Pro und Contra Fracking„Wollen wir auch im Januar noch frieren für den Frieden?“
- Vor zehn Jahren diskutierte NRW schon mal heftig darüber, Fracking zur Erdgasgewinnung einzusetzen. In der Energiekrise will Wirtschaftsminister Pinkwart diese Idee nun wieder ergebnisoffen prüfen.
- Ist das eine gute Idee? Unsere Autoren streiten.
Thorsten Breitkopf und Peter Berger streiten übers Fracking. Breitkopf findet Fracking nicht schön, aber angesichts der Alternativen eine Technik, die man in dieser Lage prüfen muss. Berger hält es dagegen für eine im Wahlkampf geborene Schnapsidee.
Pro: Es muss alles getan werden, um einen dauerhaften Mangel an Gas zu vermeiden.
Fracking ist umstritten, keine Frage. Diese Art Förderung von Erdgas birgt Risiken für die Umwelt und die Gesundheit. So wie eigentlich jede Gewinnung von Rohstoffen zur Energiegewinnung. Die Steinkohlebergwerke im Ruhrgebiet bergen Ewigkeitslasten, bis die Tagebaue im Rheinischen Revier sich füllen, werden Jahrzehnte vergehen mit nicht absehbaren Folgen für Grundwasser und Umwelt.
Es gibt keine wirklich saubere Form der Energiegewinnung. Die Batterien von Solarzellen brauchen seltene Erden, die in schmutzigsten Tagebauen gefunden werden, in Ländern mit niedrigsten Umwelt- und Sicherheitsstandards. Selbst Windräder haben negative Folgen für Menschen in der Nachbarschaft oder etwa den Rotmilan.
Die Sache mit der Ablehnung des Frackings in unserem Land ist zutiefst von einer doppelten Moral geprägt. Fracking in NRW oder Niedersachsen? Bitte nicht, das ist ungesund. Frackinggas per Rohölbetriebenem Schiff 9000 Kilometer aus Amerika importieren? Ja bitte. Und dabei muss das Gas auch noch erst verflüssigt und dann wieder gasförmig gemacht werden, was wieder viel Energie frisst.
Auch für das E-Auto brauchen wir Gas
Wenn wir uns, freiwillig oder erzwungen, von russischem Gas verabschieden, dann brauchen wir eine Alternative, die heute schon funktioniert. Auch angeblich umweltfreundliche Fahrzeuge mit E-Antrieb etwa brauchen Aluminium, weil es leicht ist. Und das können wir aktuell nur herstellen, wenn wir große Mengen an Gas verbrennen. Wenn wir dieses Gas nicht mit Zahlungen an eine kriegführende Nation bekommen wollen, brauchen wir viele Alternativen. Auch andere Nachbarn liefern Gas, Norwegen, die Niederlande, aber eben nicht genug.
Wenn wir unsere Art zu Leben halbwegs aufrecht erhalten wollen, sind wir auf Erdgas zumindest als Teil unseres Energiemixes angewiesen. Eine vollständige Versorgung mit Erneuerbaren Energien ist – leider – noch Zukunftsmusik. Dort werden wir hinkommen, aber erst langfristig.Es muss alles getan werden, um einen dauerhaften Mangel an Gas zu vermeiden. Abschaltungen in der Industrie hätten unabsehbare Auswirkungen auf weite Teile der Wirtschaft. Es gäbe Domino-Effekte bis hinein in Handel, Dienstleistungen und Handwerk. Das Ausmaß und die Folgen für unser Land werden in der öffentlichen Debatte völlig unterschätzt. Alles hängt mit allem zusammen.
Wollen wir im Januar immer noch auf Gas verzichten?
Wir wollen die Möglichkeit haben, uns einem Aggressor entgegen zu stellen? Das geht nur mit einer leistungsfähigen Wirtschaft und die braucht eben Energie, auch Gas. Auch private Haushalte brauchen in vielen Fällen heute noch Erdgas. Das Schlagwort vom „Frieren für den Frieden“ wird verblassen, wenn das Thermometer nicht mehr 15 Grad im April, sondern minus 15 Grad im Januar anzeigt.
Bevor man das umstrittene Fracking wirklich angeht, muss es natürlich umfangreich und ergebnisoffen geprüft werden. Aber gegenüber dem Stand vor zehn Jahren gibt es gewaltige technische Fortschritte. Auch unter Klimagesichtspunkten wäre es besser, Gas aus heimischer Produktion zu nutzen, als es energie-aufwendig nach Deutschland zu pumpen. Und was Unabhängigkeit von ausländischem Gas strategisch bedeutet, sieht dieser Tage jeder. Fracking ist sicher nichts Schönes, aber bei der Frage Fracking oder Frieren bin ich für Ersteres.
Thorsten Breitkopf (44) ist Leiter des Wirtschaftsressorts und hat vor zwei Jahren eine Gasbrennwertheizung installieren lassen. Fracking findet er nicht schön, aber angesichts der Alternativen eine Technik, die man in dieser Lage prüfen muss.
Contra: Es ist einsam um Söder und Pinkwart
Gäbe es wenigstens einen halbwegs nachvollziehbaren Beleg für die These, Deutschland könne sich mit der höchst umstrittenen Fracking-Technologie kurzfristig aus der Abhängigkeit von russischem Gas lösen, es wäre nicht ganz so einsam um die beiden deutschen Spitzenpolitiker, namentlich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), die beide Fracking allen Ernstes ergebnisoffen prüfen wollen.
Die groben Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aus dem Jahr 2016, nach denen in Tiefen zwischen 500 und 5000 Metern technisch förderbare Schiefergasmengen zwischen 380 und 2340 Milliarden Kubikmeter liegen, klingen in Pinkwarts Ohren zunächst wohl reizvoll. Und das bei lediglich 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die in Deutschland jährlich verbraucht werden.
Und dennoch: Die Gegenargumente sollten jeden zarten Gedanken, diese vor zehn Jahren in NRW schon einmal heiß diskutierten und dann verworfenen Pläne wieder hervorzukramen, im Keim ersticken. Erstens sind die konventionellen, also oberflächennahen Förderfelder in Deutschland nahezu ausgeschöpft, zweitens alle Genehmigungen seit langem ausgelaufen, so dass es Jahre dauern würde, mit neuen Förderungen zu beginnen. Drittens ist das unkonventionelle Fracking in Deutschland in Schiefer-, Mergel-, Ton- Kohleflözgestein seit dem 11. Februar 2017 verboten.
Das Risiko der Wasserverschmutzung ist hoch
Und das aus nachvollziehbaren Gründen. Fracking ist mit dem hohen Risiko der Wasserverschmutzung verbunden, weil die Flüssigkeit, die unter hohem Druck in die Erde eingebracht werden muss, mit Chemikalien versetzt ist und von der man nicht weiß, wie man sie reinigen oder entsorgen soll, wenn sie beim sogenannten Flowback wieder an die Erdoberfläche gelangt.
Gänzlich unerforscht ist, ob sich die Flüssigkeit in tiefen Gesteinsschichten nicht mit anderen in der Natur vorkommenden Stoffen verbindet und welche Chemikalien daraus entstehen können.
Hoher Wasserverbrauch, Methan, Erdbeben
Überdies ist Fracking mit einen hohen Wasserverbrauch, dem Entweichen von klimaschädlichem Methan aus den Bohrlöchern und einer erhöhten Erdbebengefahr verbunden. Die künstlichen Risse im Gestein könnten Erdstöße auslösen. Wahrlich eine tolle Alternative zum Putin-Gas. Ganz zu schweigen davon, dass Pinkwart doch wissen müsste, dass 99 Prozent der potenziellen Fracking-Förderflächen gar nicht in NRW, sondern in Niedersachsen liegen.
Was also reitet Pinkwart, über Fracking zu schwadronieren? Weil das „dann eben Gas aus Deutschland wäre, das wir selbst hier fördern und den Haushalten und der Wirtschaft zur Verfügung stellen könnten“, sagt er. „Mit risikoärmeren Verfahren, als sie andernorts eingesetzt werden.“
Eine Schnapsidee im Wahlkampf
Nein. Das ist die Schnapsidee eines energiehungrigen Ministers mitten im Wahlkampf, der in fünf Jahren schwarz-gelber Landesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gerade mit Verve vorangetrieben hat.
Übrigens: Deutschlands theoretisch verfügbare Steinkohlevorräte werden auf 20 Milliarden Tonnen geschätzt. Bleibt zu hoffen, dass der NRW-Wirtschaftsminister im Wahlkampfmodus vier Jahre nach Schließung des letzten Bergwerks im Ruhrgebiet nicht noch auf die Idee kommt, neue Steinkohle-Zechen abteufen zu wollen.
Peter Berger ist Chefreporter. Er hält das Prüfen von Fracking in NRW für eine Schnapsidee eines energiehungrigen Ministers mitten im Wahlkampf.