Die Krise bei VW wird wohl noch länger anhalten, auch wenn die Werkschließungen vermeintlich vom Tisch sind.
Autobauer in der KriseDiese VW-Standorte könnten trotz des Kompromisses geschlossen werden
Sind Werksschließungen bei Volkswagen vom Tisch? In der zweiten Verhandlungsrunde für einen neuen VW-Haustarif hat Arne Meiswinkel, Verhandlungsführer und Personalchef der Volkswagen-Kernmarke, jedenfalls nichts über das Dichtmachen von Fabriken verlauten lassen. Stattdessen legte er eine lange Liste vor, mit der er die Kosten senken will.
Von der Gewerkschaftsseite war deshalb so etwas wie eine halbe Entwarnung zu hören: Daniela Cavallo, Vorsitzende des Volkswagen-Gesamtbetriebsrats, betonte: Die Vorschläge seien ein „erstes kleines Signal“ des Fortschritts. Die Belegschaften müssten aber alarmiert bleiben, Werksschließungen seien nicht völlig vom Tisch.
Für den Automobilexperten Ferdinand Dudenhöffer ist nun klar: „Die Konzernführung will keinen Krieg, sondern einen Kompromiss.“ Das sei aber nicht gerade ideal. Mit der Androhung von Werksschließungen sei zunächst hoch gepokert worden. „Man kann nicht laut bellen und dann den Kopf einziehen“, so Dudenhöffer. Denn in solch einem Fall stehe das Management als „zahnloser Tiger“ da. Er hält es aus diesem Grund für denkbar, dass kleinere Fabriken des Unternehmens weiterhin zur Disposition stehen. Dies würde dann bedeuten, dass es die Standorte in Osnabrück oder in Dresden treffen könnte.
Steiniger Weg zum Kompromiss
Cavallo hatte am Montag über Pläne des Vorstands berichtet, mindestens drei Werke in Deutschland abzuwickeln und Zehntausende Stellen bei der Marke VW zu streichen. Meiswinkel oder andere Manager haben bislang die Vokabel „Werksschließung“ aber überhaupt nicht in den Mund genommen. Der Haustarif gilt für 120.000 Frauen und Männer an den sechs hiesigen VW-Standorten, die unter massiven Problemen leiden und kaum noch Geld verdienen.
Sechs Stunden lang wurde am Mittwoch in Wolfsburg verhandelt. Meiswinkel ließ danach mitteilen: „Wenn wir auf diesem Niveau bleiben, können wir unsere Zukunft nicht finanzieren.“ Kern seiner Kostensenkungsliste sind die Entgelte. In einer Mitteilung des Konzerns heißt es: Das Unternehmen sehe „deutlichen Handlungsbedarf, der über die Ablehnung der Forderungen der IG Metall hinausgeht“. Ein Beitrag der Beschäftigten sei erforderlich. Für die weiteren Verhandlungen bedeute dies „eine Forderung nach einer Senkung der Entgelte der Tarifbeschäftigten der Volkswagen AG um 10 Prozent“. Außerdem will Maiswinkel Zulagen, Boni und Jubiläumsgratifikationen „neu ausrichten“.
Die IG Metall verlangt stattdessen 7 Prozent mehr Geld: Der Weg für einen Kompromiss dürfte also noch ziemlich steinig werden. Insider vermuten, dass sich die Verhandlungen über Wochen oder sogar Monate hinziehen könnten. Die nächste Runde ist für den 21. November geplant.
Weil mahnt Wettbewerbsfähigkeit an
Derweil hat sich Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, in die Diskussion eingeschaltet und schnelle Entscheidungen gefordert. Im ZDF sagte er: Bis Weihnachten müsse es eine Klärung geben. Die aktuelle Situation sei unglaublich belastend für viele Leute. Er habe die sehr klare und ernst gemeinte Erwartung, dass es bessere Alternativen gebe als Werksschließungen. Wo man Industrien einmal abziehe, kämen sie nicht wieder. Zugleich betonte er aber auch: Am Ende müsse ein Unternehmen wettbewerbsfähig sein.
Weil spielt eine entscheidende Rolle in dem Konflikt. Er sitzt im Aufsichtsrat des Konzerns. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Stimmrechte der Volkswagen Group. Der Ministerpräsident und seine Stellvertreterin Julia Willie Hamburg (Grüne) haben in dem Kontrollgremium zusammen mit den Arbeitnehmervertretern die Mehrheit und bei wichtigen Entscheidungen wie Werksschließungen hat das Land ein Vetorecht.
Auf China kommt es an
Dudenhöffer betont indes, dass bislang bei VW kein Ansatz für eine Besserung erkennbar sei. „Es wird ein bis zwei Jahre dauern, um aus dem Tal zu kommen.“ Die Bilanz von VW nach den ersten neun Monaten sieht nicht unbedingt verheißungsvoll aus: Zwar hat die Kernmarke in der betrieblichen Tätigkeit 1,3 Milliarden Euro verdient, aber zugleich 4,9 Milliarden investiert – vor allem in neue Modelle. In Wahrheit leere sich also die Kasse, so Konzernfinanzchef Arno Antlitz am Mittwoch bei der Präsentation des Zwischenberichts für das dritte Quartal. Er sprach ebenfalls von Opfern, die die Belegschaft bringen müsse, kündigte aber auch an, dass die Dividende für die Aktionäre „signifikant“ sinken werde.
Der europäische Automarkt habe das Absatzniveau der Zeit vor Corona noch immer nicht erreicht. Daran werde sich, so Antlitz, so schnell nichts ändern. Es fehlten in den VW-Auftragsbüchern jedes Jahr 500.000 Autos: Daraus lassen sich Werksschließungen ableiten.
Für Dudenhöffer hängt das Schicksal von Volkswagen allerdings nicht an Europa, sondern an China. Das gelte auch für die beiden anderen hiesigen Autokonzerne Mercedes und BMW: „Denn dort wird der Automarkt weiter wachsen.“ Software, Elektronik und Batterien würden in Zukunft die entscheidenden Komponenten für Pkw. „Und die dafür wichtigen Tech-Konzerne sitzen in China. Deshalb müssen die Hersteller auch ihre Entwicklungsabteilungen dorthin verlagern“, erläutert der Autoexperte. Ziel müsse sein, in den ein bis zwei Jahren mit den Elektro- und Plug-in-Modellen der chinesischen Rivalen mithalten zu können. (rnd)