Pirate Summit in KölnStart-up-Gründer auf der Suche nach dem Goldschatz
Köln – Manuel Koelman verbirgt seine Augen am Donnerstagvormittag hinter einer dunklen Sonnenbrille. Womöglich trägt sie der Gründer des Pirate Summit als Schutz gegen die wenigen, kaum die Wolken durchdringenden Sonnenstrahlen, vielleicht aber auch, weil die Partynacht im Odonien so lang war. Was es auch ist – es hindert Koelman nicht daran, sein Ideal eines Start-up-Gründers überschwänglich auszubreiten.
Gründer treibe das gleiche an wie Piraten, die schließlich Namensgeber dieser Start-up-Konferenz sind: „Ein Pirat wagt das Risiko und sticht einfach in See, mit unbekanntem Ziel. Er lässt alles hinter sich und sagt, ich breche jetzt auf, weil ich das Abenteuer und die Freiheit liebe.“ Auch wenn er vielleicht nicht direkt einen Goldschatz finde, so Koelman, sei das Abenteuer trotzdem cool und es wert, nochmal von vorne zu beginnen. „Irgendwann klappt es – und dann findet der Pirat den Schatz.“
Köln soll als Heimat des Events stärker wahrgenommen werden
Jedes Jahr treffen sich Start-ups und Investoren zum Pirate Summit im Kölner Szene- und Kunstclub Odonien. 2018 sind es mehr als 1000 Menschen. Die Konferenz, die von Dienstag bis Donnerstag dauerte, ist eine der renommiertesten ihrer Art weltweit. Erstmals steigt das Event in diesem Jahr im Juli, seit der Gründung 2011 fand es zweitägig im September statt.
Koelman und sein Mitgründer Till Ohrmann haben das Konzept in diesem Jahr etwas verändert: Es gibt überhaupt keine Podiumsdiskussion mehr, stattdessen kleinere Runden, bei denen Redner und Zuhörer diese strenge Trennung aufbrechen und viel miteinander diskutieren. Ein weiteres Format, das ausgeweitet wurde, sind die Clinics: Zu diesen Runden können Gründer ihre Probleme und Herausforderungen mitbringen; Experten geben ihnen Tipps und überlegen gemeinsam mit den Gründern, wie die Probleme gelöst werden können.
Neu sind auch Touren zu Kölner Start-ups und Unternehmen – Köln soll stärker als Heimat dieser besonderen Veranstaltung wahrgenommen werden, auch die lokale Gründerszene soll profitieren. Eine Untersuchung hatte im letzten Jahr ergeben, dass hier noch Nachbesserungsbedarf besteht: Obwohl der Pirate Summit ein sehr hohes Ansehen in der Gründerszene hat, bekam Köln davon bislang wenig ab.
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Die aus aller Welt angereisten Gründer tauschen sich untereinander aus und sind auf der Suche nach Projektpartnern für ihre Neugründungen und talentierten Mitarbeitern. Vor allem aber suchen sie Kontakt zu Geldgebern, die sie von ihren Produkten überzeugen können. Die Investoren wiederum bringen das große Geld mit, löchern die Gründer mit Fragen und müssen so entscheiden, wie lohnenswert es ist, sich weiter mit einer Idee zu beschäftigen.
Viele wichtige Risikokapitalgeber haben ihre Mitarbeiter nach Köln geschickt: Der High-Tech Gründerfonds ist mit mehreren Investment Managern vertreten, die Maschmeyer Group von Carsten Maschmeyer ebenso. Auch Earlybird aus Berlin ist gekommen, erst vor wenigen Tagen haben sie einen neuen Investmentfonds mit einem Volumen von 175 Millionen Euro aufgelegt.
Fünf Hausregeln gelten für alle
Was auch der Hintergrund der einzelnen Teilnehmer sein mag, für alle gelten im Umgang miteinander die gleichen fünf Hausregeln: 1. Vornamen benutzen, 2. Jeder ist ein VIP, 3. Kein Bullshit – erzählt keinen Schwachsinn, 4. Gib, gib, gib, frage, 5. Arrr! Die fünfte Regel ist nicht nur ein Aufruf, dem Piraten-Ideal nachzueifern, sondern gibt auch den Beifall wieder, der nach guten Auftritten gezollt wird: Ein paar wenige klatschen, die meisten knurren und rufen „Arrr“.
Piraten-Outfits sind ausdrücklich erwünscht: Viele Besucher tragen eine Augenklappe, manche Papp-Papageien auf der Schulter. Aleksandrs Svaikovs hat sich noch mehr Mühe gegeben: Der lettische Gründer einer Software-Firma trägt einen großen Piraten-Hut, später hat er noch einen Auftritt vor Investoren und wird sich dafür eine Freibeuter-Jacke überwerfen und ein Auge mit einer Augenklappe verdecken.
Am Vormittag aber sitzt er in 1-zu-1-Meetings mit Investoren, er braucht eine Anstoßfinanzierung von 250.000 Euro, damit sein Geschäft wachsen kann. Überall sonst würde Svaikovs' Piratenkluft Geschäftspartner wohl eher vergraulen, auf dem Pirate Summit gehört sie zum guten Ton.
Tickets kosten 300 bis 900 Euro
Thierry Zois, halb Luxemburger halb Grieche, ist für den niederländischen Risikokapitalgeber Finch Capital im Odonien. Das Unternehmen hat Büros in Amsterdam, London und Singapur und investiert in Frühphasen-Start-ups aus Europa und Südostasien. „Zwei bis fünf Millionen Euro geben wir jeweils, das ist unser Sweetspot“, sagt Zois. Er ist zum dritten Mal beim Pirate Summit und schätzt die Atmosphäre: „Es ist sehr entspannt hier und weniger hochnäsig als andere Events dieser Art“, sagt Zois. Die Organisatoren hätten zudem einen super Job bei der Auswahl der Teilnehmer gemacht.
Die Tickets, die zwischen 300 und 900 Euro kosten, gibt es nicht einfach so zu kaufen. Wer beim Pirate Summit dabei sein will, muss sich bewerben. So reicht es zum Beispiel für Start-ups nicht aus, wenn sie eine bloße Geschäftsidee haben. Es muss schon einen Prototypen geben, Partnerschaften oder Kunden. Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, bleibt draußen. Das klingt hart, soll aber die Qualität der Veranstaltung sichern. Thierry Zois zufolge gelingt das: „Es ist sehr leicht, hier die richtigen Leute zu treffen.“
Die richtigen Leute, das sind für Zois in diesem Fall Risikokapitalgeber aus Deutschland. Finch Capital möchte den deutschen Markt für sich erschließen und dafür mit deutschen Firmen kollaborieren. Zois ist darüber hinaus aber auch Juror beim Pitch-Wettbewerb „Walk the Plank“, einem Herzstück des Pirate Summit : Gründer von 74 Start-ups aus 27 Ländern buhlen dabei um Aufmerksamkeit und Investoren. Sie steigen wie auf einem Piratenschiff auf eine Planke und haben drei Minuten Zeit für ihren Vortrag, weitere drei Minuten gibt es für Fragen der Investoren-Jury. Die interessieren sich für Erlöse, mögliche Wettbewerber, Kundenakquise und Marketing-Strategien.
Kölner Start-up im Finale
Auch Start-ups aus dem Rheinland haben sich für den Wettbewerb qualifiziert, zu ihnen gehört Adbonitas. Marcus Wille und seine Mitgründer wollen mit ihrem Start-up mit Künstlicher Intelligenz gegen Online-Werbebetrug durch kriminelle Hacker kämpfen. Der High-Tech Gründerfonds hat vor zwei Jahren in Adbonitas investiert, drei Kölner Business Angels sind ebenfalls eingestiegen. Die Gründer um Marcus Wille wollen im Herbst 2018 in der nächsten Finanzierungsrunde 2,5 Millionen Euro einsammeln, der Pirate Summit ist ein wichtiger Termin, um dem Ziel näherzukommen.
Seinen Pitch hat Wille zuvor häufig geübt, für Gründer gehören diese Vorträge inzwischen zum kleinen Einmaleins. Aber als Wille auf der Bühne steht, kommt er kurz ins Stocken – der Pitch gelingt ihm nicht so, wie er sich das vorgestellt hat, und dann geht ihm auch noch die Zeit aus. Nach den Investorenfragen geht der Kölner hinter die Bühne und lässt sich auf eine Bierbank sacken: „Mann, das war nichts.“ Sein Co-Gründer Jost Löhnenbach versucht ihn zu trösten, so schlecht sei es doch nicht gewesen. Eine Viertelstunde diskutieren die Geschäftspartner, woran es gelegen hat, dass es nicht so rüberkam, wie auf der Audio-Aufnahme, auf der Marcus Wille den perfekten Pitch festgehalten hat. Zum Beweis spielt er sie auf seinem Smartphone vor.
Er und Löhnenbach, der eine etwas enttäuschter als der andere, rechnen in diesem Moment auf keinen Fall mit der Mitarbeiterin des Pirate Summit, die die beiden Männer von der Seite anspricht: „Habt ihr schon eure Mails gelesen? Ihr seid im Finale.“ Eine gute Stunde später ist Wille auch mit seinem Auftritt im Finale nicht ganz zufrieden, aber im Gegensatz zu 64 anderen Start-ups hat es Adbonitas überhaupt so weit geschafft.
Cognigy aus Düsseldorf ist erfolgreich
Einen der stärksten Final-Pitches legt Martina Yazgan vom Düsseldorfer Start-up Cognigy hin. Das Unternehmen, bei dem sie 2016 wenige Monate nach der Gründung eingestiegen ist, hat eine Software entwickelt, die die Programmierung von Sprachassistenten ohne Spezial-Kenntnisse ermöglicht. 1,2 Millionen Euro gab es bei der ersten Finanzierungsrunde Ende 2017, nun wollen die Düsseldorfer zehn Millionen Euro einsammeln, um zu wachsen.
Yazgan ist auf der Bühne sehr selbstsicher, eine Piraten-Augenklappe auf den Kopf gebunden, weiß sie jede Frage der Investoren zufriedenstellend zu beantworten. Der Lohn ist zwar nicht der Gesamtsieg, aber sie erhält einen Sonderpreis. Einer der Investoren in der Jury ist so begeistert, dass er Cognigy ein persönliches Coaching schenkt. „Ich bin super glücklich damit“, sagt Yazgan.
Gebaut, um verbrannt zu werden
Stunden später, die Sonne ist inzwischen untergegangen, beginnt die berüchtigte Pirate-Summit-Party. Odo Rumpf, der die Skulpturen des nach ihm benannten Odonien konstruiert hat, hat einen rund sechs Meter großen Holz-Piraten gebaut. Der erfüllt nur einen Zweck: Verbrannt zu werden.
Manuel Koelman und Till Ohrmann stehen auf einer der Stahlskulpturen und halten gemeinsam eine Rede zur vierten Hausregel – Gib, gib, gib, frage. Es geht um die Kraft der Gründer-Gemeinschaft und darum, sich gegenseitig zu dienen und zu fragen, wie man dem anderen weiterhelfen kann. Die Gründer, die zu Füßen der Pirate-Summit-Macher jubeln und immer wieder „Arrr“ rufen, lassen sich mitreißen, sie feiern und tanzen. „Heute verbrennen wir die Kräfte, die nur nehmen, ohne selbst etwas zu geben“, ruft Koelman. In diesem Moment steht er wie der Anführer eines Kultes über der Menge und heizt sie an.
Koelman gibt ein Zeichen. Daraufhin wird der Holz-Pirat mit einem Flammenwerfer in Brand gesetzt. Eine Live-Band spielt, der Alkohol fließt, Gründer und Investoren sind im Rausch nicht mehr zu unterscheiden. Nach all den harten Geschäften des Tages ist jetzt Party angesagt.