AboAbonnieren

Wohnungsnot spitzt sich zuMehr als 700.000 Wohnungen werden 2023 in Deutschland fehlen

Lesezeit 4 Minuten
„Suche Wohnung“ steht auf einem Zettel an einer Laterne.

Bezahlbarer Wohnraum wird in Deutschland immer knapper. (Symbolbild)

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird immer prekärer, vor allem in den Städten. Es ist eine Folge des Regierungshandelns der letzten Jahrzehnte.

„In meinem Freundeskreis bin ich mittlerweile als der Typ bekannt, der einfach keine unbefristete Wohnung findet“, sagt Yagiz Sahin. Seit eineinhalb Jahren ist er in Berlin auf der Suche. Trotz aller Bemühungen hat er noch keine leistbare Wohnung gefunden.

Der 24-Jährige arbeitet als Berater für eine Firma für Cybersicherheit und kommt ursprünglich aus der Türkei. Fünfmal musste er in Berlin schon umziehen, von Zwischenmiete zu Zwischenmiete.

Sahin ist mit diesem Problem nicht allein. Vor allem in den Städten spitzt sich die Wohnungsnot weiter zu. Laut einer Studie des Pestel-Instituts werden 2023 mehr als 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen.

Angriffskrieg gegen die Ukraine macht Bauprojekte unrentabel

Vor allem günstiger Wohnraum ist knapp. Das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, ist 2022 krachend gescheitert – und wird auch in diesem Jahr nicht erreicht, wie Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) einräumen musste. Grund dafür seien unter anderem Lieferengpässe durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Zinsanstieg, der Bauprojekte unrentabel mache.

Der wohnungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, fordert daher die Bundesregierung auf, nun entschlossen gegenzusteuern. „Die Bauwirtschaft braucht einen starken Impuls und klare Perspektiven. Aber statt Rückenwind gibt es von der Bundesregierung ein Förderprogramm, das bestenfalls ein laues Lüftchen ist“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Die von der Ampel für den Neubau zur Verfügung gestellten 750 Millionen Euro seien nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem gebe es erste Anzeichen, dass die Programmmittel bald erschöpft sein könnten. „Das wäre eine Katastrophe für die Planungssicherheit von Unternehmen und nach dem Förderchaos des letzten Jahres ein erneuter Vertrauensverlust“, sagt Luczak.

Auch Bernhard Daldrup, wohnungspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, fürchtet, dass die Finanzierung scheitert und nimmt Finanzminister Christian Lindner (FDP) in die Verantwortung. „Wir wissen jetzt schon, dass die Fördermittel zu knapp bemessen sind und erwarten vom Finanzminister, dass er die Programme nicht erneut leer laufen lässt“, sagt Daldrup dem RND. „Auch der Finanzminister ist für die Einhaltung der Koalitionsziele verantwortlich und der Wohnungsneubau ist ein konkretes Ziel.“

Wie viele Wohnungen die Regierung bis Ende des Jahres 2023 tatsächlich gebaut haben wird, ist noch nicht absehbar. Klar ist, das Ziel von 400.000 wird verfehlt. Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB) schätzte zuletzt im RND-Interview, „dass wir rund 250.000 Wohnungen fertigstellen“ werden. Das wären 150.000 weniger als geplant und 550.000 weniger als laut Studie benötigt.

Wohnungsdefizit ist eine Folge des Regierungshandels der letzten Jahrzehnte

Der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, sieht das Rekord-Wohnungsdefizit als Folge „des Regierungshandelns der letzten Jahrzehnte, nicht nur der aktuellen Regierung“. Allerdings stehe die derzeitige Regierung in der Pflicht, „diese krasse Wohnungsnot zu lindern“. Neben der Umsetzung der Regierungspläne fordere er deswegen unter anderem eine scharfe Mietpreisbremse, das Verbot von Indexmieten und die Ahndung von Wuchermieten.

Zu der ohnehin angespannten Wohnungslage kommt, dass seit Kriegsbeginn in der Ukraine mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Damit haben im vergangenen Jahr so viele Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. „Natürlich bleibt das nicht ohne Auswirkung auf den Wohnungsmarkt“, sagt Unions-Politiker Luczak. Er kritisiert, dass die Bundesregierung die Kommunen nicht ausreichend unterstütze und „auch keine wirksamen Maßnahmen zur Begrenzung irregulärer Asylmigration“ ergreife.

„Wer jetzt Geflüchtete für eine Verschärfung der Wohnungskrise verantwortlich macht, macht es sich viel zu einfach.“
Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion

SPD-Politiker Daldrup erklärt dazu, dass die Aufnahme von Geflüchteten bei einem insgesamt überlasteten Wohnungsmarkt nicht einfacher werde. Gleichzeitig stellt er die Frage, inwieweit beide Themen zusammenhängen. „Es ist billig, die sozialen Gruppen gegeneinander auszuspielen, die Herausforderungen werden dadurch nicht bewältigt“, sagt er.

Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht das ähnlich. „Wer jetzt Geflüchtete für eine Verschärfung der Wohnungskrise verantwortlich macht, macht es sich viel zu einfach“, sagt sie dem RND. „Die Mietenkrise besteht seit vielen Jahren, ohne dass die Politik ernsthaft darauf reagiert hat.“

Korruptions- und Bestechungsversuche keine Seltenheit

Das weiß auch Yagiz Sahin. Bei seiner eineinhalbjährigen Wohnungssuche habe er „schon viele bizarre Dinge erlebt“, sagt er. „Einmal wollte ein Typ von mir 5000 Euro haben, damit ich seinen Mietvertrag übernehmen kann.“

Korruptions- und Bestechungsversuche seien keine Seltenheit. Hin und wieder treffe er auf dubiose Makler, die im Namen großer Immobilienkonzerne auftreten und im Voraus Provision verlangen würden. Außerdem erfahre er als Türke mitunter offene Diskriminierung von Vermieterinnen und Vermietern. Er erlebe, dass andere ausländische Freunde, etwa aus der Schweiz oder Frankreich, viel leichter eine Wohnung finden würden. „Der Vermieter sagt ihnen dann, dass sie ja die ‚guten Ausländer‘ sind.“

Zum Ende des Monats muss Sahin wieder aus seiner aktuellen Wohnung ausziehen. Etwas Neues hat er noch nicht gefunden. Um ein Dach über dem Kopf zu haben, wird er also die nächstbeste Wohnung nehmen müssen. Vermutlich wieder eine zur Zwischenmiete.