei. Auch mit neuen, hybriden Bildungsangeboten. In inzwischen neun Bundesländern etwa gibt es das Berufsabitur. Da kann man eine Ausbildung und das Abi kombinieren. Nach drei Jahren können junge Leute ein Fachabitur und eine Ausbildung erwerben, in vier Jahren auch noch die Hochschulzugangsberechtigung. Es gibt inzwischen auch duale Studiengänge im Handwerk. Eine Kölner Erfindung ist etwa das triale Studium. Da ist man nach viereinhalb Jahren sogar Geselle, Meister und Bachelor in Handwerksmanagement. Dass man sich darüber hinaus mit einem Meisterabschluss nun auch als Bachelor Professional bezeichnen kann, zeigt: Meister und Bachelor liegen auf dem selben Qualifikationsniveau.
„Wir wollen den Finger in die Wunde legen“
Aber das sind Bildungswege, was wäre mit einer echten Imagekampagne, die den Ruf der beworbenen Berufe stärkt, denn das scheint ja ein Hemmnis zu sein in der Selbstwahrnehmung junger Lehrlinge gegenüber ihren studierenden Altersgenossen …
Als Handwerk werben wir schon seit mehr als zehn Jahren mit einer Kampagne für die Berufe im Handwerk, in diesem Jahr unter anderem mit der provokativ formulierten Feststellung: „Hier stimmt was nicht“. Damit wollen wir den Finger in die Wunde legen. Denn leider erfahren junge Menschen, die das Handwerk zu ihrem Beruf machen, immer noch weniger Wertschätzung als Studierende. Vor allem über Social Media und zu Corona-Zeiten digital zeigen wir jungen Menschen, welche zukunftsrelevanten Berufe und Karrieremöglichkeiten es im Handwerk gibt.
Können Geflüchtete aus der Ukraine Ihren Fachkräftemangel beheben?
Generell sind unsere Betriebe Integrationsmotoren, das haben sie einmal mehr in der Flüchtlingskrise 2015 /2016 gezeigt. Hier hat das Handwerk überproportional viele Geflüchtete ausgebildet. Aber darüber lässt sich der Fachkräftemangel sicher nicht zur Gänze beheben, das ist ein wichtiger Baustein. Die Geflüchteten aus der Ukraine sind zum ganz überwiegenden Teil Frauen, die meisten davon mit Kindern. Damit sie überhaupt arbeiten können, muss es ein tragfähiges ganztägiges Betreuungsangebot in Schulen und Kitas geben. Dafür zu sorgen: An diesem Punkt ist Politik gefragt. Es wird sich erst im Laufe der nächsten Monate zeigen, wie viele der ukrainischen Geflüchteten über handwerkliche Qualifikationen verfügen und dauerhaft im Handwerk arbeiten wollen.
Welche Folgen hat die Gas-Umlage auf Ihre Betriebe?
Die Umlage verstärkt unsere Probleme, insbesondere in den Betrieben, die auf Prozessenergie angewiesen sind. Bäcker etwa heizen ihre Öfen weit überwiegend mit Erdgas, auch Textilreinigungen könnten angesichts der dadurch noch weiter steigenden Kosten in die Knie gehen, wenn da nicht was passiert, was Entlastung bringt. Ich fordere eine Unterstützung für kleine und mittelständische Betriebe und nicht nur für die Gas-Giganten aus dem Energiesektor.
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Ist das baldige Verbrennerverbot ein Problem Ihrer Betriebe?
Das Handwerk unterstützt die Bemühungen hin zu einer CO2-freien Mobilität, allerdings wird das nur nach und nach umzustellen sein. Und nötig sind etwa auch entsprechend viele Ladesäulen, mehr als etwa die Rhein-Energie derzeit anbieten kann. Wenn Fahrzeuge nicht laden können, dann gibt es am Morgen nicht genug, die zur Baustelle fahren können.