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Kölner Jetpilotin und Reserve-Astronautin„Tom Cruise hätten wir gefeuert“

Lesezeit 10 Minuten
Nicola Winter lebt in Bayern und in Köln.

Nicola Winter lebt in Bayern – mit Zweitwohnsitz in Köln. Sie war die zweite Frau als Jetpilotin bei der Bundeswehr.

Nicola Winter erzählt im Interview, warum sie als erste deutsche Frau ins Weltall will, wie sie den Film „Top Gun“ findet und warum gute Führungskräfte in der Wirtschaft rar sind.

Nicola Winter (39) war früher Kampfjet-Pilotin, die zweite überhaupt bei der Bundeswehr. Heute ist sie angehende Pilotin für Rettungshubschrauber, Doktorandin der Raumfahrtwissenschaften, ESA-Reserve-Astronautin und eine gefragte Speakerin in Unternehmen. In ihrem neuen Buch „The Sky is No Limit“ schreibt sie über Krisen-Management und gute Führung. Sie lebt in Bayern und Köln.

Frau Winter, in Ihrem Buch geben Sie interessante, manchmal sehr unerwartete Einblicke in die Ausbildung zur Kampfjetpilotin. Zum Pupsen jedenfalls haben Sie ein sehr entspanntes Verhältnis.

Definitiv. Pupsen kann Leben retten. Das habe ich bei unseren Übungen in der Höhendruckkammer am eigenen Leib gemerkt. Da wird man auf 43.000 Fuß, deutlich über dem Mount Everest, hochgefahren. Die Luft im Körper dehnt sich in dem Moment aufs Sechsfache aus. Es tut sehr weh, wenn man die Luft dann nicht sofort aus Mund, Nase oder eben unten rausdrückt. Bei meiner ersten Übung gab es ein dramatisches Erlebnis: Plötzlich fing mein Sitznachbar an zu zucken wie bei einem epileptischen Anfall und wurde bewusstlos.

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Was war passiert?

Sein Herz hatte ausgesetzt, weil die Luft in seinem Darm und in seinem Magen so massiv auf sein Herz gedrückt hat. Er hatte es nicht geschafft, sie schnell genug loszuwerden. Der menschliche Körper ist zwar sehr anpassungsfähig, aber das nur bis zu einem gewissen Grad. Ab knapp 20 Kilometern Höhe geht es nicht mehr gut, selbst mit Sauerstoff. Jetpiloten müssen auch das üben. Denn wenn der Sauerstoff in der Kabine runtergeht, merkt man das nicht unbedingt. Manche geraten in euphorische Glückszustände - ist dann vielleicht ein glücklicher Tod, will man aber trotzdem nicht. Darum ist es für Jetpiloten essenziell, vor jedem Flug in sich reinzuhören: Bin ich heute fit? Belastet mich was? Wenn ich heute den größtmöglichen Notfall habe, kriege ich es dann gebacken? Nur dann kann ich auch fliegen.

Nicola Winter wollte eigentlich Lufthansa-Pilotin werden.

Nicola Winter wollte eigentlich Lufthansa-Pilotin werden. Dann ging sie zur Bundeswehr.

Eigentlich wollten Sie Lufthansa-Pilotin werden, waren mit 1,60 aber zu klein. Also sind Sie zur Bundeswehr gegangen, um Eurofighter zu fliegen. Was in etwa so ist, als würde man Rennfahrerin werden, weil man den Führerschein nicht bekommen hat.

Die Lufthansa war damals die einzige Airline, die die Ausbildung finanziert hat. Bis 2000 durften Frauen nicht zur Bundeswehr gehen, also war die Lufthansa mein Traum. Ich wollte mir sogar die Beine verlängern lassen, was mein Orthopäde aber abgelehnt hat. In meinem Leben war es oft so, dass Plan A nicht funktioniert hat. Rückblickend kann ich sagen: Plan B oder C waren oft besser.

Ihre Mutter ist sechsfache Weltmeisterin im Drachenfliegen. Ihr Stiefvater, Deutscher Meister im Drachenfliegen, stürzte 2000 bei einem Flug ab. Sie waren 15 Jahre alt. Warum hat Sie das nicht von der Fliegerei abgehalten?

Weil mein Stiefvater die Gefahr sehenden Auges eingegangen ist. Das Gemeine für uns alle ist die Erkenntnis, dass das Leben immer mit dem Tod endet. Die Frage ist: Was mache ich dazwischen? Doch lieber was Aufregendes. Er war der erste tote Pilot, den ich kannte – und ehrlicherweise nicht der letzte.

Nicola Winter ist eine gefragte Speakerin in Unternehmen. Sie spricht dort unter anderem über das, was sie beim Militär gelernt hat: Krisenmanagement und gute Führung.

Nicola Winter ist eine gefragte Speakerin in Unternehmen. Sie spricht dort unter anderem über das, was sie beim Militär gelernt hat: Krisenmanagement und gute Führung.

Die Ausbildung zur Jetpilotin klingt knallhart. Sie wurden unter anderem in der eiskalten Nordsee abgeworfen. Ein Zeh wäre dabei beinah abgefroren.

Es ist sehr eindrücklich, mal bei vier Grad stundenlang in der Nordsee zu liegen. Als Pilotin sitze ich in Tauchermontur im Cockpit, was ungemütlich und schwitzig ist. Aber wenn ich mich wirklich mal über dem Meer aus meinem Flugzeug rausschießen muss, wäre ich ohne diese Montur aufgeschmissen. Gefährlich ist dann der Moment, wo der Körper mit dem Fallschirm ins Wasser taucht. Dann kann man bei Wind vom Fallschirm übers Wasser geschleift werden und ertrinken. Hat man das geschafft, wartet man etliche Stunden auf einer kleinen aufblasbaren Rettungsinsel mutterseelenallein auf Hilfe.

Bei bis zu 800 Stundenkilometern Geschwindigkeit im Eurofighter können kleinste Fehler tödlich sein. Wie knapp war es schon bei Ihnen?

Einmal wäre ich beinah mit einem Flugzeug zusammengestoßen. Ich bin eine Kurve nicht sauber geflogen und der Flugschüler vor mir auch nicht. Plötzlich tauchte er in nur zehn Metern Abstand direkt unter mir auf. Seit dem Tag hat sich bei mir eingebrannt: Lieber einmal zu viel doof nachfragen, wenn man unsicher ist. Weil auch das Leben retten kann. Als junge Pilotin beginnt man mit einem großen Sack voll Glück und einem leeren Sack Erfahrung. Man kann nur hoffen, dass der Sack mit Erfahrung voll ist, bevor der Sack mit dem Glück sich dem Ende zuneigt. An dem Tag habe ich sehr viel von meinem Glück aufgebraucht.

Sie sind bis heute eine von nur drei Kampfjet-Pilotinnen der Luftwaffe. Sind Ihnen anfangs Sprüche gedrückt worden?

Tausende. Aber ob ich dummes Zeug an mich ranlasse, entscheide ich ja selbst. Und ob ich als Führungspersönlichkeit akzeptiert werde, hängt viel mit dem eigenen Auftreten zusammen: Mimik, Gestik, Sprache. Das kann man üben. Bei der Offiziersauswahl fragte ein knorriger alter Feldwebel: Könnt ihr Frauen überhaupt rückwärts einparken? Dabei haben Flugzeuge gar keinen Rückwärtsgang. Ich war total verwirrt. Am Ende stellte sich raus, dass er gar kein Pilot war und einfach nur Unsinn geredet hat.

Warum haben Sie vor ein paar Jahren bei der Bundeswehr aufgehört?

Ich hatte das Gefühl: Egal, wie hoch ich komme bei der Luftwaffe, traditionell ins Ministerium, ich werde nie große Veränderungen für die Bundeswehr anstoßen können, weil die im Parlament und von den Wählern entschieden werden. Es scheint noch nicht angekommen zu sein, dass wir dringend eine schlagkräftige Bundeswehr brauchen.

Darüber wird seit dem russischen Angriffskrieg durchaus diskutiert.

Boris Pistorius hat mehr Ahnung als seine Vorgänger und Vorgängerinnen – was nicht schwer ist. Aber auch er hat den Gordischen Knoten bisher noch nicht durchschlagen. Aus meiner Sicht krankt es vor allem an Beschaffungsverträgen oder daran, dass Ersatzteile nicht kommen, weil das kein lukratives Geschäft für die Industrie ist. Und dann gibt es das Präventionsparadox: Wenn wir Munitionsvorräte zehn Jahre lang nicht brauchen und das Haltbarkeitsdatum abläuft, sagt der Bundesrechnungshof: verschwendetes Geld. Am sparsamsten bin ich immer, wenn ich keine Munition kaufe. Bis ich sie plötzlich dringend brauche. Und dann haben wir das Problem.

Sie sind nach der Bundeswehr für ein Jahr zu einer Unternehmensberatung gewechselt. Mit Erstaunen haben Sie festgestellt, dass gute Führung und Krisenmanagement in der Wirtschaft rar sind. Was haben Sie konkret vermisst?

Fast niemand macht Debriefings, also Nachbesprechungen. Wenn wir die als Piloten nicht machen würden, würden wir nicht lange überleben. Auch medizinische Behandlungsqualität sähe vermutlich besser aus, wenn Mediziner bei einem massiven Behandlungsfehler fürchten müssten, selbst ums Leben zu kommen. Wenn es bei Managerinnen und Managern in großen Konzernen um eigenes Geld und ihre eigene Existenz gehen würde, würden die wohl auch anders entscheiden. Ich habe in der Wirtschaft ein großes Hamsterrad vorgefunden: von Meeting zu Meeting, Entscheidung zu Entscheidung. Da wird selten kurz innegehalten, um zu schauen: Sind wir da angekommen, wo wir hinwollten? Was wollen wir ab jetzt bewusst anders machen?

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Gut zu führen ist in Deutschland extrem einfach, weil das Niveau so niedrig ist. Ich habe selber Mitarbeiter, die sagen: Du bist so eine tolle Chefin. Dabei mache ich nicht mehr als das Minimum: Ich bin nett, behandle sie menschlich und interessiere mich für sie. Die meisten Führungskräfte sind sehr im Manager-Modus, organisieren, koordinieren und haben die Zahlen. Es ist aber nicht die Aufgabe in der Menschenführung, den Job selbst zu machen.

Sondern?

Die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass meine Mitarbeitenden optimal arbeiten können. Dafür muss man immer gucken: Wer braucht was? Dem 25-jährigen Karrieretypen gebe ich die Aufstiegsmöglichkeiten. Eine junge Mutter braucht vielleicht gerade etwas mehr Freiraum oder Verständnis dafür, wenn sie zeitweise nicht 100 Prozent geben kann. Wichtig ist Fehlerkultur. Das Wörtchen „noch“ ist meine Superpower, sei es bei meiner kleinen Tochter oder bei meinen Mitarbeitenden: Noch kannst du das vielleicht nicht, wir müssen noch ein bisschen daran arbeiten. Aber gleich geht’s. Das Ziel muss sein, dass die Mitarbeiter mit Freude dabei sind.

Deutschland hat seine Souveränität im Weltall komplett aufgegeben
Nicola Winter

Empathie ist die wichtigste Eigenschaft einer Führungskraft, sagen Sie. Warum sind die Führungskräfte in der Fliegerwelt da besser aufgestellt?

Weil wir dazu gezwungen sind. Der Standard-Jetpilot hat auch ein großes Ego, es gibt nicht unendlich viel Zeit für Gefühle. Aber für uns ist sehr wichtig zu wissen, was unsere Stärken und Schwächen sind, wenn wir uns gegenseitig unser Leben anvertrauen. Was interessiert den, worauf hat er keinen Bock? Dafür braucht man Empathie. Man muss wissen, was Menschen motiviert, um sie gewinnbringend einsetzen zu können, das darf man auch knallhart wirtschaftlich kalkulieren. Es macht viel Sinn, Mitarbeitende entsprechend ihren Stärken einzusetzen. Dafür muss man sie aber kennen.

Sie sind 2022 unter mehr als 20.000 Anwärterinnen und Anwärtern ausgewählt worden, ESA-Reserve-Astronautin zu werden. Zwölf deutsche Männer waren schon im All, eine deutsche Frau noch nie. Kennen Sie die deutschen Astronauten Matthias Maurer und Alexander Gerst persönlich?

Wir hatten schon ein paar Mal miteinander zu tun. Die sind genauso, wie man sie in der Öffentlichkeit erlebt: lustig, sehr professionell. Die machen einen extrem guten Job. Aber natürlich wäre ich gerne mit ihnen im selben Team. Zumal im All viel medizinische Forschung gemacht wird. Die sollte man nicht nur an Männern erforschen und damit alte Fehler aus der Medizin wiederholen. Aktuell versuche ich, meine All-Mission mit kommerziellen Partnern zu organisieren. Vielleicht geling es mir auf dem Weg schneller, ins All zu kommen.

Wie lange würde es dauern, bis Sie als Astronautin einsatzfähig sind?

Drei bis vier Jahre dauert die Ausbildung. Einiges kann ich schon durch meine Ausbildung als Jetpilotin. Um endlich die erste deutsche Frau ins All zu bringen, bräuchte es aber politischen Willen, den ich im Moment nicht sehe. Obwohl die Gefahr wächst, den Anschluss an die nächste Astronauten-Generation zu verpassen. Dabei geht es um echte wirtschaftliche Interessen. Im Moment ist die Weltraumwirtschaft rund 500 Milliarden Euro schwer. Das wird sich in den nächsten zehn Jahren ungefähr vervierfachen. Bald geht es zum Mond, auch da wird irgendwann sehr viel Geld verdient werden.

Die Raumfahrt wird immer weiter privatisiert. Elon Musk mit Space X ist ein wichtiger Player, der aber nicht besonders vertrauenswürdig handelt.

Das ist ein großes Problem. Wir sind komplett von SpaceX abhängig. In Amerika gibt es im Moment nur SpaceX, um bemannt ins All zu fliegen. Auch der größte Teil aller normalen Satelliten, Telekommunikationssatelliten, GPS, das wird alles mit SpaceX ins All geschafft - obwohl bei Elon Musk Genie und Wahnsinn sehr eng beieinander liegen. Wollen wir uns mal kurz vorstellen, was passieren würde, wenn wir keinen Zugriff mehr auf Weltrauminfrastruktur hätten? Unser gesamtes Kreditkartenzahlungssystem würde zusammenbrechen, weil es auf Signale aus dem All angewiesen ist. Kommunikation, Information, Wetterbericht, Lieferando-Fahrten, Satellitenfernsehen: Alles wäre weg. Und wir können nur dumm aus der Wäsche gucken. Deutschland hat seine Souveränität komplett aufgegeben.

Manche hoffen, dass wir im All einen Ausweichplaneten finden. Sie auch?

Nein. Aber der Versuch, einen zu finden, könnte uns unendliche Möglichkeiten auf der Erde bringen. Wenn Elon Musk es schafft, dass wir auf dem Mars die Atmosphäre verändern und in extrem wasserknappen Umgebungen überleben können, können wir das hier auch. Wir müssen es nur umsetzen.

Ist „Top Gun“ eigentlich ein guter Film?

Ja, richtig gut. Die Charaktere sind drüber, die Fliegerei ist 1A. Die ist schön und sauber gefilmt, kann man wirklich genießen. Tom Cruise hätten wir allerdings gefeuert. Man muss schon ein bisschen bescheiden bleiben, um in dem Job lange zu überleben.


Nicola Winter wird bei der Wirtschaftsnacht Rheinland der „Kölner Stadt-Anzeiger Medien am Dienstag, 29. Oktober, im neuen Confex-Zentrum der Koelnmesse die Keynote halten. Für diese Veranstaltung gibt es keine Tickets.