Wütende Aktionäre, immer mehr Krebs-KlagenDas sind die Vorwürfe gegen den Bayer-Chef
- Bedeutende Aktionäre haben sich gegen den Bayer-Vorstand gestellt.
- Die Kritik richtet sich auch gegen den Aufsichtsrat des Leverkusener Konzerns.
- Im ersten Glyphosat-Prozess sollte Bayer 78 Millionen Dollar zahlen – der Konzern stemmt sich nun vor Gericht dagegen.
Köln/Leverkusen – Am Freitag tritt der Bayer-Vorstand bei der Hauptversammlung vor seine Aktionäre – ein ungemütlicher Termin für Werner Baumann, den Vorstandsvorsitzenden des Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzerns: Der Bayer-Chef und seine Vorstandskollegen sehen sich zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Kauf des US-Konzerns Monsanto. Einen Tag vor dem Aktionärstreffen gibt es unterdessen neue Erkenntnisse zum US-Klagekomplex um mögliche Krebsrisiken durch das Pflanzengift Glyphosat.
Die Gegenanträge auf der Hauptversammlung
Ein Tagesordnungspunkt auf jeder Aktionärsversammlung ist die Entlastung sowohl des Vorstands als auch des Aufsichtsrats. In den vergangenen Jahren war die Entlastung durch die Aktionäre bei Bayer eine Formsache: Sogar die niedrigsten Zustimmungsraten der vergangenen 15 Jahre lagen bei mehr als 95 Prozent. Doch mit diesen klaren Verhältnissen könnte nun Schluss sein – es gibt gleich sechs Anträge, in denen gefordert wird, die Mitglieder des Vorstands um Werner Baumann nicht zu entlasten.
Die Begründungen sind vielfältig: Christian Strenger – ehemaliger Chef der Fondsgesellschaft DSW, Bayer-Aktionär und angesehener Experte für Unternehmensführung – führt die in seinen Augen misslungene Übernahme des US-Konzerns Monsanto ins Feld, mehrere Aktionäre folgen dieser Einschätzung in ihren Anträgen. Den Deal nennt Strenger den „größten und schnellsten Wertvernichter der Dax-Geschichte". Bei der Bewertung der größten Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte habe der Vorstand insbesondere die Rechtsrisiken falsch eingeschätzt: Wie Bayer am Donnerstag mitteilte, sind in den USA inzwischen 13.400 Klagen anhängig von Personen, die Monsantos Glyphosat-haltiges Pflanzengift Roundup für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen.
Seitdem Bayer im ersten Glyphosat-Prozess zur Zahlung von 78 Millionen Dollar an den Kläger Dewayne Johnson verurteilt wurde, ist die Aktie um mehr als ein Drittel gefallen – an der Börse ist Bayer aktuell nur noch wenig mehr wert als die 57 Milliarden Euro, die die Leverkusener für Monsanto auf den Tisch gelegt haben. Am Mittwoch beantragte Bayer im Berufungsprozess im Fall Johnson, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
Christian Strenger hat darüber hinaus beantragt, auch den Aufsichtsrat nicht zu entlasten. Er argumentiert, dass die Erhöhung der variablen Vergütung Werner Baumanns durch den Aufsichtsrat nicht nachvollziehbar sei: Ob die 25-prozentige Bonuserhöhung angemessen sei, sei „angesichts der operativen Minderergebnisse, der Schwächung der Bayer-Marke durch Monsanto und insbesondere die Fehleinschätzung der mit der Übernahme von Monsanto verbundenen signifikanten Kartell- und Prozessrisiken“ zumindest fraglich, schreibt Strenger.
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Nach Ansicht anderer Aktionäre gibt es noch weitere Gründe, die gegen eine Entlastung des Vorstands sprechen. Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre schreibt in seinem Gegenantrag etwa: „Bayers Modell der industriellen Landwirtschaft hat verheerende Folgen für Mensch und Umwelt.“ Auch befördere Bayer „das Artensterben und schadet Insekten, die für ein Fortbestehen allen Lebens unverzichtbar sind“.
Der Verein „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ will den Vorstand aufgrund des Abbaus von weltweit 12.000 Arbeitsplätzen nicht entlastet sehen: „Kein bundesdeutsches Unternehmen kündigte im letzten Jahr einen derart massiven Job-Abbau an“, argumentiert der Verein: „Die Verantwortung für dieses Desaster, das im Zusammenhang mit dem Monsanto-Deal steht, trägt der Vorstand. Daher ist ihm die Entlastung zu verweigern.“
Das sagt der Bayer-Vorstand zu den Vorwürfen
In einer Anfang April veröffentlichten Stellungnahme wehrt sich der Vorstand um Bayer-Chef Baumann gegen den Vorwurf, den Monsanto-Kauf nicht ausreichend geprüft zu haben: Der Vorstand habe sich „im Rahmen der Übernahme von Monsanto sehr eingehend und in einer Vielzahl von Sitzungen mit den Chancen und Risiken der Übernahme auseinandergesetzt und diese im Vorfeld seiner Entscheidung zugunsten des Abschlusses“ gegeneinander abgewogen, heißt es darin. „Selbstverständlich“ habe der Vorstand auch die Risiken geprüft, die mit dem Glyphosatgeschäft von Monsanto verbunden sind – auf Grundlage der Regulierungsbehörden und der Wissenschaft „hat der Vorstand die Rechtsrisiken im Zusammenhang mit der Verwendung von Glyphosat als gering bewertet“.
Bayer hat außerdem die renommierte Anwaltskanzlei mit einem Gutachten beauftragt, die Einhaltung von Pflichten durch den Vorstand zu überprüfen. Das Ergebnis fasst der Vorstand wie folgt zusammen: „Linklaters ist nach einer umfassenden Prüfung zu dem klaren Ergebnis gekommen, dass die Mitglieder des Vorstands sowohl bei Abschluss des sogenannten Merger Agreement mit Monsanto im September 2016 als auch bei Vollzug der Übernahme von Monsanto im August 2018 ihre rechtlichen Pflichten in jeder Hinsicht eingehalten haben.“
Vom aktuellen Börsenwert zeigen sich Vorstand und Aufsichtsrat in der Stellungnahme „enttäuscht“: Dieser spiegele „nicht den wahren Wert des Unternehmens“ wider und preise „die Auswirkungen der bisherigen nicht bindenden gerichtlichen Entscheidungen in den USA zu stark“ ein: „Gleichzeitig sind Vorstand und Aufsichtsrat fest davon überzeugt, dass die Übernahme von Monsanto die richtige Entscheidung war“.
Auf den Stellenabbau gehen Baumann und seine Vorstandskollegen in der Stellungnahme nicht ein, schrieben aber kürzlich an die Bayer-Mitarbeiter, das Sparprogramm sei „notwendig, um unsere Profitablitätsziele zu erreichen, unsere Ertragskraft zu steigern und unsere Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Gleichzeitig ermöglicht uns das Programm, schlanker, schneller und flexibler zu werden“.
Wie wahrscheinlich ist ein Erfolg der Gegenanträge?
Das ist schwer abzuschätzen, hat sich doch ein Großteil der Aktionäre noch überhaupt nicht zu den Anträgen auf Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat geäußert. Angesichts der hohen Zustimmungsraten in den vergangenen Jahren wäre es trotz der kritischen Stimmung schon eine faustdicke Überraschung, sollte der Führungsriege um Werner Baumann die Entlastung versagt bleiben.
Die Zahl der Entlastungs-Verweigerer hat in den vergangenen Wochen nichtsdestotrotz starken Zuspruch erhalten: So haben die beiden Stimmrechtsberater Institutational Shareholder Services (ISS) und Glass Lewis empfohlen, den Vorstand beziehungsweise den Vorstand und den Aufsichtsrat nicht zu entlasten. Die Gründe: Der Vorstand hat sowohl rechtliche als auch Reputationsrisiken der Monsanto-Akquisition falsch eingeschätzt. Zudem könne der Unternehmenswert langfristig unter den Glyphosat-Prozessen leiden.
Nach Recherchen des „Handelsblatts“ wollen weitere bedeutende angelsächsische und deutsche Investoren gegen die Entlastung stimmen. Die Deka-Fondsgesellschaft, eine der größten in Deutschland, hat den gleichen Schritt angekündigt – sie vertritt etwa 1,1 Prozent der Bayer-Aktien auf der Hauptversammlung.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert indes, die Entlastung auf eine spätere Hauptversammlung zu vertagen: „Eine Beschlussfassung in der aktuellen Phase würde das Verhältnis zwischen den Organen und den Aktionären langfristig und zusätzlich belasten“, sagt DSW-Geschäftsführer Marc Tüngler: „Selbst eine knappe Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat würde automatisch eine Personaldebatte auslösen, die das Unternehmen aktuell nicht führen sollte.“