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Kommentar zum AbgasskandalKann sich ein Konzern wie VW in Deutschland alles erlauben?

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Martin Winterkorn (1)

Martin Winterkorn, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen.

Der Abgasskandal ist noch lange nicht vorbei. Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn könnte nun auch der finanzielle Absturz drohen. Langwierige Schadenersatzklagen seines früheren Arbeitgebers stehen womöglich bevor. Ganz abgesehen von Hunderten von Verfahren, die Anleger in vielen Ländern angestrebt haben, um milliardenschwere Entschädigungen zu fordern.

Die Ausmaße dieses Desasters sind bislang nicht absehbar. Wie konnte es so weit kommen? Folgt man der Anklageschrift des US-Bezirksgerichts von Michigan gegen Winterkorn, hat der damalige Konzernboss schon im Frühjahr 2014 entschieden, dass die illegale Abschalteinrichtung für die Motorsteuerung von Dieselautos gegenüber US-Behörden geleugnet und weiter eingesetzt wird.

Ein Maximum an Effizienz um jeden Preis

Der gesunde Menschenverstand sagt eigentlich, dass so etwas auf Dauer nicht gutgehen kann. Dass Winterkorn dennoch so entschieden hat, macht die Denkungsart in der Führungsetage deutlich. Das Streben nach dem maximal technisch Machbaren mit einem Maximum an Effizienz als oberstes Prinzip. Der promovierte Metallphysiker Martin Winterkorn praktizierte dies mit großem ökonomischem Erfolg. Volkswagen ist heute das größte Industrieunternehmen in Deutschland und der größte Autobauer weltweit.

Effizient und technisch machbar war im Falle der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen eine Software, die auf dem Prüfstand den Abgasnormen insbesondere für Stickoxide (NOX) entspricht, im alltäglichen Fahrbetrieb aber abgeschaltet wird, um eine hohe Motorleistung bei günstigen Verbrauchswerten zu ermöglichen.

Dass es dabei keinerlei Unrechtsbewusstsein gab, hat damit zu tun, dass Abgasgrenzwerte nicht ernstgenommen wurden: Als technokratische Schikane von Schreibtischtätern bei der EU-Kommission und von US-Umweltschutzbeamten, die von Motoren keine Ahnung haben. Wie tief diese Mentalität nicht nur bei Volkswagen, sondern in der gesamten Branche verankert ist, lässt sich daran erkennen, dass die Legitimität der Stickoxid-Grenzwerte auch von der hiesigen Autolobby VDA lange massiv angezweifelt wurde – mit dem absurden Hinweis, dass am Arbeitsplatz von Schweißern erheblich höhere NOX-Werte zulässig sind als in der Außenluft von Städten.

Das Betriebswirtschaftlich-Technische dominiert

Das Fatale an dieser Entwicklung: Das Ingenieursdenken hat sich bei Volkswagen bis in die wichtigste Kontrollinstanz, den Aufsichtsrat, durchgesetzt. Damit wird die Sache politisch. Wobei Volkswagen frei von politischen Implikationen gar nicht denkbar ist: Das Land Niedersachsen ist Großaktionär mit Vetorechten bei wichtigen Entscheidungen. Doch diese machtvolle Position wird nicht genutzt.

Stattdessen dominiert das Betriebswirtschaftlich-Technische. Die Aufsichtsräte Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident, und Bernd Althusmann (CDU), Wirtschaftsminister, agieren als oberste Rechtfertiger der Entscheidungen der Ingenieure. Das geht soweit, dass Weil die Nachrüstung älterer Dieselfahrzeugen mit zusätzlichen Katalysatoren zwecks Ertüchtigung einer unzulänglichen Abgasreinigung ablehnt.

Damit stellt sich der Sozialdemokrat gegen Millionen Besitzer von Dieselfahrzeugen und verteidigt ein betriebswirtschaftliches Kalkül, das natürlich mit einem Ingenieur-Argument gerechtfertigt wird: Nachrüstung sei technisch nicht machbar, was im Übrigen längst widerlegt ist.

Diese Kollaboration mit dem Management geht noch viel weiter, hat längst auch Formen einer Doktrin der Bundesregierung angenommen. Noch nicht einmal ein Bußgeld musste das Unternehmen hierzulande für seine Betrügereien zahlen. Die Grundmotivation der Politiker liegt in der enormen wirtschaftlichen Macht von Volkswagen als einem der größten Arbeitgeber im Land.

Kann sich ein Konzern wie VW in Deutschland alles erlauben?

Der neue Konzernchef Herbert Diess, Doktor der Ingenieurwissenschaften, hat gerade auf der Hauptversammlung versprochen, dass Volkswagen „ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger“ werden soll. Man würde ihm gerne glauben, dass der Konzern dies aus eigener Kraft und Überzeugung schafft. Doch massive Zweifel sind angebracht.

Gerade das mehr als wohlwollende Verhalten von Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung beim Abgasskandal kann als weiteres Signal dafür verstanden werden, dass sich eine Konzern wie Volkswagen in Deutschland so ziemlich alles erlauben kann, was politisch und moralisch unakzeptabel ist.

Gerade bei so einer komplexen, aber überaus wichtigen Materie wie dem Umweltschutz hilft wohl nur eine Strategie der Abschreckung, die technisch-instrumentellem Denken Grenzen setzt. Deshalb muss sich die Politik schlicht zu härteren und eindeutigeren Gesetzen und einer konsequenten Ahndung der Vorstöße durchringen. Das erhöht die Chancen, dass sich Skandale von der Güte des Abgasbetrugs nicht wiederholen. Das ist auch deshalb notwendig, weil solch ein Desaster unter ungünstigen Umständen selbst für Riesenkonzerne selbstzerstörerisch wirken und tausende von Arbeitsplätzen zerstören kann.