Der berühmte Schriftzug ist untrennbar mit der Geschichte des Kinos verbunden und spiegelt dessen Auf und Ab.
100 Jahre Hollyood-SchriftzugDie Zeichen der Zeit
Am Abend des 16. September 1932 stürzte sich Lilian Millicent Entwistle vom H in den Tod. Die junge Frau, die sich Peg rufen ließ, hatte kaum eine Überlebenschance: Der Anfangsbuchstabe auf dem Hügel in den Santa Monica Mountains ragt 14 Meter in die Höhe. Das entspricht ungefähr vier Stockwerken. „Hollywoodland“ war damals noch dort oben zu lesen, nicht der Schriftzug „Hollywood“, wie er heute unzähligen Touristinnen und Touristen als Selfie-Hintergrund dient.
Erst zwei Tage später wurde die Leiche der 24-jährigen Schauspielerin in einem Kakteengebüsch gefunden. Ihr Körper war ein gutes Stück den steilen Hang des 521 Meter hohen Mount Lee hinuntergerollt. Die Identifizierung dauerte noch einmal Tage. Die Obduktion ergab, dass die als Kind aus England eingewanderte Entwistle an inneren Blutungen gestorben war. Mehrfach hatte sie sich die Hüfte gebrochen.
In gewisser Weise war Entwistle ein Opfer der Traumfabrik. Sie zählte zu jenen vielen Beklagenswerten, die es in Hollywood nicht geschafft hatten. Aber sie war wohl die Einzige, die auf den berühmten Schriftzug kletterte, um Suizid zu begehen. Andere Fälle sind jedenfalls nicht bekannt.
Überdimensionaler Werbegag
Die Geschichte dieser Buchstaben symbolisiert die Geschichte Hollywoods – in einer Ecke Kaliforniens, in der immer noch vor Klapperschlangen und Pumas gewarnt wird. Heute repräsentiert das Zeichen in den Hügeln die USA ebenso ikonisch wie sonst nur noch die Freiheitsstatue im Hafen von New York oder die vier monumentalen Präsidentenköpfe des Nationaldenkmals Mount Rushmore.
„Hollywoodland“ stand dort oben in den Hügeln ursprünglich geschrieben, weil es sich um einen überdimensionalen Werbegag handelte. Eine Maklerfirma wollte vor 100 Jahren Grundstücke in der damals noch unbebauten Gegend verkaufen. Zu den Investoren gehörte Harry Chandler, Herausgeber der „Los Angeles Times“ und Immobilientycoon.
Chandler sah bereits die vornehmste Wohnsiedlung von Los Angeles vor seinem inneren Auge entstehen. Als die Wirtschaftskrise heraufzog, ging er pleite. Besonders weit war die Bebauung bis dahin nicht gediehen. Die Zeiten waren hart, für Geschäftsleute wie für junge Schauspielerinnen.
Gezimmert wurde der Originalschriftzug aus alten Telefonmasten und viel Blech. Mit Eseln hatten 200 Arbeiter das Material in das unwegsame Gelände transportiert. Ein aufwendiges Unterfangen: Sieben Meilen Weg wurden eigens angelegt, umgerechnet 11,27 Kilometer, außerdem 230.000 Kubikmeter Erde bewegt.
Licht durch 4000 Glühbirnen
Gestaltet hatte den 21.000 Dollar teuren Schriftzug vermutlich Thomas Fisk Goff, ein auf Werbetafeln spezialisierter Schildermaler. Ganz klar ist die Urheberschaft nicht. Sicher war jedenfalls: So eine Reklametafel hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen.
Mit Scheinwerfern wurden die Buchstaben allnächtlich angestrahlt und noch dazu mit 4000 flackernden Glühbirnen beleuchtet. Ein Monteur war eigens dafür angestellt worden, durchgebrannte Birnen auszuwechseln. Halsbrecherische Kletterpartien riskierte er. Den Job übernahm für viele Jahre ein deutscher Einwanderer namens Albert Kothe, offenbar ohne sich das Genick zu brechen.
Nach den ursprünglichen Plänen hätten die Lettern nach 18 Monaten wieder abmontiert werden sollen. Es kam dann anders.
In Entwistles Handtasche entdeckte die Polizei einen Abschiedsbrief: „Ich fürchte mich. Ich bin ein Feigling. Es tut mir alles so leid. Wenn ich das schon früher getan hätte, wäre viel Leid erspart geblieben.“ Die Botschaft ist bis heute rätselhaft, die Geschichte der jungen Frau umso trauriger.
Erste Karriereschritte hatte Entwistle am Broadway in New York gemacht. Auf der Bühne hatte sie einige Erfolge zu verbuchen. 1932 verschlug es sie mit ihrer Bühnentruppe nach Los Angeles. Dort war sie dem Kino endlich hautnah. Nach der Leinwand sehnte sie sich mehr als nach dem Theater.
Doch sie hatte sich eine schwierige Zeit ausgesucht: Die Menschen litten unter der großen Depression. Im Kino fand beinahe zeitgleich die erste von zahlreichen Revolutionen statt, die noch folgen sollten: Der Tonfilm wurde erfunden. Die Zeit für Stummfilmstars lief unwiderruflich ab.
Billy Wilder hat darüber 1950 den traurigen Film „Sunset Boulevard“ (deutscher Titel: „Boulevard der Dämmerung“) gedreht. Eine einst berühmte und vom Publikum vergessene Schauspielerin hat sich in ihre Villa zurückgezogen. Aus einer Welt, in der nur der Erfolg zählt, hatte sie sich selbst verbannt. In der Hauptrolle dieser filmischen Abrechnung mit dem System Hollywood: Gloria Swanson, selbst ein von der Leinwand weitgehend verschwundener Stummfilmstar, der allerdings für Radio und Fernsehen weiterarbeitete.
Hollywood erfindet sich neu
Der erste vollwertige Sprechspielfilm „Der Jazzsänger“ entstand 1928, produziert vom Studio Warner Bros. Mit der neuen Technik musste sich Hollywood neu erfinden. Einwanderinnen wie die Polin Pola Negri hatten mit ihrem Akzent von nun an kaum mehr eine Chance auf Glanz und Ruhm vor der Kamera.
Der Filmmogul David O. Selznick brachte 1932 „Thirteen Women“ ins Kino, eine Art vorweggenommenen Slasher-Film, in dem junge Frauen systematisch gemeuchelt werden. Eine der Frauenrollen hatte Peg Entwistle ergattert. Weil das Budget nicht reichte, wurde der Film stark gekürzt.
Am Ende war Entwistles Auftritt nicht mehr der Rede wert. Noch dazu erhielt der Film vernichtende Kritiken. Die damals schon führende Hollywood-Zeitschrift „Variety“ schrieb über die Literaturverfilmung: „Auf der Leinwand verkommt alles zu einem unglaubwürdigen, abstrusen Schlachthausdrama, das auch gute Schauspieler nicht retten können.“
Im Rückblick lässt sich mit einigem gutem Willen auch Positives über „Thirteen Women“ sagen: Heute gilt er als einer der frühesten weiblichen Ensemblefilme.
Für Entwistle schien mit diesem unglücklichen Werk die Zukunft in Hollywood schon wieder vorbei zu sein. Von Selznick, so viel war klar, hatte sie künftig keine Förderung mehr zu erwarten. So brach sie eines Abends von der Wohnung ihres Onkels, in der sie damals wohnte, in die Hollywood Hills auf. Ihren Mantel zog die junge Frau noch am Boden aus. Dann kletterte sie das H hinauf. Als das traurige „Hollywood Sign Girl“ ist Entwistle in Erinnerung geblieben.
Zu den Erfindern jenes manchmal so erbarmungslosen Kinogeschäfts gehörte maßgeblich Carl Laemmle. Der aus dem Schwäbischen Stammende war 1884 als 17-Jähriger in Bremerhaven an Bord eines Auswandererdampfers gegangen. In Amerika wollte er seinen Traum von einem besseren Leben wahr machen. Und das tat er auch.
Schnell stieg der Sohn eines jüdischen Viehhändlers vom Laufburschen zum Chef eines Textilgeschäfts in Wisconsin auf. 1906 erstand er in Chicago sein erstes „Nickelodeon“, einen Vorläufer des Kinos. Wer einen Nickel (das entsprach 5 Cent) in den Apparat einwarf, durfte einen Film schauen.
Aber Laemmle wollte noch mehr. Er erkannte, dass Film das nächste große Ding sein würde – und stieg erst in den Vertrieb und dann in die Produktion ein. Viele jüdische Einwanderer taten es ihm gleich. Namen wie Louis B. Mayer, Harry Warner, Adolph Zukor und William Fox stehen dafür. Sie bildeten die Gründergeneration der US-Kinoindustrie – auch deshalb, weil ihnen der Zugang zu vielen anderen Geschäftsfeldern verwehrt blieb.
In New York gründete Laemmle 1912 sein eigenes Studio, die Universal Motion Picture Manufacturing Company, später: Universal Pictures. Auf Anzeigen zeigte sich Laemmle bald schon mit dem Slogan: „I Am the Moving Picture Man.“
Wenig später kaufte er in einer trostlosen Gegend nahe Los Angeles eine ehemalige Hühnerfarm und schuf die Universal City Studios. Unter kalifornischer Sonne ließ sich mit der schwerfälligen Technik viel effektiver arbeiten als unter dem grau verhangenen Himmel der Ostküste. Zudem waren die Löhne niedrig. Auch für die erste Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ zeichnete Laemmle 1930 verantwortlich.
Der Tonfilm änderte vieles
Universal City war als Kinokulisse angelegt, durch die das Publikum spazierte. Es gab dort sogar einen Zoo für die vielen tierischen Darsteller. Jüngst hat das Kinodrama „Babylon – Rausch der Ekstase“, besetzt mit Brad Pitt und Margot Robbie, von dieser exzessiven Epoche erzählt: Mitten in der kalifornischen Steppenlandschaft wurde zeitgleich an mehreren Sets gedreht. Hier gingen in einer mittelalterlichen Schlachtszene Hunderte Statisten mit Schwertern aufeinander los, dort wurde in einem Bretterverschlag eine intime Barszene gefilmt.
Mit dieser Gleichzeitigkeit – und auch mit den Besucherströmen – war es jedoch vorbei, als der Tonfilm erfunden wurde. Von nun an wurde möglichst in schalldichten Studios gedreht. Die Schauspieler und Schauspielerinnen mussten exakt auf ihre Markierungen achten, um die Qualität der Tonaufnahmen zu sichern.
Auch Laemmle verlor sein Imperium in der Folge der Weltwirtschaftskrise und weil sein Studio mit den veränderten Produktionsbedingungen nicht klarkam. Das Hollywood-Zeichen überstand dagegen diese Notzeit. Doch in den 1940er-Jahren sah es so aus, als würde seine Ära ablaufen. Wind und Wetter setzten der Konstruktion heftig zu. Die Farbe blätterte ab. Ausgerechnet das H kippte um, jener Buchstabe, von dem die junge Peg Entwistle ein paar Jahre zuvor in den Tod gesprungen war.
In jener Zeit musste auch das Kino seine nächste Krise bewältigen. Die Amerikaner saßen massenhaft vor den TV-Geräten. Die US-Filmindustrie stellte sich auf die neuen Bedingungen ein – und produzierte fortan auch Fernsehen.
Das Jahr 1949 bedeutete für das Hollywood-Zeichen einen Neuanfang: Die Handelskammer von Los Angeles entschied, die Buchstaben zu sanieren. Nur die letzten vier nicht: Von nun an war dort oben nur noch „Hollywood“ zu lesen.
Zum 50. Geburtstag des Schriftzugs 1973 war die Ära des goldenen Hollywood vorüber. Berühmte Regisseure wie Alfred Hitchcock hatten ihre beste Zeit hinter sich. John Ford starb in eben jenem Jahr. Stars wie Humphrey Bogart und Gary Cooper waren tot. An der Spitze der Studios standen immer noch viele jener alten Männer, die schon in der Stummfilmzeit ihre Posten bekleidet hatten. Was sie nicht verstanden: Mit Monumentalfilmen und Musicals ließen sich die Menschen nicht mehr in die Kinos locken.
Und wer repräsentierte bei den eher bescheidenen Feierlichkeiten zum Fünfzigsten dort oben in den Hollywood Hills die Geschichte der Kinoindustrie? Gloria Swanson, jene Darstellerin aus dem Melodram „Sunset Boulevard“.
Mit dem Siegeszug des New Hollywood, mit Filmen wie „Die Reifeprüfung“ (1967), „Easy Rider“ (1969), „M*A*S*H“ (1970) oder „Harold und Maude“ (1971), deutete sich aber bereits eine neue, glänzende, kreative Zukunft an. Endlich entstanden wieder Filme, die die Gegenwart widerspiegelten. Nur musste bloß noch jemand den Schriftzug in den Bergen retten.
Paten für die Buchstaben
Und da kommt der „Playboy“-Gründer Hugh Hefner ins Spiel. Er lud 1978 zu einer seiner legendären Partys ein. Die Gäste bekamen die Gelegenheit, sich als Buchstabenpaten zu profilieren. Kostenpunkt: 27.700 Dollar – pro Buchstabe, versteht sich. Schließlich galt es, insgesamt rund eine Viertelmillion Dollar aufzutreiben.
Hefner selbst ging mit gutem Beispiel voran und übernahm das Y, Rocker Alice Cooper erwärmte sich für ein O und widmete den Buchstaben Groucho Marx, Nachtclubbetreiber Dennis Lidtke verwandte sich fürs D. Das Geld reichte für einen komplett neuen Schriftzug, ausgestattet mit einem dauerhaften Betonfundament, stählernen Trägern und einer Frontansicht aus Emaille. 137 Meter lang ist der Aufbau heute und wiegt rund 220 Tonnen.
Viel später sollte Hefner noch einmal zum Retter werden: 2010 kaufte er zusammen mit anderen Prominenten mehr als 50 Hektar Land auf dem Mount Lee. Es galt, die drohende Bebauung neben und hinter dem Schriftzug zu verhindern. Sie hätte das Gesamtbild komplett verändert.
Längst haben Hollywoods Bewohner gelernt, mit ihrem Wahrzeichen zu spielen, mal in offiziellem Auftrag, mal in ironischer Absicht. Als der Papst 1987 zu Besuch kam, wurde zu Ehren von Johannes Paul II. aus „Hollywood“ kurzerhand „Holywood“.
In der Silvesternacht 2016/2017 verhängten Spaßvögel die Buchstaben mit Tüchern: Nun war dort „Hollyweed“ zu lesen. „Weed“ steht umgangssprachlich für Marihuana. Die Behörden brauchten bis zum späten Mittag des Neujahrstages, um wieder für cleane Verhältnisse zu sorgen.
So leicht kommt heute niemand mehr an das Zeichen in den Hügeln heran: Die Gegend ist mit Kameras, Mikrofonen und Bewegungsmeldern gesichert. „Kein Zugang“, steht auf Warnschildern an Maschendrahtzäunen. Eine gemeinnützige Organisation namens Hollywood Sign Trust sorgt für den Unterhalt des „internationalen Symbols fürs Filmemachen und die Verwirklichung von Träumen“. Grund und Boden gehören der Stadt Los Angeles.
Der Verfall des Wahrzeichens ist nicht mehr zu befürchten, wohl aber mit dessen lustvoller Zerstörung auf der Leinwand zu rechnen: In „The Day After Tomorrow“ (2004) ließ Roland Emmerich die Buchstaben eindrucksvoll einstürzen. Im Katastrophenfilm „San Andreas“ (2015) zerlegte ein Erdbeben das HollywoodZeichen.
Besucherzentrum in Planung
Pünktlich zum 100. Geburtstag ist der Schriftzug mit 1500 Litern weißer Farbe aufgehübscht worden. Die Einweihung wird auf den 13. Juli 1923 datiert. Bald soll ein Besucherzentrum entstehen und über die Historie informieren. Noch müssen sich Gäste mit Fotos aus der Ferne begnügen.
Auch heute wird wie schon so oft viel über den Untergang von Hollywood gemutmaßt. Schuld daran sollen nicht zuletzt die Streamingdienste sein – und doch haben diese längst entdeckt, dass auch sie an die glorreichen Kinozeiten anknüpfen müssen, für die in den Hollywood Hills ein übergroßes Wahrzeichen steht. Anderenfalls würden Netflix und Co. nicht so vehement um Preise bei großen Filmfestivals und bei den Oscars buhlen.
In dem geplanten Informationszentrum wird gewiss auch von Peg Entwistle die Rede sein. Als Geist soll sie noch immer in den Hügeln spuken und sich gelegentlich vom H herabstürzen. So geht die Legende.
Den eigentlichen Höhepunkt erreichte die Tragödie um die junge Schauspielerin erst nach ihrem Tod. Angeblich traf Tage später ein Brief bei ihr ein: Ihr wurde eine Hauptrolle angeboten.
Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.