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Narr, FraschtlerinDiese zehn Berufe gibt es nicht mehr

Lesezeit 6 Minuten

Schon im Mittelalter fand eine deutliche Aufspaltung des Lederergewerbes nach den unterschiedlichen Gerbverfahren statt.

„Die meisten unserer Vorfahren haben ihr Leben lang Tätigkeiten ausgeübt, von denen wir nichts mehr wissen. Die rapide Veränderung der Arbeitswelt hat Hunderte von ausgestorbenen Berufen hinterlassen.“ Mit diesen Worten leitet Rudi Palla sein Buch Verschwundene Arbeit – Das Buch der untergegangenen Berufe“ (Brandstätter Verlag) ein.

Darin stellt der österreichische Filmemacher und Schriftsteller alte Berufsbilder vor, die es entweder gar nicht oder nicht mehr in dieser Form gibt. Ergänzt werden die Beschreibungen mit historischen Fotos, Stichen und Lithografien.

Wir stellen aus dem Buch einige gefährliche, verruchte und kuriose Berufe und Handwerke der Vergangenheit vor:

Allesschlucker

Glasscherben, Sägespäne, weiße Mäuse oder Nägel: Nichts war vor den Mägen dieser speziellen Entertainer sicher. In Manegen und Vergnügungsetablissements verblüfften Allesschlucker ihr Publikum, zum Beispiel gab es den „Mann mit dem Straußenmagen“, der Petroleum trank, barfuß auf Scherben lief und und als Höhepunkt der Show seinen kahlen Kopf in einen Haufen messerscharfer Glassplitter steckte.

Fratschlerinnen

„Fratscheln“ bedeutet abfragen, ausholen. Auf den Plätzen und Straßen in Wien traf man die Fratschlerweiber, Bolettenweiber oder Hökerinnen genannten Marktfrauen. Sie boten Gemüse, Obst, Kräuter, Milch, Eier und Geflügel an – und beeindruckten durch ihr scharfes und reizbares Mundwerk. Man charakterisierte die Weiber als „frech, unverschämt, zudringlich, betrügerisch, grob und lästersüchtig“. Als Zwischenhändlerinnen trieben die Frauen häufig die Preise in die Höhe.

„Kaum tritt ein Landmann mit Obst, mit Gemüse usw. in die Stadt“, empörte sich Schriftsteller Johann Pezzl, „und macht Miene, es selbst zu verkaufen, so umringt ihn dieses Weibergepack, neckt ihn, schimpft ihn, verlästert seine Ware und läßt nicht nach, bis es ihn dahin gebracht hat, aus Verdruß dieselbe an die Ständelfurien abzugeben. Diese nehmen es ihm um kleine erpreßte Preise ab und verkaufen es der Stadt um gedoppelt hohes Geld.“

Fischbeinreißer

Diese Handwerker verarbeiteten die äußerst elastischen Hornplatten des grönländischen Bartenwales („Barten“). Die von Speck und Hautteilen gereinigten und gespaltenen Barten wurden in heißem Wasser eingeweicht, in die Werkbank gespannt und mit hobelartigen Messern zu verschiedenen Nutzstücken zersplissen: zu Streben für Sonnen- und Regenschirme, zu flachen Streifen für Damen-Mieder, zu dünnen Ruten zum Einlegen in Damenhüte, zu Stöcken, Reitpeitschen, feiner Korbware und Galanterie-Artikeln.

Die Schabspäne, also jene bei der Bearbeitung abfallenden Fasern, wurden wie Roßhaar als Polsterungsmaterial verwendet. Enorme Mengen Fischbein verschwanden in der Zeit des Rokoko in den mächtigen Reifröcken und panzerartigen Schnürbrüsten der Damen.

Gerber

Auch Lederer genannt, verarbeiteten Gerber tierische Häute und Felle mit Gerbstoffen zu Leder. Weil sie viel Waser für die Arbeit brauchten, lagen die Häuser der Lederer üblicherweise an Flüssen oder Bächen, was zu stark verschmutzten Gewässern führte. Der üble Gestank, der von Gerbereien ausging, zwang sie häufig zur Ansiedlung am Stadtrand oder in bestimmten Quartiere bzw. Straßen. In Prag wurden die Lederer im Spätmittelalter schlicht als „Stänker“ verunglimpft.

Die Arbeit der Lederergesellen war anstrengend und gefährlich, viele erkrankten an tödlichen Milzbrandinfektionen. Beim Arbeiten in den Kalkäschern litt die Haut an den Händen durch die ätzende Wirkung des Kalkes, und das lange Stehen im kalten Wasser und die Feuchtigkeit führten zu chronischen Erkältungen und rheumatischen Leiden.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts ging die handwerkliche Produktion zurück. Immer mehr Lederfabriken entstanden, die mit neuen Verfahren den Gerbprozess immer mehr verkürzten. Auch machte die Mechanisierung und Arbeitsteilung die gelernten Gerber entbehrlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was es mit Planetenverkäufern, Laternenanzündern, Nagelschmieden und Narren auf sich hat.

Hofnarren

Narren waren bereits im Altertum fixer Bestandteil des fürstlichen Aufwandes, des Stolzes, der Prahlerei und der Belustigung ihrer Herren. Nach den Kreuzzügen verbreiteten sich die Spaßmacher in ganz Europa, und seit dem 15. Jahrhundert gehörten sie zu jedem vollständigen Hofstaat. Mal waren es feingebildete witzige Hofleute oder Männer von gelehrter Bildung, die das Vorrecht („Narrenfreiheit“) hatten, durch beißenden Witz und geistreichen Tadel zu unterhalten und zu geißeln.

Oder es waren Krüppel, Zwerge oder Idioten, über die man sich lustig machte. Renaissance- und Barockfürsten übertrafen einander gelegentlich an „amüsanten“ Einfällen: Zwerge wurden zum Beispiel in Pasteten und Kuchen versteckt, bei Tisch aufgetragen und sprangen dann, der Gelegenheit entsprechend, heraus.

Laternenanzünder

Sie zündeten bei Einbruch der Dunkelheit die Straßenbeleuchtung ein, als man in Wien Laternen einführte, die zunächst mit Öl und ab 1839 mit Gas betrieben wurden. Im Jahr 1688 verfügte der Kaiser die öffentliche Straßenbeleuchtung. Neunzig Jahre später führte Joseph Freiherr von Sonnenfels als Direktor der „Illuminationsanstalt“ eine neue Öllampe ein.

Eine Truppe von Lampenknechten, sogenannte „Ölerer“, waren für die Wartung der dreitausend Lampen zuständig. Zu den Pflichten der Laternenanzünder, wie sie bald hießen, gehörte es auch, zu sorgen, dass den Laternen „von muthwilligen Frevlern und betrunkenen Leuten kein Schaden zugefügt“ wurde. Ab 1912 wurden die Gaslaternen mit Zeitautomaten versehen, und Mitte der 1920er Jahre begann der Übergang zur elektrischen Straßenbeleuchtung.

Nagelschmiede

Diese Handwerker waren auf die Anfertigung von Nägeln aus zähem Nagel- oder Krauseisen spezialisiert. Der Nagelschmied bediente sich außer des Handhammers nur einiger einfacher Werkzeuge. Das rotglühende, auf die erforderliche Dicke ausgeschmiedete Nageleisen wurde am Amboß mit dem Nagelhammer zugespitzt und das andere Ende über dem Blockmeißel, der im Amboßstock steckte, abgeschlagen.

Mit einer Federzange faßte der Schmied nun den heißen Nagel, steckte ihn mit der Spitze nach unten in das Nageleisen oder in eines der verschiedenen Löcher im Amboß und schmiedete mit wenigen Schlägen den Nagelkopf aus. Ein kräftiger Schlag neben das Nageleisen ließ den fertigen Nagel aus dem Loch springen. Die Blasebälge der Schmiedeherde wurden meist getreten, aber auch durch Treträder, in denen Hunde liefen, bewegt.

Planetenverkäufer

Unterwegs in den Straßen Wiens verkauften sie „Glücksbriefchen“, sogenannte „Planeten“, die mehrere Lotterienummern enthielten, die der Käufer dann im Lotto setzen konnte. Die Attraktion der Planetenverkäufer war, dass die Briefchen in einer Art Bauchladen steckten und von einer weißen Maus oder einem Papagei herausgezogen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die „Glücksbringer“ nur mehr selten in den Straßen anzutreffen: Den letzten sah man in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Wagner

An der Herstellung von Wagen und Kutschen waren immer mehrere Handwerker unterschiedlicher Profession beteiligt. Die Arbeit des Wagners (auch Stellmacher genannt) bestand darin, die Räder, die Gestelle und die Wagenkästen aus Hölzern anzufertigen. Das Handwerk des Wagners war früher unterteilt in Gestell- und Radmacher. In der Landwirtschaft verwendete man relativ leicht gebaute Karren sowie Leiter- und Kastenwagen, während die im Ferntransport eingesetzten Frachtwagen größer und schwerer waren.

Wollschläger

Diese reinigten und lockerten die Wolle durch Schlagen mit dem Wollbogen, um die zusammenhängenden Fasern zu trennen und mehr zu verteilen. Zum Teil übernahmen sie (in Straßburg und Speyer) auch die nachfolgende Bearbeitung: Die Wolle wurde gleichmäßig geölt, damit sie für das Spinnen weich und geschmeidig wurde, und dann mit dem Wollkamm (Krempel) gekämmt, gestrichen oder „kardätscht“.