Streitfrage der WocheSollte man sich eine Immobilie kaufen?
- Irgendwann stellt man sich vielleicht einmal die Frage: Eigenheim - ja oder nein?
- Doch ein Kauf muss gut überlegt sein. Schließlich entmachtet man sich damit ein Stück weit seiner eigenen Flexibilität.
- Auf der anderen Seite ist ein eigenes Haus natürlich auch die perfekte Altersvorsorge.
84 Prozent der Deutschen wünschen sich Wohneigentum. Weit weniger aber kaufen tatsächlich. Auch, weil die Preise in der Stadt für viele unbezahlbar scheinen. Ist das Eigenheim jetzt gut oder schlecht?
Pro: Die einzige Altersvorsorge, die man in der Sparphase nutzen kann
Eines vorweg: Es ist vollkommen klar, dass nicht jeder finanziell dazu in der Lage ist, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Aber Eigentum ist in Deutschland nicht das Privileg von Superreichen. Deutschland hat einen breiten Mittelstand. Große Teile davon sind in der Lage, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Wenn Sie sich das leisten können, sollten Sie es tun. Dazu sollte jeder einmal durchrechnen, wie viel Kaltmiete er dem Eigentümer der von ihm gemieteten Wohnung im Leben überweist (und keinen Cent davon zurückerhält). Laut Mietspiegel der Stadt Köln liegt die Durchschnittsmiete bei 11 Euro. Wer gut 75 Quadratmeter bewohnt, zahlt an seinen Vermieter in 30 Jahren fast 300 000 Euro. Bei größeren Wohnungen mehr. Für 300 000 Euro findet man in Köln nichts, sagen Sie? Meine Internetsuche ergibt 200 Treffer, darunter auch welche mit 80 Quadratmetern. Sucht man im 20-Kilometer-Radius um den Dom sind es doppelt so viele. Die Krux ist natürlich, dass man möglicherweise sein angestammtes Innenstadtviertel verlassen muss. Auch enthält die Rechnung nicht den Zins, aber dazu später mehr. Fakt ist auch, dass sich die Miete in den 30 Jahren deutlich verteuern wird.
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Eigentum ist die einzige Altersvorsorge, die sich bereits in der Ansparphase nutzen lässt. Das Argument, Eigentum mache unflexibel, kann nicht bestehen bleiben. Wohnungen kann man verkaufen. Zwar bleibt man dann auf den in NRW sehr hohen Erwerbssteuern sitzen, doch die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt: Die Wertsteigerung macht das meist mehr als wett.
Ein Haus oder eine Wohnung finanziert man so, dass sie spätestens mit Renteneintritt abbezahlt ist. Wenn das Einkommen dann wegen der Rente sinkt, hat man auch deutlich geringere Kosten fürs Wohnen als derjenige, der immer weiter mieten muss.
Dann ist da noch die Sache mit der Tragik der Allmende. Denn Mieter haben ein viel geringeres Interesse, die ihnen nicht gehörende Wohnung instand zu halten oder – auch energetisch – zu modernisieren und so etwa CO2 zu sparen.
Wer Wohnungen baut – für sich oder als Anlage – tut etwas für alle. Er schafft Wohnraum für andere, durch den Bau selbst oder dadurch, dass er seine alte Mietwohnung frei macht.
Immobilien sind perfekte Geldanlagen und ein Schutz vor Armut im Alter. Eine Studie der Uni Bonn hat ergeben, dass die durchschnittliche Jahresrendite einer Immobilie seit dem Jahr 1870 gut 8,7 Prozent betrug – und damit sogar Aktien abhing. Auch eine Inflation kann dem Haus wenig anhaben. Im Gegenteil, sie lässt den Wert der Schulden, die dagegen stehen, sinken. Wer im Eigenheim wohnt, hat nie mehr Stress mit seinem Vermieter, er muss auch nicht fürchten, wegen Eigenbedarfs sein Heim zu verlieren.
Zahlten meine Eltern in den 80ern noch Zinsen wie heute beim Dispo-Kredit, bewegen wir uns heute bei knapp über einem Prozent. Wer diese Differenz nutzt, mehr als üblich zu tilgen, ist viel schneller schuldenfrei, als meine Eltern es waren. Trotz gestiegener Immobilienpreise ist – wenn finanzierbar – der Kauf eines eigenen Heims ein lebenslanger Gewinn, von dem noch Kinder und Enkel profitieren.
Thorsten Breitkopf, 42, Ressortleiter Wirtschaft, kaufte vor zwei Jahren ein Haus im Umland. Darin wohnt er mit seiner Frau Jessica und der fünf Wochen alten Mila. Seinen ersten Bausparvertrag hat er im Alter von 19 Jahren abgeschlossen.
Contra: Eigentum macht mich abhängig. Vielleicht will ich mit 28 nach Hamburg ziehen.
Es fällt mir schwer, diesen Text zu schreiben, denn ich mag meine Vermieterin. Sie ist eine nette, ältere Frau, ihr und ihrem Bruder gehört das Haus, sie selbst wohnt ganz oben. Am Nikolaustag stellt sie Schokolade vor alle Türen, sie nimmt unsere Pakete an und grüßt immer sehr freundlich. Auch, dass sie für unsere 80 Quadratmeter große Altbau-Wohnung 1000 Euro warm verlangt, finde ich in Ordnung.
Trotzdem denke ich, dass es besser wäre, würde sie dieses Haus nicht besitzen. Ich denke, es wäre besser, wenn fast niemand eine Immobilie in der Stadt besitzen würde, sondern die Stadt selbst fast alle. Sie finden, das klingt wie ein feuchter sozialistischer Traum von Kevin Kühnert oder Robert Habeck? Sie denken, so was sei auf keinen Fall möglich in einem demokratischen, wirtschaftsliberalen Land? Ich muss Sie enttäuschen. Es ist möglich, sogar wenn die Stadt deutlich schönere Gebäude besitzt als diese Nachkriegsbeton-Kästen, die einen beträchtlichen Teil des Kölner Himmels zubetonieren.
Wien macht es vor. 62 Prozent der 1,9 Millionen Bürger dort leben in kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungen. „Wiener Wohnen“, der größte Immobilienverwalter Europas, gehört zu hundert Prozent der Stadt. Ergebnis: keine befristeten Verträge, keine Eigenbedarfskündigungen, dafür stabile Mieten zwischen fünf und neun Euro brutto pro Quadratmeter. Klingt nicht so schlecht, oder?
Nun kann man natürlich argumentieren, dass es in Deutschlands Großstädten so aber eben einfach nicht läuft. Was schade ist, aber Realität. Wenn ich mir die Wohnung nicht kaufe, kauft sie stattdessen nicht die Stadt, sondern irgendwer anders, wohnt im besten Fall selbst drin, benutzt sie im schlechtesten Fall nur als Wertanlage für sein sowieso schon üppiges Vermögen und kassiert von irgendwelchen Studenten 500 Euro für ein 16-Quadratmeter-WG-Zimmer (liebe Grüße an dieser Stelle an meinen ehemaligen Vermieter!).
Aber eigentlich erübrigt sich auch diese Diskussion. Ist der Markt für Eigentumswohnungen und Häuser in den Metropolen sowieso ob der niedrigen Zinsen ziemlich leer gefegt. Wer heute kaufen will und nicht zufällig einen Millionenbetrag geerbt hat, muss aus Köln raus, zieht nach Lindlar, Odenthal, Brühl. Wo es bestimmt sehr schön ist. Ein Großteil der Menschen in meinem Alter allerdings kann sich nicht mehr vorstellen, so weit außerhalb zu wohnen. Weil man sich dann ein Auto kaufen müsste. Weil die Freizeitangebote begrenzt sind. Und weil man durch ein Eigenheim unflexibel wird. Meine Generation wechselt häufiger den Job, bekommt später Kinder als noch vor 20 Jahren. Ich weiß nicht, ob ich vielleicht mit 28 nach Hamburg und mit 30 nach Berlin ziehe. Eigentum macht mich unabhängig von Vermietern. Aber abhängig vom Standort.
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Sollte ich mich doch einmal niederlassen, Familie gründen, kaufen, bin ich eher schon Mitte 30. Ab dann zahle ich ab, bis ins hohe Alter. Die Kinder sind schon lange ausgezogen. Und die Wohnung ist auf einmal viel zu groß.Jonah Lemm, 23, Redakteur im Ressort NRW/Story und Einzelkind, amüsiert es, dass im Wohnzimmer seines Elternhauses Platz für drei Sessel und zwei Sofas ist. Um die Anzahl der Sitzmöglichkeiten zu legitimieren, wählt er bei Besuchen stets eine andere.