„Man kümmert sich eben“Wie ein Verein eine alte Bonner Siedlung am Leben hält
Bonn/Köln – Rund 400 Menschen leben in der Amerikanischen Siedlung in Bonn-Tannenbusch und wenn man mit Achim Könen über das Gelände läuft, bekommt man das Gefühl, er kenne jeden Einzelnen von ihnen. „Man kümmert sich eben auch ein bisschen um die Leute hier“, sagt der 61-Jährige.
Er spricht mit dem Nachbarn, der seinen Hund spazieren führt. Hilft beim Tragen von Einkaufstaschen. Grüßt die Kinder mit den Laternen. „Solange wir noch miteinander reden, ist alles gut.“
Amerikanische Siedlung wurde in acht Monaten gebaut
Könen – Bundespolizist, getönte Brille, rheinischer Singsang – weiß viel zu erzählen über die denkmalgeschützte Siedlung. Die Amerikaner bauten sie im Jahr 1951 für ihre Bonner Angestellten, „in nur acht Monaten Bauzeit, unglaublich, oder?“ Ein neungeschossiges Hochhaus gehört dazu, daneben weitere Wohnblöcke und dazwischen eine weitläufige Grünanlage. Könen führt durch einen Nutzgarten mit liebevoll bepflanzten Beeten – und vorbei an Ecken, an denen junge Männer mit kleinen Tütchen auf Kundschaft warten. Aus den Fenstern der zahlreichen Ein-Zimmer-Wohnungen im Hochhaus kann man in der Ferne das Siebengebirge sehen.
Das, was Könen und andere Bewohner für die Siedlung tun, spielt sich am Boden ab: Sie haben den Verein „Dünenfüchse“ gegründet, Könen ist ihr Vorsitzender. Aus ihrem Vereinssitz heraus, einem hellen Pavillon, organisieren sie Sommerfeste und philosophische Lesekreise, Nikolausbesuche für die Kinder und Mittagstische. Sie habenden Schul- und Nutzgarten und einen Kinderspielplatz initiiert.
Ideal der Graswurzeldemokratie
„Als Graswurzelbewegung“, sagt Könen. Das ist ihnen wichtig, so steht es auch im Vereinstext: „Wir sind ein Verein von Menschen, die sich dem Ideal der Graswurzeldemokratie verbunden fühlen.“ Strukturen, die von unten nach oben wachsen, basisdemokratisch. Zu den Zielen des Vereins zählen gesellschaftliches Engagement, Bildungsarbeit, Denkmal- und Naturschutz.
Initiativen, die Wohnen mit gesellschaftlichem Engagement verbinden, gewinnen in Deutschland immer mehr an Gewicht. Ein Ort, an dem sie gefördert werden, ist das Netzwerk „Immovielien“. Das Bündnis, in dem auch die „Dünenfüchse“ Mitglied sind, will bessere Rahmenbedingungen für eine gemeinwohlorientierte Immobilien- und Stadtentwicklung schaffen. „Immobilien von vielen für viele“ – das steckt im Namen.
Legendäre Gründungssitzungen der „Immovielien“
Dabei kommen die verschiedensten Akteure zusammen: Stiftungen, Kommunen, Wohnungswirtschaft, Banken, Berater. „Wir wussten damals, wenn wir eine gemeinwohlorientierte Wende wollen, müssen wir zusammenarbeiten“, sagt Frauke Burgdorff, eine der Initiatorinnen des Netzwerks. „Die Gründungssitzungen 2016 waren legendär. Berliner Linke und die NRW-Bank saßen plötzlich an einem Tisch.“
Die Immovielien wollen vernetzen, Zugänge schaffen, beraten, Wissen bereitstellen. Burgdorff, heute Beigeordnete für Planung, Bau und Mobilität in Aachen, setzt sich seit 20 Jahren für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ein.
„Anfangs wurde ich dafür nur milde belächelt. Nun wird die Expertise in diesem Feld laufend abgefragt.“ Seit ihren Anfängen hat sie nicht nur das Netzwerk „Immovielien“ aufgebaut, sondern auch als Vorständin und Geschäftsführerin Stiftungen und gemeinnützigen Bauprojekten vorgesessen.
In Köln gibt es noch viel Luft nach oben
Yasemin Utku, Professorin am Institut für Städtebau an der TH Köln, sieht ebenfalls einen Wandel. Mittlerweile sei allen klar, dass man das Wohnungsproblem nicht nur mit „Siedlungen von der Stange“ lösen könne. „Auch in Köln bewegt sich etwas“, sagt sie. „Es gibt aber noch viel Luft nach oben.“ Man habe in der Stadt „wenig Tradition im Umgang mit solchen Strukturen“.
Es gebe positive Beispiele, wie die Konzeptvergabe für die Nutzung der ehemaligen Artillerie-Halle in Köln-Ehrenfeld. Es gebe aber auch „Beispiele, die ratlos machen“: Zum Beispiel die derzeitige Situation an den Hallen Kalk, wo vor Jahren in einem Werkstattverfahren Konzepte mit gemeinnützigen Akteuren erarbeitet wurden – und sich derzeit kaum etwas tut.
Wunsch nach mehr Engagement der BIMA
Dass man es nicht immer leicht hat mit seinen Initiativen, bekommen auch die Bonner Dünenfüchse zu spüren. In einer Ecke des gemeinsamen Nutzgartens steht Norbert Höfer, Achim Könens Stellvertreter, und sägt Zweige in kompostgerechte Stücke. „Hier in der Nähe gibt es Flächen, die von einer biologischen Station bewirtschaftet werden“, sagt er. „Wir haben angeregt, so etwas auch in unserer Siedlung zu machen. Aber passiert ist nichts.“ Selbst das Gras auf den Grünflächen sei erst vor kurzem gemäht worden, da habe es schon hüfthoch gestanden.
Höfer übt Kritik an der Vermieterin, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben: Die Belegungspolitik sei „irrational“, Wohnungen stünden seit Jahren leer, die Sanierungen liefen schwerfällig. Anregungen blieben häufig ungehört.
Fragt man Höfer, wieso er 2014 den Verein mitgegründet habe, so sagt er: um der Vernachlässigung der Siedlung entgegenzuwirken und der Vereinsamung ihrer Bewohner. Das Durchschnittsalter hier ist hoch, die meisten Büro- und Geschäftsflächen unten im Hochhaus verlassen. Es fiele leicht, auf dem weitläufigen Gelände anonym zu bleiben. Aber die Dünenfüchse wollen, „dass die Leute, die hier wohnen, Namen und Gesicht haben“.
Das Beispiel des Bonner Vereins mit seinen 53 Mitgliedern zeigt, wie vielfältig gemeinwohlorientierte Wohn-Initiativen sein können. Es gibt große, bekannte Projekte wie die Krefelder Samtweberei – wo ein altes Fabrikgelände gezielt zu einem vielfältigen Quartier entwickelt wurde. Initiativen wie am Osthof der Hallen Kalk, wo sich verschiedene Akteure Räume für Kunst und Kultur erschließen. Es gibt Genossenschaften und Mietshäuser-Syndikate, die bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen. Und es gibt Projekte von Nachbarn wie Könen und Höfer, die ihr Zuhause lebendig und lebenswert halten wollen.
Seit acht Jahren in der Wohnung
Irgendwann im Laufe des Nachmittags steht Achim Könen oben in der Wohnung von Rosario Anastasi; dort, wo der Ausblick vom Balkon bis zum Vorgebirge reicht. Der Sizilianer Anastasi selbst lebt seit acht Jahren hier. Im Hintergrund läuft italienisches Fernsehen, eine kleine Marienfigur steht von Lichterketten beleuchtet auf Lavastein.
„Wenn jemand Arbeit zu vergeben hat, schlage ich Rosario vor“, sagt Könen. „Für Hilfe im Garten, zum Beispiel.“
„Eine Frage habe ich noch an dich“, sagt Anastasi. „Diese Heizung, die geht schon lange nicht mehr. Was soll ich machen?“ „Ich spreche es an“, sagt Könen. Der, der mit seinen Dünenfüchsen die Leute in der Siedlung kennt.