Rhein-Energie-Chef Andreas Feicht über die Kosten der Dekarbonisierung, die enorme Leistung der neuen Wärmepumpe am Rhein und wie sich die Energiepreise künftig entwickeln.
Interview Rhein-Energie„Der enorme Aufwand bringt uns keine zusätzlichen Kunden“
Herr Feicht, wie schwierig ist es für einen Energieversorger wie die Rhein-Energie, den Wandel hin zu den erneuerbaren Energien zu planen? Mit all diesen Unwägbarkeiten, die es gibt in den verschiedenen Bereichen. Das ist ja kein gerader Weg?
Feicht Das ist richtig und funktioniert nur, indem man versucht, die Komplexität des Energiesystems zu reduzieren. Alles ist miteinander verwoben: Die Erzeugung von Erneuerbaren, die wirtschaftlichen Wirkungen, die Finanzierungskosten. Will man darauf eine gute Strategie aufbauen, muss man versuchen, die Themen und Aufgaben zu unterteilen.
Wie genau?
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Zunächst definiert man eine größere Linie, das haben wir getan: Wir wollen bis 2035 rund 3,8 Milliarden Euro in verschiedenen Sektoren investieren: in neue Fernwärmekapazitäten aus dekarbonisierten Quellen, den Ausbau der Leitungsinfrastruktur und Ausbau von Erzeugungssystemen aus Erneuerbaren. Nehmen wir den letzten Punkt: Hier muss man immer wieder Investitionsentscheidungen treffen. Und sich zum Beispiel fragen: Ist es sinnvoll, ein Repowering-Projekt im Windbereich vorzunehmen, anstatt etwas neu zu bauen? Das machen wir aktuell in Sachsen-Anhalt in der Nähe von Weimar.
Ersatz durch modernere Anlagen
Was heißt Repowering?
Repowering bedeutet, alte Anlagen, die nach 20 Jahren aus der Förderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes fallen, durch modernere und leistungsfähigere Anlagen zu ersetzen. In Sachsen-Anhalt werden so aus sechs kleinen zwei große Generatoren. Diese sind viel effizienter und produzieren mehr Strom.
Ein zweites Beispiel: Wir investieren in Batterie-Großspeicher, weil es für die Energiewende sinnvoll ist und sich wirtschaftlich lohnt. Wir können dann Erzeugung und Verbrauch besser synchronisieren – ein wichtiger Punkt für die Energiewende.
Wir haben in Deutschland eine klare Aufgabenteilung: Die Energiepolitik hat die Aufgabe, das System insgesamt zu optimieren und dafür den Rahmen zu setzen. Und wir haben die Aufgabe, daraus folgend konkrete Investitionsentscheidungen zu treffen, die in den Rahmen passen.
Das ist wohl mit einer hohen Fehlerquote behaftet, also müssen Sie da ein bisschen auch raten, wie sich das in Zukunft entwickelt?
Entscheidungen für die Zukunft beinhalten immer gewisse Unsicherheiten, das gehört zum Unternehmertum dazu. Investitionen sind aber nicht immer gleich Investitionen. Beim Stromnetz garantiert die Bundesnetzagentur eine gewisse Verzinsung auf das eingesetzte Kapital, das ist dann für die kommenden Jahre kalkulierbar.
Bei der Fernwärme hingegen entscheiden die Kunden, ob sie von ihrer Gasheizung auf die Fernwärmeheizung umschwenken und sich an den Kosten beteiligen wollen. Tun sie das, so haben wir einen Deckungsbeitrag durch die Zahlung der Kunden. Tun sie es nicht, haben wir keine verlässliche Finanzierung. Fernwärme ist also unsicherer in der Kalkulation – und das bei hohen Investitions- und Fixkosten.
Aber können Sie das nicht bei der Fernwärme so machen wie die Glasfaserausbauer und sagen, dass binnen einer Frist von z.B. einem Jahr mindestens 40 Prozent der Anrainer „Ja“ gesagt haben müssen, bevor es losgeht?
Ja, im Netzbereich muss es genauso laufen. Bei größeren Ausbaumaßnahmen brauchen wir eine gewisse Anzahl von Kunden, dann erst wird gebaut. Bei Fernwärme-Vorstreckungen gehen wir teilweise ebenso vor.
Problematischer ist es auf der gesetzlich geregelten Erzeugungsseite: Wir Energieversorger müssen dekarbonisieren, die fossilen Brennstoffe mittelfristig durch klimaneutrale Quellen ersetzen. Dieser enorme Aufwand bringt uns aber keine zusätzlichen Kunden, die Investitionen müssen wir voll einkalkulieren. Die geplante Flusswasserwärmepumpe am Kölner Rheinufer gehört dazu. Sie ist ein Stück weit ein Wagnis, weil ihr Erfolg auch davon abhängt, wie sich der Strompreis entwickelt. Steigt er stark an, ist es vorbei mit der Wirtschaftlichkeit. Deswegen finde ich es wichtig und richtig, dass der Bund und die EU uns Fördermittel zugesagt haben, um das Risiko etwas zu reduzieren. Denn auch ein großes Stadtwerk kann nicht alle Infrastrukturaufgaben aus dem Unternehmertum heraus finanzieren.
Wie genau müssen wir uns die Riesen-Wärmepumpe im Rhein vorstellen?
Die Wärmepumpe wird in Niehl neben unseren bestehenden beiden Gaskraftwerksblöcken gebaut. Sie entnimmt Wasser aus dem Rhein und nutzt dessen Temperatur. Durch den Verdichtungsprozess in der Wärmepumpe erreichen wir das Temperaturniveau, das wir für die Fernwärme benötigen, rund 100 Grad. Die Antriebsenergie für diesen Prozess ist Strom. Das Besondere an der Wärmepumpe: Die Wärme entsteht durch Kompression, ohne Verbrennung. Ähnlich wie bei einer Luftpumpe – wenn man pumpt, wird die Luft warm. Dadurch schaffen wir es, aus einer Kilowattstunde Strom rund 2,5 Kilowattstunden Wärme zu produzieren. Das ist ein Wirkungsgrad von 250 Prozent. Deswegen ist eine Flusswasserwärmepumpe die effizienteste Möglichkeit zu heizen.
Pumpe kann 50.000 Haushalte beheizen
Für unsere Großanlage benötigen wir allerdings viel Platz, Zugang zum Rheinwasser und einen starken Stromanschluss. Das alles haben wir an unserem Standort in Niehl. Das Rheinwasser gelangt nach Durchlaufen der Wärmepumpe leicht abgekühlt, aber ansonsten unverändert, in den Fluss zurück.
Die Anlage kann 150 Megawatt Wärme liefern, damit können wir gleichzeitig rund 50.000 Haushalte beheizen und vom ersten Moment auch noch eine substanzielle Menge an Treibhausgas einsparen.
Schadet dieses Abkühlen von Rheinwasser irgendeinem Tier?
Im Gegenteil. Der Rhein hat eher zu viel Wärmeeinleitung aufgrund der Industrie und der Kraftwerke, die sein Wasser nutzen, um ihre Anlagen zu kühlen. Wenn wir genau das Gegenteil tun und kühleres Wasser einleiten, unterstützen wir die Ökologie im Fluss. Ein anderes Thema ist die Wasserentnahme, bei der wir Fische und Kleinlebewesen durch Filtersysteme erkennen und schützen müssen. Das wird im Rahmen der Genehmigung geklärt.
Und sollte der Rhein Eisgang haben, was passiert dann?
Unser Fernwärmesystem basiert nicht nur auf einer Technologie. Sollte die Rheinwassertemperatur unter einen Wert von etwa vier Grad fallen, nutzen wir alternativ unsere Gas- und Dampf-Kraftwerke. Dieser Wechsel geschieht ohnehin im Interesse der Wirtschaftlichkeit. Ist der Strompreis hoch, fährt unsere Gasanlage. Ist der Strompreis niedrig, fährt die Wärmepumpe. Am Ende führt dies zu einem günstigeren Preis. Würden wir bei der Wärmeproduktion ausschließlich auf strombasierte Technologien setzen, wären wir komplett vom Strompreis abhängig. Deshalb ist eine diversifizierte Aufstellung sinnvoll.
Die Leitplanken für die Entwicklung im Energiebereich setzt in den meisten Fällen die Bundespolitik. Macht sie das gut aus Ihrer Sicht?
Die RheinEnergie ist ein breit und damit stabil aufgestelltes Unternehmen. Je mehr man sich auf eine einzelne Technologie konzentriert, desto mehr Risiken und hohe Investitionen im Infrastrukturbereich gibt es.
Richte ich alles auf Strom aus, müssen diejenigen, die bislang gasversorgt waren, eine neue, teurere Infrastruktur bauen. Setze ich auf Photovoltaik, die am Tag und vor allem im Sommer produziert, steht eine Spitzenleistung nur für wenige Stunden zur Verfügung. Gleichzeitig müssen alle Stromleitungen und Transportsysteme auf diese benötigten Spitzenphasen hin geplant und gebaut werden. Das kostet überproportional.
Investitionen in die Infrastruktur treiben den Strompreis
Diese Investitionen in die Infrastruktur treiben den Strompreis von morgen. Die Politik muss sich die Frage stellen: Können die verschiedenen Akteure – also die privaten Haushalte mit geringen Einkommen und die energieintensive Industrie – ein steigendes Preisniveau auf Dauer tragen? Können wir uns den Umbau der Systeme insgesamt leisten? Es reicht nicht aus, auf die Kosten der Erneuerbaren zu schauen, man muss auch auf die Kosten der Infrastruktur blicken, die sehr stark steigen.
Dieser Aspekt ist in der Tat unterbelichtet in der politischen Diskussion. Dabei ist er gerade für das Rheinland sehr wichtig mit seiner energieintensiven Infrastruktur. Autobahnen baut in Deutschland selbstverständlich der Staat. Warum engagiert er sich nicht auch bei den Energie-Autobahnen?
Genau vor einem Jahr haben Sie mal den Vorschlag gemacht, dass der Staat den Netzausbau vorantreiben soll, weil das die einzige Möglichkeit ist, das zu schaffen und zu schultern. Sehen Sie das heute noch als realistisch an?
Der Staat hat mehrere Optionen. Er kann die Energiepolitik so steuern, dass alle auf Strom setzen. Oder er erhält einen Teil der Gasinfrastruktur, die bereits auch bezahlt ist, aufrecht und stellt später auf Wasserstoff um. Die Politik muss Güterabwägungen treffen, Konzepte aufstellen und die Richtung bestimmen. Ich werbe dafür, auch die Kosten genau zu betrachten. Strom-Freileitungen mögen nicht immer schön sein, aber ein Erdkabel kostet das Mehrfache. Wer kommt für die Mehrkosten auf? Und über welchen Zeitraum?
Solche Diskussionen laufen aktuell in Berlin. Der Staat könnte vorfinanzieren und die hohen Einmalkosten aus dem Jetzt gleichmäßig auf die Zukunft verteilen. Dieser Gedanke ist richtig, denn wir investieren ja heute für morgen und die künftigen Generationen.
Wie im Bankkredit?
Wie im Bankkredit. Das gilt nicht nur für Strom-Investitionen, sondern auch für andere Gemeinschaftsaufgaben wie das deutsche Wasserstoffkernnetz. Regeln muss man auch die Eigentumsfragen: Denn anders als bei den Autobahnen gehört das Verteilnetz den Energieunternehmen.
Heute legt der Regulierer fest, wieviel wir für die Netzkosten auf Verteiler- und Transportebene nehmen dürfen. Darin sind neben den Netzkosten auch weitere Komponenten wie Kraftwerksreserven enthalten, damit das System stabil bleibt.
Manche der jetzt vorliegenden Konzepte sind einfach zu teuer. Wir müssen Preiswürdigkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz in der Balance halten, sonst kippt das System.
Wie sehen Sie die Entwicklung in der Haltung Ihrer Kunden, hin zu Erneuerbaren, werden die zögerlicher?
Die Stromnachfrage ist aktuell nicht so stark steigend, wie manche das prognostiziert haben. Wir stecken in einer Konjunkturkrise. Die Neuzulassung von Elektroautos schwächelt, die Wärmepumpenindustrie erleidet Rückschläge.
Allerdings gibt es einen neuen Impuls: die hohe Nachfrage nach Rechenzentrumskapazitäten, vor allem mit Blick auf Künstliche Intelligenz. Das kann ein Gamechanger sein. Da bahnen sich viele Projekte an, auch hier in unserer rheinischen Region: Sogenannte Hyperscaler, also gigantische Rechenzentren. Die KI-Revolution wird dazu führen, dass der Stromverbrauch um den Faktor 3 bis 4 steigt gegenüber den klassischen Rechenzentren. Dieser Strombedarf soll zumindest mittelfristig weitestgehend klimaneutral gedeckt werden.
Welchen Effekt haben die stark nachgefragten Balkonkraftwerke?
Die zeigen zwei Effekte. Der positive ist, dass ein gewisser Grundbedarf des Haushalts damit gedeckt wird, der Kühlschrank oder die Gefriertruhe. Das ist zumindest in den Sommermonaten von einem Balkonkraftwerk abzubilden und für uns als Versorger kein Problem.
Erzeugung und Verbrauch in Einklang bringen
Der negative Effekt entsteht dadurch, dass die vielen einzelnen Anlagen auf Balkonen und Dächern in Summe viel Strom erzeugen und diesen alle gleichzeitig genau dann einspeisen, wenn gar nicht so viel benötigt wird, vor allem im Sommer. Den meisten Strom brauchen wir ja an dunklen Tagen im Winter, und da liefern die Anlagen nur wenig bis nichts. Im Sommer schütten sie gewissermaßen das System mit Strom zu. Das führt zu einem Überangebot mit negativen Preisen. Außerdem verursacht es Steuerungsprobleme im Netz.
Unsere Herausforderung heißt also: Erzeugung und Verbrauch auch bei Erneuerbaren besser in Einklang zu bringen. Daran arbeiten wir, unter anderem im Rahmen unserer Beteiligung an einem Münchner Startup, The Mobility House. Dieses Unternehmen gehört zum Sektor Elektromobilität und geht davon aus, dass es bald viele E-Fahrzeuge gibt, die als Schwarmspeicher dienen können. Sie könnten, wenn sie nicht fahren und an der Ladesäule eingestöpselt sind, in den Spitzenzeiten den billigen Strom von den Dächern zu geringen bis keinen Kosten aufnehmen. Scheint die Sonne nicht mehr, und es steigt der Strombedarf, können sie den Strom teilweise wieder ausspeisen ins Netz – dann, wenn er gebraucht wird und gegen Entgelt. Wenn man das durchdenkt, ist es ein bestechender Gedanke, weil der Speicher ja schon mal bezahlt wurde, als man das Auto gekauft hat. Das heißt, eigentlich steht der Speicher kostenlos zur Verfügung, und er ist groß.
Sie sehen, wir brauchen eine Synchronisation des Gesamtsystems, die sich am Ende für alle lohnt: Systembetreiber und Kunden, denn jeder profitiert davon, dass er sich beteiligt. Und wir kommen der Möglichkeit, erneuerbare Energie im großen Stil zu speichern, sie aber auch im Fluss zu managen, einen entscheidenden Schritt näher.