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„32 Stunden sind die neue Vollzeit“Väter entdecken die Viertagewoche für sich

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Thorsten Daners ist dienstags für seine Kinder da.

Köln – Jeder Dienstag ist für Thorsten Daners (37) ein Luxustag. Dabei ist der Luxus für den Kölner Informatiker vergleichsweise bescheiden: Eine Jogging-Runde im Park oder mal in der nicht überfüllten Stadt in Ruhe shoppen und am Nachmittag Sohn (5) und Tochter (8) aus Kita und Schule abholen. „Heute bei dem schönen Wetter hängen wir vielleicht noch eine Runde im Schwimmbad dran.“

Während Daners an einem ganz normalen Dienstag plantschen geht, finden die Meetings bei seinem Arbeitgeber DocCheck, dem in Ehrenfeld ansässigen Internet-Ärzteportal, ohne ihn statt.

DocCheck-Chef Frank Antwerpes macht gewünschte Arbeitszeiten möglich.

Drei Tage Wochenende, nicht nur zwei

Eigentlich lebt Daners das, wovon viele Arbeitnehmer träumen: Weniger Hamsterrad und mehr Freiheit. Weniger materieller Luxus und mehr Zeitwohlstand, auf den er nicht mehr verzichten möchte, weil er erlebt, wie die gemeinsamen Tage die Bindung zu seinen Kindern stärken. Früher warben die Gewerkschaften mit dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ für die Fünftagewoche. Heute werben selbst US-Konzerne wie Amazon, Google und Facebook damit, dass das Wochenende drei statt zwei Tage dauert. Oder eben ein anderer Tag in der Woche zusätzlich frei ist.

Immer mehr deutsche Unternehmen folgen dem Trend und bieten als Teilzeitmodell die Vier-Tage-Woche an. „Die Zeiten, in denen sich die Arbeitnehmer an Arbeitszeiten anpassen mussten, die sind längst passé“, resümiert Daners’ Chef, der DocCheck-Vorstand Frank Antwerpes. Heute laufe das zumindest in boomenden Branchen und innovativen Unternehmen umgekehrt: „Wenn Sie gute Leute halten wollen, müssen Sie versuchen, die gewünschten Zeitmodelle möglich zu machen“, ist seine Erfahrung. Das binde qualifizierte Mitarbeiter auf positive Art an das Unternehmen. Von den 250 Mitarbeitern seines Kölner Unternehmens – mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren – haben 33 verkürzte Arbeitszeiten.

„32 Stunden sind die neue Vollzeit“

Quer durch Deutschland entscheiden sich zunehmend mehr Hochqualifizierte für weniger Geld und mehr Zeit für Freunde, Familie und für sich selbst. Sie möchten das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit neu justieren, weil sie die schönsten Momente mit dem Nachwuchs nicht nur als Whatsapp-Foto zugeschickt bekommen wollen. „32 Stunden sind die neue Vollzeit“, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin.

Manchmal sind es Zäsuren, wie der 50. Geburtstag, eine Krankheit oder der Tod der eigenen Eltern. Solche Einschnitte machen klar: es ist keine abstrakte Erkenntnis, dass das Leben endlich und das Morgen ungewiss ist. In anderen Fällen ist es das Gefühl, vom Job aufgefressen zu werden, so dass abends die Energie fehlt, zum Sport zu gehen oder ein Musikinstrument zu üben. Bei Georg von Westphalen war es der Leidensdruck, dass Talente, die in ihm schlummern, brach lagen. Der 46-jährige Kölner Mediziner, der ebenfalls Karriere beim Ärzte-Portal DocCheck gemacht hat, ist leidenschaftlicher Comiczeichner. Irgendwann fasste er sich ein Herz und sagte vor ein paar Jahren seinem Chef, dass er nur noch drei Tage arbeiten und zwei Tage Zeit für sein Hobby haben wolle. Der sei zwar nicht begeistert gewesen, wollte ihn als Mitarbeiter aber keinesfalls verlieren und willigte ein.

Prioritäten überdenken

Trotz der finanziellen Einbußen schwärmt er von seinem Modell: „Montags freue ich mich aufs Büro und ab Donnerstag genieße ich es, zuhause zu zeichnen.“ Eine enorme Zufriedenheit und sehr viel Lebensqualität habe ihm diese Entscheidung gebracht. Inzwischen relativieren sich auch die Einbußen, weil er sich als Comiczeichner einen Namen gemacht hat und nebenbei noch aus der Tätigkeit heraus digitale Pinsel entwickelt hat, die sich sehr gut verkaufen. „Oft ergibt sich aus einer mutigen Entscheidung auch etwas ganz Neues.“

Inzwischen ist von Westphalen ein gern gebuchter Referent in Workshops für erfolgreiche Menschen ohne Freizeit, die bewusster leben wollen: Bedarf und Interesse seien riesig, obwohl viele die finanziellen Einbußen in Teilzeit scheuten. Hier wirbt er für mehr Wagnis und das Überdenken von Prioritäten: „Da rate ich, einfach mal zu überlegen, ob ich wirklich das zweite Auto brauche oder drei Mal in Urlaub fahren muss.“

Viertagewoche auch für Arbeitgeber von Vorteil

Auch die Auswirkungen der Arbeitszeit auf die Gesundheit rücken in den Fokus. Wissenschaftler der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kommen in aktuellen Studien zu dem Schluss, dass gesundheitliche Risiken wachsen, je länger die Arbeitswoche dauert. Sie stellten einen Zusammenhang fest zwischen geleisteten Arbeitsstunden und Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Herzbeschwerden. Die Zahl psychischer Erkrankungen gehe mit reduzierter Stundenzahl nachweislich zurück.

Nach Angaben des Wirtschaftsprofessors David Spencer ist die Viertagewoche aber auch für den Arbeitgeber vorteilhaft: Mit ihr stiege auch die Produktivität. Unternehmen, die kürzere Arbeitswochen getestet haben – wie etwa der App-Entwickler Basecamp –, berichten, dass bei ihnen in vier Tagen mehr und bessere Arbeit geleistet wurde als vorher in fünf Tagen, weil die Beschäftigten fokussierter gearbeitet haben. Mitarbeiter mit ausgeglichener Work-Life-Balance seien erholter und könnten deshalb im Job mehr Leistung bringen.

Vier von zehn Beschäftigten arbeiten in Teilzeit

Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten in Teilzeit. Ihr Anteil hat sich seit 1996 fast verdoppelt: Waren 2016 rund 15,3 Millionen Menschen in Teilzeit beschäftigt, betrug die Zahl vor 20 Jahren nur rund 8,3 Millionen. Die Quote stieg laut den Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung seit 1991 von 17,9 Prozent auf 39 Prozent im Jahr 2016. Mittlerweile haben vier von zehn Arbeitnehmern keine Vollzeitstelle mehr.

Weiterhin klein ist dabei der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Männer in Deutschland: Nur neun Prozent der erwerbstätigen Männer zwischen 20 und 64 sind laut Statistischem Bundesamt mit verkürzter Arbeitszeit tätig. Die höchste Männer-Teilzeitquote in Europa haben die Niederlande mit 22 Prozent. Frauen arbeiteten deutlich häufiger in Teilzeit. Im gleichen Altersrahmen waren es laut Eurostat in Deutschland 47 Prozent.