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Konkurrenzkampf der Online-HautärzteWarum sich Dermanostic und Onlinedoctor vor Gericht treffen

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau schaut auf ein Handy mit dem Schriftzug Dermanostic.

Bei Dermanostic lassen sich viele Hautprobleme nun online lösen.

Wer zum Hautarzt muss, wartet mitunter Wochen bis Monate auf einen Termin. Telemedizin soll überlastete Hautärzte unterstützen und Patienten schneller zu einer Behandlung verhelfen. Doch in der Branche ist ein Konkurrenzkampf entbrannt.

Nach achteinhalb Stunden Sprechstunde setzt sich der Dortmunder Hautarzt Max Tischler an den PC und schaut sich Bilder an. 50 bis 60 Patienten hat er an diesem Tag schon persönlich behandelt, sie kommen mit Schuppenflechte, Ekzemen, Muttermalen. Nun begutachtet er Fotos von Hauterkrankungen – eingesandt von Patienten, die ihre Beschwerden über die Telemedizinplattform Onlinedoctor behandeln lassen und Tischler als Arzt ausgewählt haben. Deutschlands größte Krankenkasse, die TK, zahlt den Service: Er nennt sich Online-Hautcheck, Patienten beantworten einige Fragen, laden Fotos hoch, wählen aus, welcher Arzt die Bilder begutachten soll und warten dann auf Antwort. 24 bis 48 Stunden dauert das, oft geht es schneller.

Streitpunkt: Wer behandelt die Folgefälle?

Die meisten Onlinefälle kann Tischler mit einfachen Mitteln wie einer Cortisonsalbe behandeln, doch ungefähr jeder zehnte Patient muss persönlich vorbeikommen, damit der Arzt genauer hinschauen kann. Die Rechnung geht für ihn auf – aber nur, weil er leichte und schwerere Fälle behandelt. „Wenn ich bei Onlinedoctor einen komplexen Fall sehe und den Patienten einbestelle, weiß ich, ob ich womöglich eine Hautprobe nehmen muss. Dann sorge ich dafür, dass wir bei der Terminvergabe entsprechend Zeit dafür einplanen“, sagt Tischler. Kämen komplexe Fälle von anderen Onlineanbietern, würde es den Arzt deutlich mehr Zeit kosten, da er den Fall nicht kennt.

Genau hier liegt der Knackpunkt: Es gibt nicht nur Onlinedoctor, sondern zahlreiche weitere Anbieter, die Online-Hautchecks anbieten und deren Patienten darauf angewiesen sind, dass ein niedergelassener Hautarzt im Fall der Fälle persönlich auf das Problem schaut. Besonders im Kreuzfeuer steht die vielfach ausgezeichnete Online-Hautarztpraxis Dermanostic, die zuletzt mit dem Deutschen Gründerpreis geehrt wurde.

28 Euro für eine ärztliche Konsultation

Zwei befreundete Ärzte-Ehepaare haben das Düsseldorfer Start-up im Jahr 2019 gegründet, inzwischen beschäftigen sie eigenen Angaben zufolge 22 Hautärzte und haben schon rund 300.000 Menschen behandelt. Eine Sitzung kostet 28 Euro, hinzu kommen die Kosten für Medikamente, die auf einem Privatrezept ausgestellt werden. Im Schnitt sind das 18 Euro, heißt es von Dermanostic. Privatversicherte können sich die Kosten erstatten lassen, auch einige gesetzliche Krankenkassen ersetzen die Behandlungs- oder Medikamentenkosten.

Zum Beispiel die Barmer, bei der rund 8,7 Millionen Deutsche versichert sind, und die den Service von Dermanostic als Teil ihrer Onlineversorgung Teledoktor anbietet. Die Krankenkasse hat mit Dermanostic einen besonderen Versorgungsvertrag und übernimmt somit auch die Kosten von Medikamenten auf Kassenrezept. Voraussetzung sei laut Barmer allerdings, dass die Verordnung medizinisch notwendig ist und das Medikament mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden kann.

Bundesverband übt scharfe Kritik

Seit zwei Jahren betreibt Dermanostic auch eine physische Praxis in Solingen, hier hat das Jungunternehmen seinen Kassensitz. In Solingen arbeiten laut der Firma fünf Hautärzte, die sowohl Vor-Ort-Sprechstunden anbieten als auch Online-Diagnosen stellen. Denn wie bei Onlinedoctor auch gilt bei Dermanostic: Wenn eine Hautveränderung auffällig aussieht, muss der Patient einen Facharzt vor Ort draufschauen lassen. „Das können die Patienten entweder bei einem unserer 300 Ärztepartner tun oder zu uns in die Praxis kommen“, sagt Dermanostic-Mitgründerin und Hautärztin Alice Martin.

Der Bundesverband Deutscher Dermatologen, der seit 2019 strategischer Partner von Konkurrent Onlinedoctor ist und das Tool empfiehlt, übt scharfe Kritik an Dermanostic. Es sei beispielsweise nicht ersichtlich, wer die Fotos bei Dermanostic begutachte und somit sei auch unklar, ob überhaupt der Facharztstandard bei der Einschätzung des Hautproblems erreicht wird, schreibt der Verband.

Dermanostic weist die Kritik als Falschaussage zurück: „Alle bei Dermanostic behandelnden Ärztinnen und Ärzte sind Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Auch wird im Arztbrief immer der behandelnde Facharzt mit Namen genannt, dies ist eine gesetzliche Vorschrift, und auf das entsprechende Arztprofil auf unserer Website verlinkt.“ Bei der Telemedizin gilt wie in physischen Praxen: Es dürfen ausschließlich Fachärzte die Patienten behandeln.

Nicht-digital zu lösende Fälle landen im unterfinanzierten GKV-System

Der BVDD ging sogar so weit, dass er in einem Rundschreiben Hautarztpraxen bundesweit vor der Zusammenarbeit mit Dermanostic gewarnt hat. Ein Kritikpunkt sind nämlich die Folgefälle: Wenn die digitale Einschätzung nicht ausreicht, landen Patienten in den ohnehin schon überlasteten Hautarztpraxen - und dann mitunter bei Ärzten, die mit Dermanostic in keiner vertraglichen Verbindung stehen.

So wie bei Max Tischler aus Dortmund: Pro Patient gibt es als Grundvergütung 17 bis 21 Euro pro Quartal, berichtet der Hautarzt - egal ob die Untersuchung fünf oder fünfzehn Minuten dauert. Doch immer öfter kommen auch schwere Fälle, die bei Onlineanbietern beraten wurden und nun Tischlers Hilfe brauchen. Zehn bis 20 solcher Fälle hätte er eigenen Angaben zufolge schon behandelt, die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. „Dann geht die Rechnung schon nicht mehr auf“, sagt er. „Praxen, die grundversorgende Dermatologie anbieten, brauchen auch leichte Fälle, damit es sich wirtschaftlich trägt.“ Das hat auch etwas mit vorab festgelegten Budgets zu tun: Ärzte können pro Quartal eine gewisse Anzahl an Behandlungen und Medikamenten abrechnen. Kommen nur deutlich mehr komplexe Fälle als einkalkuliert, wird die Rechnung problematisch.

Eine Klage jagt die andere

Auch die Zertifizierung telemedizinischer Angebote sorgt für Ärger. Dermanostic ist zwar als Medizinprodukt ausgewiesen, allerdings nur in der Risikoklasse I. Dagegen hatte Onlinedoctor geklagt, der Fall landete vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg und nach einem Jahr Rechtsstreit war klar: Dermanostic müsste mindestens als Medizinprodukt der Risikoklasse IIa zertifiziert sein, um seinen Service in dieser Form anzubieten. Ist das nicht der Fall, müsste das Produkt vom Markt genommen werden.

Daraufhin hat Dermanostic seine App abgeschaltet, angepasst und mit neuer Programmierung und Darstellung wieder an den Start gebracht. „In der alten App war der Anamnesefragebogen dynamisch, das heißt bei Kindern unter zwölf Jahre wurde zum Beispiel nicht die Frage nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr gestellt. Das Gericht hat dies bereits als medizinische Eigenleistung der App gewertet“, heißt es vom Unternehmen. Die neue App stelle nun jedem Patienten alle Anamnesefragen, „unabhängig der medizinischen oder logischen Sinnhaftigkeit“. Inwiefern dieses Vorgehen dem Patienten helfe, sei Dermanostic nicht klar. „Die Hintergründe sind allerdings wahrscheinlich weniger der Sicherheit der Patientin wegen, sondern strategischer Natur unseres Wettbewerbers“, so das Unternehmen.

Dürfen Ärzte zum Pauschalpreis behandeln?

Und auch vor dem Landgericht Düsseldorf musste sich Dermanostic verantworten. Die Wettbewerbszentrale hatte geklagt, dass ein Pauschalpreis mit den Vorgaben der ärztlichen Gebührenordnung nicht vereinbar sei. Laut Gesetz dürfen Ärzte keine Bezahlung verlangen, bevor sie die Leistung nicht erbracht haben. Das Gesetz sagt aber auch, dass bei Online-Einkäufen der Preis vor dem Kauf feststehen muss - ein Dilemma für die Telemedizin. „Hier betreten wir als Telemedizin-Anbieter tatsächlich Neuland. Beide Gesetze widersprechen sich, und es gibt schlicht noch keine Lösung für Telemedizin-Anbieter“, heißt es von Dermanostic.

Diese Herausforderung betreffe nicht nur Dermanostic, sondern den kompletten Markt. „Darum führen wir hier einen Musterprozess für die gesamte Branche, der vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf fortgeführt wird. Wir sind gespannt auf den Ausgang und hoffen auf eine abschließende Klärung, die uns als Unternehmen Rechtssicherheit gibt.“ Es geht also in den nächsten Akt.