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Überstunden, AbrufTeilzeitkräfte müssen sich nicht alles gefallen lassen

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Familie und Karriere unter einen Hut bringen - arebiten in Teilzeit macht das möglich. Jedoch ist es rechtlich nicht in Ordnung, dass der Arbeitgeber Beschäftigte spontan für eine Schicht einteilt.

Agnes Rossmüller (Name geändert) kann vorher nie sagen, wie viel Geld sie am Ende des Monats verdient haben wird. Im Juni kam sie auf knapp 1000 Euro brutto - im Monat davor waren es rund 670 Euro. Im April standen 560 Euro auf ihrem Gehaltszettel. Rossmüller arbeitet Teilzeit in einem Kleidungsgeschäft in Stuttgart als Verkäuferin - laut Vertrag 13 Stunden pro Monat. „Der Rest darüber ist flexibel“, sagt sie.

In der Regel ist sie deutlich häufiger im Einsatz als die im Vertrag vereinbarte Stundenzahl. Im Juni waren es 68 Stunden im Monat, im Mai 46 und im April 38,5. Wie häufig sie im Laden steht und wie viel Geld sie verdient, hängt davon ab, wie groß der Bedarf ihres Arbeitgebers ist. Während des Weihnachtsgeschäfts ist sie gefragter als in den Monaten danach.

Sie hat sich auf einen Vertrag mit flexiblen Arbeitsstunden eingelassen, weil ihr Mann gut verdient - und sie als Familie nicht zwingend auf das Geld angewiesen sind: „Wäre ich allerziehend und müsste mit einem festen Gehalt planen, ginge das nur schwer.“ Wie viele Beschäftigte ist sie froh über die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten. Rossmüller hat zwei kleine Kinder. Sie will sich nicht entscheiden müssen zwischen einer Vollzeitstelle oder gar keiner Arbeit. Problematisch sind die Auswüchse: Mancher Arbeitgeber verlangt von seinem Beschäftigten maximale Flexibilität, und setzt seine Mitarbeiter mehr oder weniger auf Abruf ein. Er bietet ihnen einen Teilzeitvertrag mit einer geringen Stundenanzahl pro Woche an - und teilt sie darüber hinaus je nach Bedarf ein.

Für den Arbeitgeber hat das den Vorteil, dass er flexibel auf Schwankungen bei anfallendem Arbeitsvolumen reagieren kann. Für Mitarbeiter ist das jedoch mit großer Unsicherheit verbunden.

„Das Problem ist in vielen Fällen, dass von der garantierten geringen Mindeststundenanzahl niemand leben kann“, sagt Christina Frank, die in Stuttgart für die Gewerkschaft Verdi tätig ist. Gleichzeitig sei es schwierig, einen zweiten Job anzunehmen, da viele nicht wissen, wann und wie viele Stunden sie im nächsten Monat arbeiten müssen und wann der Arbeitgeber sie einteilt. Häufig würden Mitarbeiter sehr spontan abgerufen. Mancher erfahre erst einen Tag vorher, wann er am nächsten Tag im Laden stehen soll. Der Alltag sei so schwer planbar.

Teilzeitkräfte seien auf dem Markt längst keine Ausnahme mehr, erläutert Ilona Mirtschin, Sprecherin der Bundesarbeitsagentur in Nürnberg. So war im Einzelhandel Ende Dezember 2013 fast jeder Zweite (46 Prozent) in Teilzeit tätig. 2007 war es nur rund jeder Dritte (35,3 Prozent). Im Schnitt arbeitete rund jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (25,9 Prozent) Ende Dezember 2013 mit verringerter Stundenanzahl. Zwar bekommen nicht alle einen Vertrag mit flexiblen Stundenzahlen. Doch der Anteil jener, die auf Abruf arbeiten, steigt, ist sich Frank von Verdi sicher.

Auch in Heimen wie Pflege- oder Altenheimen (55,6 Prozent), im Bereich Erziehung und Unterricht (49,1 Prozent), Gastronomie (48,6 Prozent) oder bei Post-, Kurier- und Expressdiensten (47,4 Prozent) ist der Anteil an Teilzeitbeschäftigten hoch. Die meisten Teilzeitbeschäftigten sind Frauen.

Arbeiten auf Abruf, Überstunden - was Arbeitnehmern in Teilzeit zusteht, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Haben Mitarbeiter einen Teilzeitvertrag mit geringer oder flexibler Stundenzahl, müssen sie sich jedoch nicht alles gefallen lassen. So ist es rechtlich nicht in Ordnung, dass der Arbeitgeber Beschäftigte spontan für eine Schicht einteilt, sagt Hans-Georg Meier, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin.

Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, mindestens vier Tage vor ihrem Einsatz davon zu wissen. Fragt der Arbeitgeber kurzfristiger an, dürfen Arbeitnehmer absagen. Von dieser Regel gibt es jedoch eine Ausnahme: Unter Umständen sieht der Tarifvertrag kürzere Fristen vor. Beschäftigte sollten dort zur Sicherheit einmal nachsehen - oder beim Betriebsrat nachfragen.

Ebenfalls nicht in Ordnung ist es, wenn der Arbeitgeber einen Teilzeitantrag ohne eine feste Stundenanzahl anbietet. Dort steht dann etwa nur: „Teilzeit mit flexiblen Stunden pro Monat“ oder „die Arbeitszeiten richten sich nach den Belangen der Filiale“. In dem Fall haben Beschäftigte einen Anspruch darauf, mindestens zehn Stunden pro Woche eingesetzt zu werden, erklärt Meier.

Setzt der Arbeitgeber sie weniger Stunden ein, können sie dennoch die Bezahlung von zehn Stunden pro Woche verlangen. Allerdings steht es dem Arbeitgeber frei, mit dem Arbeitnehmer zu vereinbaren, dass er etwa nur zwei Stunden pro Woche arbeitet. Unterschreiben Mitarbeiter so einen Vertrag, gilt diese Vereinbarung.

Werden Beschäftigte über einen längeren Zeitraum deutlich öfter eingesetzt, als sie vertraglich mit dem Arbeitgeber vereinbart haben, können sie weiter auf Vertragsanpassung klagen, erklärt Meier. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand vertraglich nur einen Anspruch auf 2 Stunden pro Woche hat, tatsächlich über Monate hinweg immer 20 Stunden pro Woche arbeitet. In so einem Fall könnten Mitarbeiter vor Gericht erwirken, dass sie einen Teilzeitvertrag mit einer festen Stundenanzahl von 20 Stunden pro Woche bekommen, sagt Meier.

Befristete Verträge verhindern Klagen

In der Praxis trauen sich viele jedoch nicht, ihre Rechte wahrzunehmen. Das liege etwa daran, dass sie keinen unbefristeten Arbeitsvertrag haben, sagt Frank von Verdi. Kommen sie den Wünschen des Arbeitgebers nicht nach, verlängert der ihren Vertrag nicht.

Agnes Rossmüller hätte vermutlich gute Chancen, einen Arbeitsvertrag mit einer höheren Stundenanzahl einzuklagen. Sie macht es aber nicht. Ihr macht es nichts aus, auf Abruf zu arbeiten. Solange sich der Arbeitgeber an eine Bedingung hält: Er soll sie nur vormittags einteilen, wenn ihre Kinder im Kindergarten und in der Schule sind. „Das klappt jetzt seit Jahren“, erzählt sie. Unter dieser Voraussetzung sei es für sie in Ordnung, nur so wenige feste Stunden im Monat zu haben - und bei der restlichen Stundenanzahl flexibel zu sein. (dpa)