Kölner Experte erklärtWie Deutschland seine Abhängigkeit von Russland überwinden kann
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Professor Wolfgang Ketter ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität zu Köln.
Köln – „Wenn man sich für Weltpolitik interessiert, sollte man damit beginnen, den Energiefluss zu verfolgen.“ Diesen Ratschlag hat mir einmal eine Weggefährtin für meine Forschung zu Energie und Infrastruktur auf den Weg gegeben. Mit der russischen Invasion in der Ukraine versteht jetzt jeder, was damit gemeint ist. Mehr als 50 Prozent des deutschen Gasverbrauchs stammt aus Russland – wir haben uns ohne Not in eine Abhängigkeit gegeben.
Der Konflikt wird zu schnelleren Investitionen in erneuerbare Energien anregen, und das sollte er auch. Aber es bringt nichts, unkoordiniert die Investitionen in erneuerbare Energien hochzufahren. Das Energiesystem kann nur dann nachhaltig funktionieren, wenn wir gleichzeitig drei andere Themen weiterverfolgen.
Zur Person
Wolfgang Ketter, geboren 1972, ist Direktor des Kölner Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität zu Köln und leitet den Fachbereich Informationssysteme für eine nachhaltige Gesellschaft.
Professor Ketter widmet sich der Grundlagenforschung zu Energiesystemen, Mobilität, und der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Künstlicher Intelligenz. Er berät die Bundes- und Landesregierung sowie die EU-Kommission zu Konzepten für Strom- und Mobilitätsmärkte und ist Fellow des Weltwirtschaftsforum (WEF). (jf)
So kann in einigen Jahren eine sichere und stabile Energieversorgung auch ohne Russland gelingen:
1. Supernützliche Elektrifizierung
Eine Umstellung von Ölheizungen, Warmwasserbereitung mit Gas und benzinbetriebenen Autos auf elektrisierte Varianten bringt mehr Komplexität in den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt. Aber die Politik kann den Bürgerinnen und Bürgern einen besseren Stromservice bieten. Gleichzeitig können Unternehmen ihre Kosten senken und neue Einnahmen erzielen.
Dazu müssen wir in das investieren, was wir „supernützliche Elektrifizierung“ nennen: eine dynamische Preisgestaltung und flexiblere Nachfrage. E-Fahrzeuge laden dann auf, wenn der Strom günstig und verfügbar ist. Kühlhäuser nutzen dann den meisten Strom, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint und greifen sonst auf Batteriespeicher zurück. Das ist komplex, aber ein dezentralisierter Markt mit vielen kleinen Stromproduzenten und weniger Großkraftwerken wird solche Mechanismen benötigen.
2. Bessere Verbundnetz- und Marktpolitik
Zusammengeschaltete Netze sind von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Angebot und Nachfrage über größere Gebiete hinweg auszugleichen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn Nachbarländer in unterschiedlichem Tempo auf erneuerbare Energien umsteigen, solange noch keine effizienten und große Speichermaßnahmen für Wind- und Solarstrom existieren.
Politische Entscheider müssen verstehen, wie sehr sich solche Ungleichheiten auf den Markt auswirken. Der Übergang zur Elektrifizierung und zu erneuerbaren Energien ist äußerst komplex und erfordert eine gute Planung. Die Energiesicherheit kann durch saisonale Speicherung (zum Beispiel Wasserstoff) von erneuerbarem Strom und ein robustes Kommunikationssystem gewährleistet werden.
3. Sichere digitale Infrastruktur
Technisch orientierte Menschen sehen einen Wandel zu einer „Demokratisierung der Energie“: Dezentrale Solaranlagen oder lokal verfügbarer Windstrom könnten einen Stromhandel zwischen Kleinerzeugern auslösen – ohne große Energiekonzerne. Für solche kleinen Energiesysteme muss aber – ebenso wie für die großen, internationalen Netzverbünde – gelten: Die IT- und Kommunikationsnetzwerke müssen sicher sein.
Stellen Sie sich nun einen Angriff auf die digitale Netz-Infrastruktur vor: Hacker-Angriffe könnten die Kommunikation zwischen Energiemärkten und Verbrauchern verhindern. Daraus können sich beängstigende Szenarien ergeben. Deshalb braucht es für die Zukunft eines auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems auch großangelegte öffentliche und private Investitionen in die Telekommunikation, das Breitband-Internet, den Betrieb von Mobilfunknetzen und die Infrastruktur für intelligente Messsysteme.
Der jüngste Cyberangriff auf die „Colonial Pipeline“, bei dem Hacker eine Benzinpipeline im Südosten der USA als „Geisel“ genommen hatten, hat den Markt in einer Region von der Größe Deutschlands nachhaltig gestört.