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Neuer Chef des Leverkusener KonzernsDer Skater Bill Anderson soll Bayer führen

Lesezeit 4 Minuten
Bill Anderson, neuer Chef / Vorstandsvorsitzender der Bayer AG

Bill Anderson, neuer Chef der Bayer AG

Bill Anderson fuhr bis zu einer Verletzung Skateboard, klettert und ist Snowboarder. Bei Bayer steht er für einen Systemwechsel. Sein erster Auftritt war erstaunlich.

Als Bill Anderson an seinem zweiten Arbeitstag erstmals vor Journalisten tritt, ist so vieles anders als bei seinem Vorgänger Werner Baumann. Die Journalisten sind schon da, an Stehtischen mit Kaffee. Anderson betritt den Raum als Letzter, ohne Tamtam, ohne Chefallüren. Die Reporter begrüßt er per Handschlag. Als „Bill“ stellt Anderson sich vor, und nennt die ihm allesamt fremden Redakteure wie selbstverständlich beim Vornamen.

Pullover und Turnschuhe statt Schlips

Anderson trägt zwar einen Anzug, aber nicht, wie man ihn vom Chef eines Dax-Konzerns kennt. Ein Großteil der Journalisten ist staatstragender gekleidet als er. Selbstverständlich trägt er keine Krawatte, nicht mal ein Hemd mit Kragen, sondern einen legeren Pullover, schwarze Turnschuhe. Den Anwesenden soll das zeigen: Der Führungswechsel bei Bayer ist eine Kehrtwende.

Seine Vorstellung übernimmt der baldige Bayer-Chef selbst. Sein Vorgänger Werner Baumann war sprach in großen Journalistenrunden schon mal betont leise, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Alte Managerschule. Bei Anderson ist es anders. Er steht wie ein Lehrer vor der Journalistenklasse und erzählt aus seinem Leben, stellt immer wieder Fragen ins Publikum.

Wenn es auf der Farm ein Problem gibt, wer muss es lösen? Der Farmer. Oder seine Kinder
Bill Anderson, baldiger Bayer-Chef

Geboren wurde er 1966 in Ohio im Bundesstaat Texas. Dieses Ohio ist keine eigene Gemeinde, sondern ein Örtchen im Hamilton County, das in Gänze nur 8000 Einwohner hat. Der neue Bayer-Boss ist vom Dorf. Ein Bild, das Anderson wichtig scheint. Sein Vater, nach seiner Aussage in Armut in der Zeit der großen Depression groß geworden. Seine Mutter vom Bauernhof. Und er von Kindheit an erfinderisch und agil. „Wenn es auf der Farm ein Problem gibt, wer muss es lösen?“, fragt Anderson in die Runde? Die Antwort gibt er selbst: „Der Farmer. Oder seine Kinder.“

Als Kind habe ihm sein Vater, selbst Chemiker, erlaubt, die Tomaten aus dem Garten zu verkaufen, um das Taschengeld aufzubessern. Daran hätten sich die Dorfbewohner noch erinnert, als Anderson ein Teenager war. Anderson, ein angestellter Manager, sieht sich als Unternehmer. Er spricht viel von „Ownership“, vom Denken wie ein Eigentümer. So sieht er auch die deutsche Mitbestimmung positiv. Betriebsräte und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat seien ein Teil dieses Ownership-Gedankens, der Sinn stifte und Bayer nach vorne bringen könne.

Bill, der eigentlich William Anderson heißt, studierte Chemieingenieurwesen und Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität von Texas in Austin. 1989 startete er als Prozessingenieur bei der Ethyl Corporation, nicht in seinem Heimatland, sondern in den Niederlanden und später in Belgien. Danach wechselt er zu Biogen und Genentech, mal in den USA, mal in Großbritannien. Vor zehn Jahren wechselte Anderson zum Pharmakonzern Roche, arbeitete halb in Basel, halb in Amerika.

Auch Vorgänger Baumann hat einen internationalen Lebenslauf. Doch Anderson, zweiter Ausländer an der Spitze von Bayer, steht deutlich mehr für Internationalität als Baumann, Krefelder und Bayer-Hausgewächs.

Zur Geschäftspolitik des Konzerns sagt Anderson bislang wenig. Fragen dazu weist er höflich zurück. „Wie soll ich an meinem zweiten Arbeitstag dazu etwas sagen können?“ Nur wenig lässt er sich entlocken. Bayers Einzelteile sollen Analysten zufolge bis zu 100 Milliarden Euro wert sein, der aktuelle Börsenwert liegt bei unter 60 Milliarden. Daher steht eine Zerschlagung immer im Raum. Dazu gefragt, deutet Anderson nur vage an, er halte sich alle Optionen offen.

Porträt von Bill Anderson, ab Sommer 2023 Chef von Bayer

Bill Anderson wird ab Sommer 2023 als Vorstandsvorsitzender von Bayer fungieren.

Lieber redet Bill Anderson übers Private, drei Kinder hat er und ist verheiratet. „Ich fahre Snowboard, klettere gerne und bin Ex-Skater“. Bei einer Pressekonferenz erschien er einmal mit einem Gipsbein nach einem Skateboard-Unfall. Wohl der Grund für die Aufgabe des Hobbys. Dennoch traut man dem schlanken, sportlich wirkenden Mann zu, dass er all diese Sportarten beherrscht. Auch vom Schwimmen im Rhein bei Basel erzählt Anderson gerne, wohlwissend, dass der Fluss dort ein reißender Strom und das Schwimmen darin lebensgefährlich ist.

Doch Anderson ist kein Aufschneider, eher der Kumpel-Typ. Bei Bayer steht er vor großen Herausforderungen. Die Monsanto-Übernahme seines Vorgängers Werner Baumann hat den Konzern schwer belastet. Viele halten sie für einen Fehler. Noch drohen Bayer gigantische Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit dem Herbizid Glyphosat in den USA. Der Amerikaner dürfte wissen, wie riskant solche Schadenersatzprozesse in seinem Heimatland sind. Doch Anderson hat sich zu Bayer und Leverkusen bekannt. Dort lebt er zunächst, und sucht dann im Rheinland. Parallel hat er versprochen, Deutsch zu lernen. Bislang spricht er Englisch mit Kollegen und Journalisten. Am 1. Juni tritt Anderson die Nachfolge von Werner Baumann als Chef von Bayer an.