In der Nacht zum 9. August 1974 beendete US-Präsident Richard Nixon mit seinem Rücktritt den Skandal um einen Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten. Tricksen, lügen, anstiften – die Parallelen zu einem Ex-Präsidenten, der wieder ins Weiße Haus möchte, sind evident.
50 Jahre WatergateDas Weiße Haus und die Wahrheit
Das hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen: Mit brüchiger Stimme verkündete der mächtigste Mann der Welt in der Nacht vom 8. auf den 9.?August 1974 unter Tränen seinen Rücktritt. Richard Nixons Rede, an Millionen Fernsehzuschauer im In- und Ausland gerichtet, war ein Meisterwerk rhetorischer Pirouetten: ein Bereuen ohne Reue, eine Entschuldigung ohne Schuld, ein vor Larmoyanz triefender Fehlversuch, der Rolle als Buhmann der amerikanischen Geschichte doch noch zu entkommen.
Er wolle „den Beginn dieses Heilungsprozesses beschleunigen, den Amerika so dringend benötigt“, sagte der 61-jährige US-Präsident. Und der Republikaner räumte ein, dass einige seiner Urteile „falsch“ gewesen seien. „Ich bedauere zutiefst alle Verletzungen, die im Verlauf der Ereignisse, die zu dieser Entscheidung geführt haben, entstanden sein könnten.“ Am Ende verkaufte Nixon seinen Rücktritt gar noch als patriotischen Akt: „Ich bin nie ein Feigling gewesen. Mein Amt vorzeitig zu verlassen, geht gegen alle meine Instinkte...“ Es gelte „Amerika First“.
Als es am 9. Augst dann endlich gelaufen war und der bis dato blasse Vizepräsident Gerald Ford das Ruder übernahm, atmeten nicht nur die Menschen in den USA erleichtert auf – die Welt konnte sich endlich wieder den eigentlichen Krisen widmen. „Unser langer nationaler Albtraum ist vorüber“, sagte Ford bei seinem Amtsantritt – der beste Satz seiner etwas mehr als zweijährigen Amtszeit, die vor allem eins war: unauffällig. Und genau danach hatte sich Amerika, das sich volle zwei Jahre lang mit Nixons Watergate-Affäre beschäftigt und ein Stück weit selbst demontiert hatte, gesehnt.
Beendigung des Vietnamkriegs „kalkulierte Lüge“
„Er gewann die Wahl mit dem Versprechen, ‚Wenn ihr mich wählt, dann beende ich diesen Krieg in Vietnam‘, diesen unpopulären Krieg, der in Amerika für so viel Unruhe gesorgt und eine neue Friedensbewegung ins Leben gerufen hatte“, sagt der Historiker Bernd Greiner. „Das war eine kalkulierte Lüge. Wir wissen mittlerweile aus Diskussionen mit seinem Stab und auch aus internen Aufzeichnungen, dass Nixon nie daran dachte, den Vietnamkrieg in kurzer Zeit zu beenden.“ Zwar zog er die amerikanischen Bodentruppen zurück, „doch dann ließ er den Luftkrieg in einer Weise eskalieren, wie es keiner seiner Vorgänger gewagt hätte – indem er zum Beispiel die Bombardements auch auf Kambodscha und Laos ausweiten ließ“, so der USA-Experte.
Wird heute über Nixon gesprochen, steht vor allem die Watergate-Affäre im Mittelpunkt – der Einbruch in das gleichnamige Hauptquartier der Demokratischen Partei in Washington mit dem Ziel, dort Unterlagen abzufotografieren und Abhörwanzen zu installieren. Das alles war mit dem Segen des amtierenden Präsidenten geschehen und nur aufgeflogen durch die hartnäckige Recherche von Journalisten.
Am 17. Juni 1972 waren die Einbrecher überrascht worden, die folgenden zwei Jahre waren geprägt von stets neuen Enthüllungen und einem beharrlich leugnenden, teils sich aggressiv gebärdenden Präsidenten Nixon. Der war, trotz erster Berichte über Watergate, am 7. November 1972 mit großem Erfolg wiedergewählt worden. Ab März 1973 wurden die Enthüllungen über seine Verwicklung in die kriminellen Machenschaften im Wahlkampf immer konkreter.
Wegen seiner Lügen, der kriminellen Machenschaften und der fehlenden Reue wird Nixon heute oft als der schlechteste Präsident der US-Geschichte bezeichnet – mit Parallelen zu einem anderen, der es mit der Wahrheit ebenfalls nicht so genau nahm: Donald Trump. „Doch Nixon – und das ist der zentrale Unterschied zu Trump – wäre es im Traum nicht eingefallen, eine legitime Wahl anzuzweifeln, obwohl er sich mit allen möglichen Mitteln an die Macht geklammert hat“, sagt Greiner, Autor etwa des Buches „Henry Kissinger. Wächter des Imperiums. Eine Biografie“ (C. H. Beck Verlag).
Der Historiker hält Trumps Sündenregister, das Infragestellen eines demokratischen Wahlergebnisses, dazu den Aufruf zur Erstürmung demokratischer Institutionen, für weitaus schwerwiegender als Nixons Anstiftung zu einem Einbruch bei der Demokratischen Partei und seine anschließenden Lügen. „Trump hat hier tatsächlich eine Zeitenwende eingeleitet“, sagt Greiner, „Nixons Verfehlungen sind Lichtjahre von dem entfernt, was Trump dieser Gesellschaft bereits zugemutet hat.“
Nixon schuf den Vorläufer des Umweltministeriums
Nixon, der Lügner, der Manipulator, der Kriegstreiber – es gibt jedoch auch Leistungen des 37. US-Präsidenten, die heute kaum noch Erwähnung finden und die das Land nachhaltig verändert haben. So schuf er mit der Environmental Protection Agency (EPA) als Bundesbehörde einen Vorläufer des späteren Umweltministeriums – zwei Jahre vor dem 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, der bei vielen für ein erstes Umdenken in Umweltfragen sorgte. Ebenfalls 1970 legte er als erster Präsident Quoten für die Beschäftigung von Minderheiten bei staatlichen Aufträgen fest, 1971 wurde das Programm auf Frauen ausgeweitet. In einer Botschaft an den Kongress forderte Nixon die Selbstbestimmung der indigenen Amerikaner und eine sogenannte Terminationspolitik, die auf Schutz ihrer Kultur und Lebensweise zielte.
„Das alles hat er tatsächlich gemacht, aus welcher politischen Kalkulation auch immer, doch das wird von ihm nicht in Erinnerung bleiben, denn alles verschwindet unter dem Schatten von ‚Tricky Dick‘“, ist Greiner überzeugt. „Und dafür trägt er die alleinige Verantwortung, denn er hat nichts unversucht gelassen, dieses Narrativ des Verschlagenen zu bedienen – zunächst als Kongressabgeordneter und Hexenjäger in der McCarthy-Zeit, dann als Vizepräsident unter Dwight D. Eisenhower und später erst recht als Präsident“, sagt der Hamburger Historiker.
Einen grundlegenden Unterschied in der damaligen und in der heutige Debatte über Verfehlungen von Präsidenten sieht Greiner in der Gesellschaft: „Damals war die amerikanische Gesellschaft politisiert, heute ist sie emotionalisiert“,erklärt er. Nixon habe durch die Art seiner Amtsführung und auch durch die Eskalation des Vietnamkrieges „einen innenpolitischen Streit, der diesen Namen auch verdient hat, provoziert – eine aufgeklärte Debatte über Grundlagen der Verfassung, über existenzielle Fragen wie Kriegsvollmachten und andere Kompetenzen eines Präsidenten“, bilanziert Greiner. „Spätestens seit Trump, aber eigentlich schon früher, wurden solche Streitfragen nicht mehr politisch ausgetragen, sie fielen einer Politik zum Opfer, die Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sieht und Gegner zu Feinden erklärt“, sagt der Historiker.
Was bleibt? „Nixon hat der Institution Präsidentschaft schweren Schaden zugefügt. Er hat zu einem erheblichen Vertrauensverlust in demokratische Institutionen beigetragen, die in der Nachkriegszeit beispiellos ist und auch global auf die Demokratie abgefärbt hat“, ist Greiner überzeugt. Ein Schock, von dem sich das Land bis heute nicht erholt habe, so der Historiker. „Und ironischerweise zieht Trump genau daraus politischen Profit, indem er sagt, ‚in Washington sind immer schon alle korrupt – ich muss diesen Sumpf austrocknen‘.“
Carter durfte vier Jahre lang ein freundliches Gesicht zeigen
Nixons Nachfolger Gerald Ford schrieb ebenfalls Geschichte – wenn auch eher lautlos: Er ist bis heute der einzige US-Präsident, der nie eine Wahl gewann. Nach zwei Jahren und drei Monaten im Amt verlor er im Herbst 1976 die Wahl gegen den Demokraten Jimmy Carter. Das ungeschriebene Gesetz des Pendels zwischen liberal und konservativ, The Presidential Pendulum genannt, brach sich erneut Bahn: Die Skrupellosigkeit „Tricky Dicks“ hatte einem Menschenfreund und Super-Liberalen den Weg bereitet. Carter durfte vier Jahre lang ein freundliches Gesicht zeigen, ehe ihn mit Ronald Reagan der nächste Falke aus dem Amt fegte.
Während in Deutschland der Blick zurück in die Geschichte – Stichworte: Die Lehren aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit – manchmal geradezu überstrapaziert wird, spielt „Tricky Dicks“ Sturz in der heutigen amerikanischen Öffentlichkeit „überhaupt keine Rolle“, so Greiner. Dabei sieht der Historiker zwischen den beiden Präsidenten eine gewisse Kontinuität: „Nixon hat etwas beschädigt und Trump ist die Abrissbirne.“ Daraus ließen sich mit Blick auf die kommende US-Wahl vom 5.?November durchaus Lehren ziehen. Denn „wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“, sagte einst der spanische Philosoph George Santayana.
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