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Kommentar

Kommentar zu Verkehrsversuchen
Der Eingriff in den Straßenverkehr birgt echte Gefahren

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Lesezeit 3 Minuten
Bilder der Deutzer Freiheit unmittelbar nach dem Urteil, das den Verkehrsversuch zur Beruhigung der Deutzer Freiheit vom Autoverkehr aufgehoben hat.

Die Einkaufsstraße Deutzer Freiheit. In einem sogenannten Verkehrsversuch ist hier seit einigen Monaten der Autoverkehr verboten. Nun hat ein Gericht die Regelung gekippt

Die Verkehrswende, und damit auch Verkehrsversuche, dürfen nicht zu Lasten des freien Unternehmertums vollzogen werden, meint unser Autor.

Sind Verkehrsversuche in Köln sinnvoll? Unser Autor Tim Attenberger meint: Gut gemacht könnten sie die Verkehrsplanung in der Stadt maßgeblich voranbringen. Thorsten Breitkopf hält sie generell für gescheitert.

Die Idee, die Verkehrsflüsse einer Stadt wie Köln im Versuch zu testen und dann im Konsens eine neue Lösung mit Vorteilen für alle Verkehrsteilnehmer zu finden, klingt verlockend. Es wird suggeriert, damit würden Anwohner und Passanten mitgenommen, und alle Beteiligten könnten sich einen Eindruck davon machen, was besser klappt und was schlechter.

Doch so einfach ist das nicht. Gravierende Eingriffe in den Straßenverkehr sind leider nicht wie ein Experiment mit Legotechnik, bei dem man bei Nichtgefallen die Bauklötze in der nächsten Spielrunde einfach anders zusammensetzt. Denn Verkehrsversuche haben handfeste Nachteile und bergen echte Gefahren — vor allem was die Verkehrssicherheit betrifft. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Werden Verkehrsflüsse geändert, muss er den Umgang mit einer Straße, einer Kreuzung oder einem Radweg neu erlernen.

Signifikanter Anstieg der Unfallgefahr

Das Kritikwürdige ist dabei nicht das Lernen, sondern das zu zahlende Lehrgeld: Ein signifikanter Anstieg der Unfallgefahr an einem bestimmten Verkehrsknotenpunkt. Das können im geringsten Fall steigende Bagatellschäden sein, im schlimmeren Fall aber sind Menschenleben in Gefahr. So geschehen in Lübeck, wo mehrere Unfälle mit Kindern in der Nähe einer Schule während eines Verkehrsexperiments passierten, weshalb der ADAC dessen Abbruch fordert.

Thorsten Breitkopf

Thorsten Breitkopf

Chef der Wirtschaftsredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Rheinländer hat die Position 2019 übernommen. Breitkopf kommt von der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf, wo er als Wirtschaftsredakteur ar...

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Ein zweiter Aspekt ist die Ressourcenschonung. Sand soll besteuert werden, um den Anreiz zu setzen, Recyclingmaterial zum Bau von Häusern zu verwenden. Aber bei Verkehrsversuchen soll gebaut und gebuddelt werden, nur um eine Interimslösung zu schaffen? Das ist unter dem Aspekt der Ressourcenschonung äußerst fraglich.

Hinzu kommt das Problem mit den Kosten — die echten für den Einsatz von Maschinen, Material, Bauarbeitern. Und die indirekten, volkswirtschaftlichen. Äußerst bedenklich ist es, wenn, wie bei der Deutzer Freiheit gesehen, Händler, Bäcker, Friseure und andere gewerbliche Anrainer ihre Kunden verlieren, wenn denen der Zugang abgeschnitten wird. Dann wird der Verkehrsversuch zur wirtschaftlichen Enteignung. Die Verkehrswende darf nicht zu Lasten des freien Unternehmertums vollzogen werden!

Ein letzter Aspekt ist die Sprengkraft, die ein Verkehrsversuch für das soziale Miteinander hat. Man sieht es in fast jeder deutschen Großstadt: Sobald ein Verkehrsversuch gestartet wird, bilden sich Initiativen und Vereine dagegen, entzweit der Streit Viertel und Stadtgesellschaften.

Zwar versucht die städtische Verkehrsplanung, die Verkehrswende einzuleiten, doch sollte dies nicht ideologiegetrieben sein und die Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausspielen, sondern auf Ausgewogenheit und Realismus setzen. Wie wäre es, offen über Alternativen zu den Verkehrsversuchen nachzudenken? Flugzeugabstürze und Weltraumflüge können am Computer simuliert werden, warum nicht auch Verkehrsversuche? Denn am Ende sind Verkehrsströme vergleichsweise gut als mathematisches Konstrukt zu modellieren. Ohne Verkehrsopfer, ohne Zwist, dazu preiswert und mit geringem Ressourcenverbrauch.